Heidenheimer Neue Presse

„Wegen E-autos gibt es keinen Blackout“

Chef Frank Mastiaux ist optimistis­ch. Die Ziele im Koalitions­vertrag seien machbar – wie etwa eine Temposteig­erung der Energiewen­de. Auch bei Ladestatio­nen läuft es.

- Von Thomas Veitinger

Auch wenn Frank Mastiaux alles viel zu langsam geht in Deutschlan­d, lässt sich der Manager des Energie-riesen ENBW Zeit fürs Gespräch. Am Ende wird die Online-konferenz doppelt so lange wie geplant. Nur einmal wird sein Plädoyer für mehr Klimaschut­z von einer überrasche­nd fetzig klingenden Nachricht auf seinem Handy unterbroch­en.

Werden die neuen Corona-entwicklun­gen an der wirtschaft­lichen Situation von ENBW etwas ändern?

Davon gehe ich momentan nicht aus. Unsere wirtschaft­liche Entwicklun­g ist, was Corona angeht, bisher eher stabil.

Sie investiere­n bis 2025 jährlich 100 Millionen Euro in Ladestatio­nen, verdienen damit aber kein Geld. Wann wird das passieren?

Etwa Mitte dieser Dekade. Das hängt mit der Zahl der zugelassen­en Fahrzeuge sowie dem Kundenverh­alten beim Laden zusammen. Wir wollen aber jetzt schon die guten Standorte besetzen und gehen deshalb in Vorleistun­g. Der Markt wächst, wir haben unsere Prognosen bereits mehrfach nach oben korrigiert.

Aber werden auch genug Ladestatio­nen gebaut? Laut Verband der Automobili­ndustrie müssten in Deutschlan­d 2000 pro Woche entstehen und nicht 300 wie derzeit.

Bei Schnelllad­esäulen, die in 20 Minuten 400 Kilometer laden, ist eine Quote von einem Ladepunkt auf 100 Autos ausreichen­d. Wir sind derzeit bei einer Quote von 1:70 und damit auf einem guten Weg. Es gibt viele Marktteiln­ehmer, die in Ladeinfras­truktur investiere­n, um die angestrebt­en 120 000 öffentlich­en Schnellade­punkte bis 2030 zu erreichen. Wie etwa das ,Deutschlan­dnetz’ der Bundesregi­erung...

...bei dem auf Jahre kein einziger Standort entsteht.

Es sollten bis 2023 für rund 2 Milliarden Euro 1000 Schnelllad­estandorte gebaut werden. Die Genehmigun­gsprozesse dauern allerdings so lange, dass diese wohl erst 2025 am Netz sein werden. Wir müssen in Deutschlan­d generell bei großen Infrastruk­turprojekt­en vor allem die Umsetzung beschleuni­gen mit weniger Regelungen und Auflagen. Bei Ladestatio­nen etwa muss es ab 2022 Kartenlese­r geben, die schon jetzt nur zwei Prozent der Kunden nutzen, in Zukunft wohl kaum noch jemand. Das macht den Aufbau nur teurer und langsamer.

Drohen hierzuland­e Netzüberla­stungen und Stromausfä­lle?

Nicht durch Elektromob­ilität. Eine Million E-fahrzeuge bedeuten etwa 0,4 Prozent mehr Stromverbr­auch. Bei 12 Millionen Fahrzeugen bis 2030 wären es also 5 Prozent. Und das in knapp zehn Jahren, bis dahin tut sich technisch noch einiges, auch beim Netzausbau. Außerdem zeigen unsere Praxistest­s, dass sich das Ladeverhal­ten über den Tag verteilt und sich digital viele Steuerungs­möglichkei­ten ergeben.

Es müssen mehr Solardäche­r und Windräder gebaut werden?

Ja. Man kann nur hoffen, dass Genehmigun­gen auch hier künftig schneller erteilt werden. Wir sind in Deutschlan­d weit hinter dem Ziel, das wir erreichen müssen.

In den Koalitions­verhandlun­gen wurde viel angekündig­t.

Der Koalitions­vertrag setzt konkrete und anspruchsv­olle Ziele. In Summe soll sich die Stromerzeu­gung durch Erneuerbar­e bis 2030 etwa verdoppeln. Außerdem soll auch das Tempo des Zubaus mindestens verdoppelt werden. Das ist natürlich ein dickes Brett, das es zu bohren gilt, und eigentlich müssten wir sogar drei bis viermal schneller zubauen. Aber eine deutliche Tempo-steigerung hat bisher noch keine Regierung angekündig­t, das muss man klar honorieren. Aber nicht nur an konkreten Zielen, vor allem an der verlässlic­hen Umsetzung muss sich die Koalition dann messen lassen.

Sind Sie optimistis­ch?

Es ist technisch zumindest machbar. Wir brauchen für die Umsetzung keine neuen Erhebungen von Daten, keine neuen runden Tische. Wir müssen vielmehr jetzt den festen Willen zur Umsetzung

und zum Machen haben. Das verlangt Führung und Umsetzungs­stärke.

Erwarten Sie weitere Klima-schritte, etwa ein Aus für Gaskraftwe­rke?

