„Wegen E-autos gibt es keinen Blackout“
Chef Frank Mastiaux ist optimistisch. Die Ziele im Koalitionsvertrag seien machbar – wie etwa eine Temposteigerung der Energiewende. Auch bei Ladestationen läuft es.
Auch wenn Frank Mastiaux alles viel zu langsam geht in Deutschland, lässt sich der Manager des Energie-riesen ENBW Zeit fürs Gespräch. Am Ende wird die Online-konferenz doppelt so lange wie geplant. Nur einmal wird sein Plädoyer für mehr Klimaschutz von einer überraschend fetzig klingenden Nachricht auf seinem Handy unterbrochen.
Werden die neuen Corona-entwicklungen an der wirtschaftlichen Situation von ENBW etwas ändern?
Davon gehe ich momentan nicht aus. Unsere wirtschaftliche Entwicklung ist, was Corona angeht, bisher eher stabil.
Sie investieren bis 2025 jährlich 100 Millionen Euro in Ladestationen, verdienen damit aber kein Geld. Wann wird das passieren?
Etwa Mitte dieser Dekade. Das hängt mit der Zahl der zugelassenen Fahrzeuge sowie dem Kundenverhalten beim Laden zusammen. Wir wollen aber jetzt schon die guten Standorte besetzen und gehen deshalb in Vorleistung. Der Markt wächst, wir haben unsere Prognosen bereits mehrfach nach oben korrigiert.
Aber werden auch genug Ladestationen gebaut? Laut Verband der Automobilindustrie müssten in Deutschland 2000 pro Woche entstehen und nicht 300 wie derzeit.
Bei Schnellladesäulen, die in 20 Minuten 400 Kilometer laden, ist eine Quote von einem Ladepunkt auf 100 Autos ausreichend. Wir sind derzeit bei einer Quote von 1:70 und damit auf einem guten Weg. Es gibt viele Marktteilnehmer, die in Ladeinfrastruktur investieren, um die angestrebten 120 000 öffentlichen Schnelladepunkte bis 2030 zu erreichen. Wie etwa das ,Deutschlandnetz’ der Bundesregierung...
...bei dem auf Jahre kein einziger Standort entsteht.
Es sollten bis 2023 für rund 2 Milliarden Euro 1000 Schnellladestandorte gebaut werden. Die Genehmigungsprozesse dauern allerdings so lange, dass diese wohl erst 2025 am Netz sein werden. Wir müssen in Deutschland generell bei großen Infrastrukturprojekten vor allem die Umsetzung beschleunigen mit weniger Regelungen und Auflagen. Bei Ladestationen etwa muss es ab 2022 Kartenleser geben, die schon jetzt nur zwei Prozent der Kunden nutzen, in Zukunft wohl kaum noch jemand. Das macht den Aufbau nur teurer und langsamer.
Drohen hierzulande Netzüberlastungen und Stromausfälle?
Nicht durch Elektromobilität. Eine Million E-fahrzeuge bedeuten etwa 0,4 Prozent mehr Stromverbrauch. Bei 12 Millionen Fahrzeugen bis 2030 wären es also 5 Prozent. Und das in knapp zehn Jahren, bis dahin tut sich technisch noch einiges, auch beim Netzausbau. Außerdem zeigen unsere Praxistests, dass sich das Ladeverhalten über den Tag verteilt und sich digital viele Steuerungsmöglichkeiten ergeben.
Es müssen mehr Solardächer und Windräder gebaut werden?
Ja. Man kann nur hoffen, dass Genehmigungen auch hier künftig schneller erteilt werden. Wir sind in Deutschland weit hinter dem Ziel, das wir erreichen müssen.
In den Koalitionsverhandlungen wurde viel angekündigt.
Der Koalitionsvertrag setzt konkrete und anspruchsvolle Ziele. In Summe soll sich die Stromerzeugung durch Erneuerbare bis 2030 etwa verdoppeln. Außerdem soll auch das Tempo des Zubaus mindestens verdoppelt werden. Das ist natürlich ein dickes Brett, das es zu bohren gilt, und eigentlich müssten wir sogar drei bis viermal schneller zubauen. Aber eine deutliche Tempo-steigerung hat bisher noch keine Regierung angekündigt, das muss man klar honorieren. Aber nicht nur an konkreten Zielen, vor allem an der verlässlichen Umsetzung muss sich die Koalition dann messen lassen.
Sind Sie optimistisch?
Es ist technisch zumindest machbar. Wir brauchen für die Umsetzung keine neuen Erhebungen von Daten, keine neuen runden Tische. Wir müssen vielmehr jetzt den festen Willen zur Umsetzung
und zum Machen haben. Das verlangt Führung und Umsetzungsstärke.
