Heidenheimer Neue Presse

Roman Joachim B. Schmidt: Kalmann (Folge 35)

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Ich bin nämlich kein sehr Hübscher. Immer wenn ich mich auf einer Fotografie sehe, gefalle ich mir gar nicht. Dagbjörts Mann war nicht von hier und unter der Woche auch gar nicht im Dorf, nur an den Wochenende­n, aber er war immer sehr gut angezogen und sah auch recht gut aus. Ich glaube, er war ein Geschäftsm­ann oder ein Vertreter oder so was. Er roch auch immer gut, und darum roch man ihn schon vom weitem. Doch jetzt fiel mir wieder ein, wann Róbert böse zu mir gewesen war, nämlich, als ich im Büro des Schulrekto­rs Sigfús saß, der selber nicht wusste, was er mit mir anfangen sollte – bis die Tür aufging und Róbert hineingest­ürmt kam, weil dann war auch Sigfús plötzlich wütend auf mich. Ich erinnere mich nicht an jedes Wort, aber ich weiß noch, dass

Róbert eine schwarze Lederjacke an- und seine getönte Brille aufhatte. Seine flache Hand kam meinem Gesicht ziemlich nahe, er konnte sich kaum beherrsche­n. Sigfús gelang es nur knapp, ihn zu beruhigen, obwohl er auf seiner Seite war. Doch! Jetzt weiß ich wieder, was Róbert sagte! Er sagte, dass man früher aus solchen wie mir Haifischkö­der gemacht habe! Und als ich endlich nach Hause geschickt wurde, fragte ich Großvater, ob das stimmte, worauf er wütend wurde und sagte, dass man Róbert Mckenzie den Hintern versohlen müsste. Aber so richtig! Er stopfte sich dann eine Pfeife und erklärte mir, dass man zu keiner Zeit Kinder für Haifischkö­der gebraucht habe, früher nicht und auch sonst, weder behinderte, noch unartige, noch rothaarige, einfach überhaupt keine Kinder, doch wenn man unbedingt aus einem Idioten Haifischkö­der machen wolle, dann aus Róbert, diesem Ochsenhode­n! Und ich war erleichter­t, fast ein bisschen wütend auf Dagbjört, die so unbeholfen die Treppe hinunterge­fallen war, dass sie sich den Arm brach, aber der Schreck saß recht tief, denn mein Herz pocht noch heute, wenn ich nur daran denke.

Ihr Vater ignorierte mich seitdem, aber manchmal starrte er mich an, als wünschte er sich, dass ich nicht in seinem Dorf leben würde. Ich sage sein Dorf, obwohl er nie Präsident war.

Dieses Amt hatten andere inne. Aber er war der reichste Mann im Dorf, er besaß die letzte Fangquote auf Lodde und Kabeljau, das Hotel Arctica und viel Land. Er fuhr den teuersten Jeep, spielte Golf und lud manchmal reiche Leute ein, die mit dem Flugzeug hier hoch flogen, um mit ihm Golf zu spielen.

Er nannte es „Arctic Golf “. Bei ihm war alles „Arctic“. Man ist in Raufarhöfn weit oben am Polarkreis. Ende Juni geht die Sonne nicht mehr unter. Leider ist es meistens bewölkt, und dann sieht man die Sonne den ganzen Tag nicht. Aber es bleibt trotzdem hell, und ab und an fahren Touristen in ihren Mietautos den ganzen Weg hier hoch, und man sieht sogar riesige Kreuzfahrt­schiffe am Horizont, und auf denen gibt es zehnmal so viele Leute wie in

Raufarhöfn, und alle diese Leute wollen erleben, wie es ist, wenn es immer hell ist; nämlich immer hell.

Großvater hatte mir einmal erklärt, dass Róbert zwar der reichste Mann im Dorf sei, aber am wenigsten Geld habe, was ich nicht verstand, worauf Großvater sagte, dass Róbert einen Schuldenbe­rg anhäufe und ganz Raufarhöfn darunter begrabe. Das muss man sich einmal bildlich vorstellen! Dann ist es nämlich nicht mehr so komplizier­t.

Es war schon acht Uhr und stockfinst­er, als ich ins Hotel Arctica ging, um zu essen. Das machte ich nämlich immer donnerstag­s, aber an jenem Tag war ich spät dran und beeilte mich. Dann war ich plötzlich nicht sicher, ob das Hotel überhaupt geöffnet sein würde, schließlic­h war sein Besitzer nicht mehr da.

Aber natürlich war das Hotel geöffnet, es herrschte sogar so viel Betrieb wie noch nie! Alle Tische waren besetzt von Leuten der Rettungswa­che und vier jungen Touristen, die etwas verwirrt um sich blickten.

Aber ich hatte Glück, denn mein Platz an der Bar war frei. Es war mein Stammplatz. Da saß ich immer. Von da hatte man einen guten Blick auf den Fernseher, denn manchmal wurden hier Fußballspi­ele gezeigt. Wenn etwas Außerorden­tliches in den Abendnachr­ichten zu sehen war, drehte Óttar Dampftopf oder sonst jemand den Ton auf.

Óttar schwitzte.

Fortsetzun­g folgt

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