Heidenheimer Neue Presse

Zahnpasta in Pillenform

Unverpackt-läden sprießen wie Pilze aus dem Boden. Seit 2018 hat sich ihre Zahl bundesweit nahezu verdoppelt. In Stuttgart gibt es jetzt die erste plastikfre­ie Drogerie.

- Von Dominique Leibbrand

Eigentlich hat Hergen Blases neuer Laden die perfekte Lage. In einer Seitenstra­ße, die vom Schlosspla­tz abzweigt – mitten in der Stuttgarte­r City also. Als der 51-Jährige Mitte Oktober eröffnete, lief das Geschäft denn auch gleich gut an. Bis zum Teil-lockdown Anfang November. Seither sind seine Umsätze deutlich eingebroch­en. Trotzdem ist Blase frohen Mutes, denn er weiß: Corona wird irgendwann vorbei sein, die Zeit für das Segment, in das er gestoßen ist, aber sei reif.

Blase setzt auf das Prinzip „Unverpackt“, er hat die erste plastikund palmölfrei­e Drogerie im süddeutsch­en Raum eröffnet. Vom Puder bis zum Waschmitte­l bietet der Unternehme­r in seinem Geschäft, das den Namen „Ohne Plapla“trägt, so gut wie alle Waren unverpackt beziehungs­weise in umweltfreu­ndlichen Behältniss­en an. Wie in Unverpackt-läden üblich können Kunden die losen Produkte in mitgebrach­te Behältniss­e füllen oder Mehrwegbeh­älter dafür kaufen.

Die Zahnpasta gibt’s etwa in Tablettenf­orm. Die kleinen Pillen werden zerkaut und dann mit der angefeucht­eten Bürste im Mund aufgeschäu­mt. Auch Shampoos und Duschgels findet man in fester Form als Shampoo-taler und Duschbrock­en, außerdem Deocreme zum Abfüllen und sogenannte Waschblätt­er, die man mit in die Maschine gibt. Auch Zutaten für Putz- und Reinigungs­mittel können sich die Kunden abfüllen, passend dazu kann man den 100 Prozent biologisch abbaubaren Öko-schwamm kaufen.

Ein kleines Sortiment an Kosmetikar­tikeln wie Lippenstif­t, Puder und Rouge führt Blase ebenfalls, wobei das noch ausbaufähi­g sei, wie er sagt. In diesem Segment sei es noch schwierige­r, plastik- und gleichzeit­ig palmölfrei­e Produkte zu finden. Eine Wimperntus­che kann er deshalb beispielsw­eise noch nicht bieten.

Dass Unverpackt-läden grundsätzl­ich funktionie­ren, weiß Blase bereits aus eigener Erfahrung. Seit eineinhalb Jahren führt er in Ludwigsbur­g ein solches Geschäft, das auf Verpackung­en verzichtet. Schwerpunk­tmäßig gibt es dort Lebensmitt­el. In der Drogerie-sparte sah der Unternehme­r, der zuvor 18 Jahre bei der Supermarkt­kette Kaufland das Thema Nachhaltig­keit vorangetri­eben hat, weiteres Potenzial und entschloss sich daher, den zweiten Laden zu eröffnen. „Hier gibt es das gebündelt, was sich die Kunden früher in einzelnen Läden zusammen suchen mussten.“

Mitten in der Krise ein Geschäft hochzuzieh­en – ein Risiko. Zumal das Thema Nachhaltig­keit in den vergangene­n Monaten dem alles überschatt­enden Virus Platz machen musste. „Mit Blick auf den Verpackung­smüll werden jetzt ein, zwei Augen zugedrückt“, sagt Blase. Gleichzeit­ig habe er das Gefühl, dass bei vielen Leuten gerade in der Krise ein Umdenken stattgefun­den habe.

Ein Trend, der vor Corona in vollem Gange war. Die durch die „Fridays for Future“-bewegung entstanden­e Sensibilis­ierung für ökologisch­e Themen habe der Unverpackt-branche enormen Auftrieb gegeben, sagt Gregor Witt, Vorsitzend­er des Verbands der Unverpackt-läden. Das Jahr 2019 sei das stärkste Jahr der noch jungen Branche gewesen, die ihren Anfang 2014 mit dem ersten Unverpackt-laden in Kiel nahm. 2018, als der Verband gegründet wurde, habe es bundesweit 80 solcher Läden gegeben, jetzt seien es schon 318.

Eine Zahl, die sich demnächst nochmal fast verdoppeln könnte, denn 235 weitere Geschäfte sind laut Witt derzeit in Planung. 49 davon in Baden-württember­g, wo es aktuell 41 Unverpackt-läden gibt. Fundierte Umsatzzahl­en kann Witt noch nicht vorlegen, dafür sei der Verband noch zu jung. Man arbeite daran und wolle bis Ende 2021 entspreche­nde Daten parat haben. Wie sich Corona auswirken wird, bleibt freilich abzuwarten.

Im „Ohne Plapla“mag die Kundenfreq­uenz zwar gesunken sein, dennoch geht alle paar Minuten die Türe auf. Für Blase eine schöne Bestätigun­g seiner Arbeit. „Ich sehe es als notwendig an, das Thema Nachhaltig­keit voranzutre­iben.“Ziel müsse sein, große Teile der Bevölkerun­g abzuholen.

Kunden können sich Zutaten für Putzmittel abfüllen.

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sind, verkauft Hergen Blase in fester Form – das ist unverpackt praktische­r.
Foto: Ferdinando Iannone Viele Produkte, die sonst eher flüssig sind, verkauft Hergen Blase in fester Form – das ist unverpackt praktische­r.

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