„Wir müssen die Kosten in allen Bereichen weiter optimieren.“
Die Konzernchefin Britta Fünfstück berichtet im Hz-interview über ihre Arbeitsbelastung in Corona-zeiten, Herausforderungen für kommende Geschäftsjahre, die Auslagerung von Arbeitsplätzen und ein neues Schichtmodell für den Standort Herbrechtingen.
Die Zahlen sind gut, die Stimmung auch. Zumindest macht Britta Fünfstück beim Interview diesen Eindruck. Die Managerin kann auf ein Rekordjahr für die Hartmann-gruppe zurückblicken. Die passionierte Tennisspielerin hatte dem Konzern schon vor der Pandemie einen Transformationsprozess verschrieben. Nun kann sie eine erste Zwischenbilanz ziehen.
Wie haben Sie das vergangene Jahr persönlich empfunden? Britta Fünfstück:
2020 war für mich, wie vermutlich die meisten Menschen, extrem anstrengend. Bei der Arbeit ist die Verantwortung deutlich gewachsen. Verantwortung zum einen für die Kunden. Hartmann ist ein systemkritisches Unternehmen. Es gab bei unseren Kunden eine riesige Nachfrage nach Masken und Desinfektionsmitteln. Das erzeugt auch deutlich über das geschäftliche Interesse hinaus einen Druck, alles nur Erdenkliche zu tun, um dieser Nachfrage begegnen zu können. Zum anderen gibt es noch die Verantwortung meinen Mitarbeitern gegenüber, die in diesem schwierigen Jahr Herausragendes geleistet haben.
Hat die Pandemie ihre Einstellung zu Heidenheim verändert?
Ich habe coronabedingt meine ganze Zeit in Heidenheim verbracht, sogar Weihnachten. Meine Familie hat mich hier besucht und ich war mit meinem Neffen in Treffelhausen rodeln. Ich fühle mich weiterhin sehr wohl. Zudem
hat Heidenheim durch seine Größe den Vorteil, dass Kontakte hier schneller entstehen als in Großstädten.
Durch die Pandemie erleben wir bei unseren Kunden einen massiven Budgetdruck, viele Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, die Kassen sind hoch verschuldet. Britta Fünfstück, CEO Hartmann Gruppe
Im vergangenen Jahr ist Hartmann in Herbrechtingen in die Maskenproduktion eingestiegen. Mittlerweile ist es um diesen Bereich sehr ruhig geworden . . .
Im vergangenen Frühjahr hatten wir eine schwierige Notphase, als händeringend alle Arten von Masken gesucht wurden. Da haben wir eine Maschine für Inkontinenzprodukte umgerüstet, um sogenannte Community-masken herzustellen. Die haben wir dann in einigen Ländern verschenkt. Die Nachfrage hat sich aber inzwischen von den Communityzu OP- und Ffp2-masken verlagert. Für die Op-masken hat Hartmann mittlerweile in Brück bei Berlin eine eigene Produktionslinie aufgezogen. Insofern waren die Aktivitäten in Herbrechtingen toll und wichtig zu dem damaligen Zeitpunkt, aber als die größten Lieferprobleme bei den Masken behoben waren, nicht mehr nötig.
Auf der einen Seite konnten Sie im abgelaufenen Geschäftsjahr sehr stark von der Pandemie profitieren, auf der anderen Seite sorgt oder wird genau diese Pandemie in den nächsten Jahren für einen immensen Kostendruck in den Segmenten Wund- und Inkontinenz-management sorgen. Wie wappnen Sie sich davor?
Sie sprechen da einen wunden Punkt an. Wir profitieren nicht wirklich von der Pandemie, sondern verzeichnen nur einen temporären Sondereffekt. Für die Gesundheitsindustrie insgesamt ist Corona vermutlich eher eine Herausforderung als eine Gewinnchance. Durch die Pandemie erleben wir bei unseren Kunden einen massiven Budgetdruck, viele Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, die Kassen sind hoch verschuldet. Der Trend geht zu ambulanten Behandlungen. Diese Punkte hatte Hartmann aber bereits in seiner Strategie aufgegriffen und in den laufenden Transformationsprozess eingebaut.
Was bedeutet das genau?
Wir wollen Innovationen vorantreiben, beispielsweise bei privatzahlenden Patienten. Außerdem müssen wir die Kosten in allen Bereichen weiter optimieren. Daneben wird es um digitale Geschäftsmodelle gehen und wir wollen uns stärker nach attraktiven Kundensegmenten ausrichten.
Im vergangenen Jahr haben Sie angekündigt, mehr Geld in das Unternehmen investieren zu wollen und dafür auch zeitweise sinkende Gewinne hinzunehmen. Dank Corona sind die Gewinne aber gestiegen, haben Sie trotzdem in dem Umfang investiert wie sie es wollten?
