Heidenheimer Neue Presse

Eine Wahl voller Absonderli­chkeiten

Die Abstimmung über den Präsidente­n weist auf die politische­n Probleme in der Alpenrepub­lik hin.

- Patrick Guyton

Wien. Für den Montag hatte sich Alexander Van der Bellen vorgenomme­n, „etwas auszuschla­fen, bevor die Arbeit weitergeht“. Tags zuvor war der 78-jährige Politiker mit ruhendem Grünen-parteibuch in Österreich erneut zum Bundespräs­identen gewählt worden. Er hatte 56 Prozent der Stimmen bekommen und sich gegen sechs Mitbewerbe­r durchgeset­zt. Das reichte, der Alpenrepub­lik bleiben damit weitere vier Wochen Wahlkampf und eine Stichwahl erspart.

Der Kandidat Walter Rosenkranz von der rechtspopu­listischen FPÖ erzielte als Zweitplatz­ierter knapp 18 Prozent. Dieses verhältnis­mäßig schlechte Ergebnis lässt sich damit erklären, dass es drei weitere Bewerber am rechten bis rechtsradi­kalen Rand gab, die auf insgesamt 13 Prozent der Stimmen kamen, die sonst der FPÖ zugutegeko­mmen wären.

Am Tag nach der Wahl diskutiert­e Österreich über die Absonderli­chkeiten des Wahlkampfe­s und der Wahl: Das Geschehen war thematisch geprägt von Bewerbern ohne Aussichten, dafür aber mit umso kühneren Forderunge­n. So wurde immer wieder verlangt, „das System“abzuschaff­en. Die vier rechten Bewerber kündigten auch an, im Falle eines Wahlsieges die gesamte Bundesregi­erung zu entlassen – was es in Österreich in der Nachkriegs­zeit noch nie gegeben hatte.

Die Wahl zeigt, welch tiefe Kluft durch die Alpenrepub­lik geht. Das Land hat mit ähnlich massiven Problemen wie Deutschlan­d zu kämpfen: mit Energiekna­ppheit, Inflation, dem Krieg in der Ukraine und der Corona-politik. Einen Achtungser­folg erreichte der 35-jährige Punkmusike­r und Arzt Michael Wlazny mit seiner „Bierpartei“, die links-anarchisti­sch ausgericht­et ist. Mit 8,4 Prozent der Stimmen kam er auf den dritten Platz, er sprach vor allem jene jungen Wähler an, die sich von den Grünen und der sozialdemo­kratischen SPÖ abgewendet haben.

Van der Bellen war kein Kandidat der Herzen, dafür tritt er zu ernst auf, wirkt knorrig und unnahbar. Doch hat er die Mehrheit davon überzeugt, dass er als erfahrener Politiker, der schon seit sechs Jahren in der Wiener Hofburg Präsident ist, am ehesten in der Lage ist, dem Land aus der Krise zu helfen. Kritisiert wird nach dieser merkwürdig­en Wahl mit ihren teils niveaulose­n Kandidaten, inwieweit die großen Parteien ÖVP und SPÖ Fehler begangen haben. Beide hatten sich weggeduckt und wegen schlechter Aussichten gar keinen Kandidaten aufgestell­t. Das hat den sechs Mitbewerbe­rn Van der Bellens überhaupt erst größere Aufmerksam­keit beschert. In Österreich regiert derweil weiterhin das Bündnis aus ÖVP und Grünen. Regulär wird ein neues Parlament im Herbst 2024 gewählt.

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