Missbrauchte Geschichte
Bundespräsident Frank-walter Steinmeier hat sich den Zorn der Ukraine zugezogen. Um den Weiterbau der Gasleitung Nord Stream 2 zu rechtfertigen, verwies Steinmeier auf die derzeit schlechten Beziehungen zu Russland und auf die geschichtliche Verantwortung, die aus dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren erwächst. Warum der deutsche Spitzenpolitiker im Zusammenhang mit einem Wirtschaftsprojekt auf diese Weise historischen Bezug nahm, bleibt sein Geheimnis.
Denn wenn Steinmeier auf den Zweiten Weltkrieg verweist, kann er die Ukraine nicht übergehen. Die deutsche Politik folgt Moskau viel zu oft darin, Russland als alleinigen Nachfolgestaat der UDSSR zu betrachten. Die sowjetischen Opfer des Krieges kamen aus Russland, Belorussland, Kasachstan, Georgien, Armenien und aus all den anderen damaligen Sowjetrepubliken. Die Ukraine war einer der Hauptschauplätze des Weltkrieges. Acht Millionen Ukrainer verloren nach dem Überfall durch die Deutschen ihr Leben. Nicht alle durch Deutsche. An der Ermordung von 1,5 Millionen Juden waren viele Ukrainer beteiligt. Das alles aber hat mit der heutigen internationalen Wirtschaftsund Energiepolitik wenig zu tun. Die ist von ökonomischen Interessen geleitet.
Hier wird Geschichte für die Gegenwart unzulässig und auch willkürlich herangezogen. Die Beziehungen zu Russland zu verbessern, liegt im ganz aktuellen Interesse Deutschlands. Nicht zuletzt im wirtschaftlichen. Wenn es aber um historische Verantwortung geht, dann ist Deutschland allen Udssr-nachfolgestaaten verpflichtet – ganz besonders sicher Russland und der Ukraine.