Fast gänzlich ja. Die Einschränkung muss ich machen, weil pandemiebedingt einige Kundenprojekte nicht stattgefunden haben, weil uns Kunden, wie zum Beispiel Pflegeheime wegen Corona den Zugang zu ihren Standorten verweigerten. Wir konnten aber massiv in unsere Produktion und die Logistik investieren. Als Beispiel möchte ich das weltweit größte Hartmann-logistikzentrum in Herbrechtingen nennen. Durch eine neue Verpackungs- und Fördertechnik konnte hier die Zahl der täglich abgewickelten Pakete um 150 Prozent erhöht werden. Daneben haben wir in Tschechien und Hamburg in die Produktion investiert. Bei Kneipp lagern wir die Logistik an einen externen Partner aus, um schneller auf Marktveränderungen reagieren zu können.
Das trifft nicht nur Kneipp. Auch in anderen Bereichen lagern sie einen Teil ihrer Logistik an Noerpel aus. Wie viele Mitarbeiter sind davon betroffen?
Die Gespräche laufen derzeit noch. Es geht um einen Bereich von etwa 30 Beschäftigten, zuzüglich geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse, die entfallen werden. Für diese Arbeitnehmer suchen wir interne Versetzungsmöglichkeiten oder individuelle Lösungen. Zudem können Mitarbeiter sich mit Noerpel über dortige Beschäftigungs- und Einsatzmöglichkeiten austauschen.
Warum geht Hartmann diesen Schritt?
Das betrifft unter anderem den Homecare-bereich, also Lieferungen an Menschen, die online bestellen. Auch für Pflege.de haben wir hier die Logistik übernommen. Dieses Segment ist zuletzt sehr stark gewachsen. Für uns war daraus ersichtlich, dass wir im nächsten Jahr unsere Kapazitätsgrenze bei der Logistik und bei den Lagermöglichkeiten erreicht hätten. Deshalb mussten wir handeln. Die Alternative wäre gewesen, massiv in Immobilien zu investieren und das bei einem sehr volatilen Markt. Ein weiteres Argument ist, dass viele unserer Lieferungen Desinfektionsmittel enthalten, die als Gefahrenstoffe klassifiziert sind und die wir in Heidenheim nicht lagern können.
Kommen wir zurück zum Standort in Herbrechtingen. Dort soll es neues Schichtmodell geben. Warum?
Ein Schichtmodell wird dadurch definiert, welche Stückplanung man für die Produktion in Abhängigkeit zur Laufleistung des Maschinenparks und dem Marktbedarf hat. Aktuell arbeiten wir in Herbrechtingen in einem Vierschicht-modell, das aus dem Jahr 1997 stammt. Es ist für einen Zeitraum von Sonntag- bis Samstagabend im 24-Stunden-betrieb angelegt. Mittlerweile haben sich mehrere Rahmenbedingungen verändert, beispielsweise die Stabilität und Laufgeschwindigkeit der Maschinen. Aus diesem Grund sind Anpassungen notwendig.
Weil die Produktion nicht mehr ausgelastet ist?
Die Produktionslinien waren bereits in der Vergangenheit unterschiedlich ausgelastet. Durch technische Verbesserungen an unseren Maschinen wird inzwischen für die Produktion der gleichen Menge ein kürzeres Schichtmodell benötigt. Bei dem neuen Modell möchten wir gern die Arbeitszeit auf fünf Tage in einem Drei-schicht-betrieb verteilen, um die Aufwände an die Produktionsmenge anzugleichen.
Der Neubau des Verwaltungs- und Kantinengebäudes in Heidenheim hat die Außensicht auf die Hartmann-zentrale noch einmal deutlich verändert. Ist der Masterplan 2020 damit abgeschlossen?
Im Wesentlichen ja. Ab Mai ziehen die ersten Mitarbeiter in das neue Bürogebäude ein. Dort sind 300 Arbeitsplätze verfügbar. In jedem Stockwerk wird dann künftig eine Division sitzen. Die Kantine ist bereits in Betrieb.
Hartmann gehört zu den großen Kunst- und Sportförderern im Kreis Heidenheim. Welche Auswirkungen wird die wieder schwieriger werdende Geschäftsentwicklung auf dieses Engagement haben?
Einige Sportvereine konnten im vergangenen Jahr geplante Veranstaltungen pandemiebedingt nicht durchführen. Das haben wir aber nicht zum Anlass genommen, unser Engagement zu reduzieren. Im Gegenteil – uns ist bewusst, wie wichtig Unterstützung von Hartmann in so einer Situation ist und dazu werden wir auch weiterhin stehen.