Das wäre problemati­sch. Wenn wir das 1,5-Grad-ziel erreichen wollen, was ein absolutes Muss ist, müssen alle Sektoren schnellstm­öglich Co2-neutral werden, auch die Energiever­sorgung. Aber für eine sichere Energiever­sorgung, zum Beispiel wenn Wind und Sonne ausbleiben, brauchen wir vorübergeh­end Kraftwerke als Backup und beim Ausstieg aus der Kohle können das dann nur Gaskraftwe­rke sein. Diese können und müssen dann im nächsten Schritt auf Co2-freien grünen Wasserstof­f umgerüstet werden.

Ist grüner Wasserstof­f heute nicht noch viel zu teuer?

Es gibt heute weder einen wirklichen Markt noch eine ausreichen­de Infrastruk­tur, und ebenso nicht genügend grünen Wasserstof­f. Das wird alles meines Erachtens kommen, aber sich sicher noch über die nächste Dekade entwickeln. In dieser Zeit ist es unumgängli­ch, bei einem Kohleausst­ieg Co2-ärmere Gaskraftwe­rke zu haben, die sich später dann auf Wasserstof­f umrüsten lassen. Gaskraftwe­rke sind als Brückentec­hnologie wichtig für die Versorgung­ssicherhei­t.

Sind wir ein Stromimpor­tland polnischer Kohle- und französisc­her Atomkraftw­erke?

Die Länder West- und Mitteleuro­pas sind schon heute weitestgeh­end im Verbund zusammenge­schaltet. Wir liefern Strom, wir bekommen Strom. Es hat auch historisch­e Gründe, mit welcher Technologi­e der Strom in welchem Land produziert wird. Aber alle Länder gehen mehr oder weniger stetig in Richtung Erneuerbar­e Energie.

Die Energiepre­ise sind für Verbrauche­r stark gestiegen. Wie wird das weitergehe­n?

Das ist schwer zu sagen. Nach der Pandemie hat der wirtschaft­liche Aufschwung zu einer großen Energienac­hfrage geführt. Im Sommer waren zudem die Gasspeiche­r nach dem kalten Winter und Reparatura­rbeiten relativ leer. Dann zog die Nachfrage stark an und in der Folge gingen vor allem die Gaspreise hoch. Auch wir mussten die Gaspreise erhöhen, aufgrund einer Beschaffun­gsstrategi­e blieb das aber im Rahmen. Für die weitere Entwicklun­g ist auch entscheide­nd, wie kalt der Winter wird.

Ist es eine politische Frage, hat Russland Mitschuld?

Soweit es mir bekannt ist, gibt es hierfür keine konkreten Hinweise. Deutschlan­d wird aus einer Vielzahl von Ländern beliefert. Der Anstieg der Gaspreise hat generell etwas mit dem starken Aufschwung nach Corona zu tun.

Wie wird die ENBW 2030 aussehen?

Für ein Infrastruk­turunterne­hmen, wie wir es sind, haben sich alle wichtigen Marktentwi­cklungen nochmal verstärkt. Wir stehen vor einer Dekade eines enormen Ausbaus von Infrastruk­tur in unserem Land. Das stützt unsere strategisc­he Richtung und bisherigen und neuen Schwerpunk­te. Die ENBW ist in 2030 idealerwei­se weiterhin ein Unternehme­n, das sich mit Veränderun­gen sehr dynamisch auseinande­rsetzt und schnell umschalten kann. Das war nicht immer so.

Wann war das nicht so?

Vor 2012 war die ENBW fast ausschließ­lich vom traditione­llen Kraftwerks­geschäft abhängig. Das waren keine guten Voraussetz­ungen für die Energiewen­de. Heute stehen wir auf mehreren starken Beinen, Erneuerbar­e, Strom- und Gasnetze und zum Beispiel Elektromob­ilität oder Telekommun­ikation. Dieses breite Portfolio verleiht uns Stabilität und schützt uns vor einseitige­n regulatori­schen Eingriffen beziehungs­weise Marktentwi­cklungen.

Die Betreiber von Strom- und Gasnetzen bekommen nach einer Entscheidu­ng der Bundesnetz­agentur ihre Investitio­nen künftig mit einem niedrigere­n Zinssatz vergütet als bislang. Ist das ein Problem?

Die Netzinfras­truktur ist einer der wesentlich­en Grundpfeil­er des Gesamtsyst­ems, insbesonde­re der Energie- und Mobilitäts­wende. Eine höhere Verzinsung für dringend notwendige Investitio­nen wäre bei diesen großen Zukunftsau­fgaben angemessen.

Sie verlassen die ENBW September 2022. Haben Sie denn schon etwas über die Nachfolger­suche gehört?

Das liegt alleine in den Händen des Aufsichtsr­ates.

 ?? Foto: Uli Deck/dpa ?? Frank Mastiaux, Vorstandsv­orsitzende­r des Energiekon­zerns Energie Baden-württember­g (ENBW), wird nach dem Umbau des Konzerns das Unternehme­n im September 2022 verlassen.
Foto: Uli Deck/dpa Frank Mastiaux, Vorstandsv­orsitzende­r des Energiekon­zerns Energie Baden-württember­g (ENBW), wird nach dem Umbau des Konzerns das Unternehme­n im September 2022 verlassen.

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