Heidenheimer Neue Presse

Ein Schiff wird kommen

Die noch vor Kurzem boomende Branche liegt pandemiebe­dingt danieder, hofft aber auf eine bessere Zukunft. Einzelne Touren sind bereits wieder möglich – unter strengen Auflagen und mit verringert­er Passagierz­ahl.

- Von Michael Gabel

Bis zu 14 Schiffe schickt der Kreuzfahrt­anbieter Aida in normalen Zeiten über die Weltmeere. Derzeit ist es genau eins: die „Aida Perla“. Sie umrundet im Wochenrhyt­hmus die Kanaren, coronabedi­ngt mit gerade mal der Hälfte der üblichen 3000 Passagiere. Immerhin: Theater, Restaurant­s und Bars sind geöffnet. Für die Reisenden könnte die Woche an Bord die perfekte Flucht aus dem deutschen Pandemie-alltag sein, wären da nicht die strengen Hygienevor­schriften – mit vorgeschri­ebenen Pcr-tests für Mitreisend­e und Crew, Einschränk­ungen bei Sport und Wellness und geschlosse­nen Diskotheke­n. Die Nachfrage sei dennoch groß, sagt Aida-sprecher Hansjörg Kunze. „Wir würden unser Angebot gern erweitern und stehen bereit.“

Doch die Veranstalt­er von Kreuzfahrt­en werden sich gedulden müssen. Denn noch ist nicht abzusehen, wann weltweit wieder die Schiffe in den Häfen anlegen dürfen.

Für Deutsche gelten die meisten Länder sowieso als Risikogebi­ete, was gerade Fernreisen auf lange Zeit schwierig bis unmöglich macht. Auch sind viele Reisende noch von den Bildern aus dem vergangene­n Frühjahr verunsiche­rt, als tausende Passagiere in Schiffen vor Australien und Südafrika festsaßen und erst nach langer Quarantäne wieder freikamen.

In der Branche glaubt man zwar, dass die dramatisch­en Umsatzeinb­rüche von 2020 eine Episode bleiben und bald wieder wettgemach­t werden. Aber das dürfte Wunschdenk­en sein. Experten halten es sogar für möglich, dass mit der Pandemie das Geschäftsm­odell der Kreuzfahrt­en – größer, luxuriöser, teurer – an sein Ende gekommen sein könnte.

Royal Caribbean Internatio­nal macht vor, wie reduzierte­r Kreuzfahrt-tourismus aussehen könnte. Seine „Reisen ins Nirgendwo“– „Cruises to Nowhere“– führen bis nach Singapur, bieten aber weder Zwischenst­opps noch Landgänge. Das deutsche Unternehme­n TUI Cruises hat mit seinen „Blauen Reisen“ein ähnliches Programm im Angebot.

Eine weitere Variante, wie Reisen in der Pandemie aussehen kann, sind Kreuzfahrt­en nur für Geimpfte. So will die Us-reederei Celebrity Cruises ihre „Celebrity Apex“von Juni bis September durch das östliche Mittelmeer schippern lassen und Häfen in Griechenla­nd, Zypern und Israel ansteuern. Alle Passagiere im Alter über 18 Jahren müssen gegen das Coronaviru­s geimpft seien. Ein ähnliches Modell ist auch für europäisch­e Anbieter denkbar. Der Eu-weit gültige Impfpass ist bereits in Vorbereitu­ng.

Der Deutsche Reiseverba­nd (DRV) setzt bei Kreuzfahrt­en für die nähere Zukunft allerdings mehr aufs Testen als aufs Impfen. Die Reedereien hätten umfangreic­he Hygiene- und Sicherheit­skonzepte etabliert, zu denen auch Tests von Gästen und Crew gehörten, teilt eine Sprecherin mit. Sorgen bereitet dem Verband der Umsatzrück­gang; laut DRV sank die Zahl der deutschen Kreuzfahrt­reisenden von 3,7 Millionen im Jahr 2019 auf gerade noch 1,4 Millionen im Jahr 2020.

Allein das amerikanis­ch-britische Unternehme­n Carnival mit seiner deutschen Tochter Aida erlitt im vergangene­n Geschäftsj­ahr einen Verlust von umgerechne­t 8,4 Milliarden Euro, fast zwei Milliarden Euro mehr als die ebenfalls in Not geratene Lufthansa. „Aktuell ziehen die Buchungen wieder an“, sagt die DRV-SPREcherin. Aber die gestiegene Nachfrage beziehe sich mehrheitli­ch bereits auf Sommer des kommenden Jahres.

Von einer „extremen Unsicherhe­it in der Branche“spricht der Münchner Reiseexper­te Jürgen Schmude. „Es kann gut sein, dass die Umsatzzahl­en von vor Corona

in den kommenden Jahren nicht mehr erreicht werden“, sagt der Professor für Tourismusw­irtschaft dieser Zeitung.

Als Gründe nennt er den schon vor der Pandemie zu spürenden Druck der Öffentlich­keit, dass Kreuzfahrt­en umweltfreu­ndlicher werden. Die Branche habe reagiert und sei dabei, ihren Gigantismu­s mit Schiffen, die bis zu 6500 Passagiere­n Platz bieten, zu überdenken.

Hinzu komme ein immer größer werdender Markt für Expedition­stouren, bei denen etwa in der Arktis eher kleinere Schiffe mit 200 bis 500 Plätzen eingesetzt würden. Außerdem sei zu vermuten, dass der Corona-schock gerade bei Kreuzfahrt­en mit ihrem durchschni­ttlich etwas älteren Publikum noch lange nachwirken werde. „Ein großer Teil dieser Menschen wird sein Reiseverha­lten überdenken“, ist Schmude überzeugt.

Auf diejenigen, die derzeit um die Kanaren reisen, trifft diese Einschätzu­ng aber wohl nicht zu. Bei Aida bezeichnet man sie als Stammkunde­n, die sich durch nichts von ihrer Kreuzfahrt abhalten lassen. Schmude nennt sie „die Überzeugun­gstäter“.

Vor einem Jahr saßen Tausende auf ihren Schiffen in einer langen Quarantäne fest.

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