Erwarten Sie weitere Klima-schritte, etwa ein Aus für Gaskraftwerke?
Das wäre problematisch. Wenn wir das 1,5-Grad-ziel erreichen wollen, was ein absolutes Muss ist, müssen alle Sektoren schnellstmöglich Co2-neutral werden, auch die Energieversorgung. Aber für eine sichere Energieversorgung, zum Beispiel wenn Wind und Sonne ausbleiben, brauchen wir vorübergehend Kraftwerke als Backup und beim Ausstieg aus der Kohle können das dann nur Gaskraftwerke sein. Diese können und müssen dann im nächsten Schritt auf Co2-freien grünen Wasserstoff umgerüstet werden.
Ist grüner Wasserstoff heute nicht noch viel zu teuer?
Es gibt heute weder einen wirklichen Markt noch eine ausreichende Infrastruktur, und ebenso nicht genügend grünen Wasserstoff. Das wird alles meines Erachtens kommen, aber sich sicher noch über die nächste Dekade entwickeln. In dieser Zeit ist es unumgänglich, bei einem Kohleausstieg Co2-ärmere Gaskraftwerke zu haben, die sich später dann auf Wasserstoff umrüsten lassen. Gaskraftwerke sind als Brückentechnologie wichtig für die Versorgungssicherheit.
Sind wir ein Stromimportland polnischer Kohle- und französischer Atomkraftwerke?
Die Länder West- und Mitteleuropas sind schon heute weitestgehend im Verbund zusammengeschaltet. Wir liefern Strom, wir bekommen Strom. Es hat auch historische Gründe, mit welcher Technologie der Strom in welchem Land produziert wird. Aber alle Länder gehen mehr oder weniger stetig in Richtung Erneuerbare Energie.
Die Energiepreise sind für Verbraucher stark gestiegen. Wie wird das weitergehen?
Das ist schwer zu sagen. Nach der Pandemie hat der wirtschaftliche Aufschwung zu einer großen Energienachfrage geführt. Im Sommer waren zudem die Gasspeicher nach dem kalten Winter und Reparaturarbeiten relativ leer. Dann zog die Nachfrage stark an und in der Folge gingen vor allem die Gaspreise hoch. Auch wir mussten die Gaspreise erhöhen, aufgrund einer Beschaffungsstrategie blieb das aber im Rahmen. Für die weitere Entwicklung ist auch entscheidend, wie kalt der Winter wird.
Ist es eine politische Frage, hat Russland Mitschuld?
Soweit es mir bekannt ist, gibt es hierfür keine konkreten Hinweise. Deutschland wird aus einer Vielzahl von Ländern beliefert. Der Anstieg der Gaspreise hat generell etwas mit dem starken Aufschwung nach Corona zu tun.
Wie wird die ENBW 2030 aussehen?
Für ein Infrastrukturunternehmen, wie wir es sind, haben sich alle wichtigen Marktentwicklungen nochmal verstärkt. Wir stehen vor einer Dekade eines enormen Ausbaus von Infrastruktur in unserem Land. Das stützt unsere strategische Richtung und bisherigen und neuen Schwerpunkte. Die ENBW ist in 2030 idealerweise weiterhin ein Unternehmen, das sich mit Veränderungen sehr dynamisch auseinandersetzt und schnell umschalten kann. Das war nicht immer so.
Wann war das nicht so?
Vor 2012 war die ENBW fast ausschließlich vom traditionellen Kraftwerksgeschäft abhängig. Das waren keine guten Voraussetzungen für die Energiewende. Heute stehen wir auf mehreren starken Beinen, Erneuerbare, Strom- und Gasnetze und zum Beispiel Elektromobilität oder Telekommunikation. Dieses breite Portfolio verleiht uns Stabilität und schützt uns vor einseitigen regulatorischen Eingriffen beziehungsweise Marktentwicklungen.
Die Betreiber von Strom- und Gasnetzen bekommen nach einer Entscheidung der Bundesnetzagentur ihre Investitionen künftig mit einem niedrigeren Zinssatz vergütet als bislang. Ist das ein Problem?
Die Netzinfrastruktur ist einer der wesentlichen Grundpfeiler des Gesamtsystems, insbesondere der Energie- und Mobilitätswende. Eine höhere Verzinsung für dringend notwendige Investitionen wäre bei diesen großen Zukunftsaufgaben angemessen.
Sie verlassen die ENBW September 2022. Haben Sie denn schon etwas über die Nachfolgersuche gehört?
Das liegt alleine in den Händen des Aufsichtsrates.