„Eitelkeit und Machtmissbrauch“
Ein Bluttest, der Brustkrebs erkennt? Die angebliche Weltsensation aus Heidelberg wurde zum Skandal. Das Urteil einer Untersuchungskommission fällt vernichtend aus.
Man möchte nicht in der Haut von Christof Sohn stecken. Der Chef der Universitätsfrauenklinik gilt als Hauptverantwortlicher im Heidelberger Bluttest-skandal: Er drängte zu einer voreilig einberufenen Pressekonferenz, schlug diverse Warnungen in den Wind, setzte die erfolgreiche Forscherin Rongxi Yang ab, holte den fachfremden Investor Jürgen Harder ins Bluttest-geschäft – und er gab der „Bild“-zeitung ein Interview, das der Auftakt für den größten PR-GAU in der Geschichte der Universität Heidelberg samt ihres Klinikums war.
Es ist ein für Sohn äußerst bitteres Fazit, das die beiden Vorsitzenden der so genannten Unabhängigen Kommission, Matthias Kleiner und Christine Hohmann-dennhardt, am Dienstag vor der Presse ziehen. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Vor allem Kleiner, Präsident der renommierten Leibniz-gesellschaft, lässt es nicht an Deutlichkeit vermissen, als er Sohns „Führungsversagen“geißelt.
Forscherin grundlos geschasst
Denn die Kommission ist der Meinung, dass der Bluttest-skandal nicht mit der missglückten Pr-kampagne vom 21. Februar begann – sondern schon mit der Entlassung Yangs 2017. Die Forscherin sei von Sohn als Projektleiterin unter fadenscheinigen Gründen geschasst worden. Die unerfahrene Sarah Schott führte von nun an das Team. Doch die Ergebnisse Yangs waren nicht mehr reproduzierbar. Und die Fördergelder des Bundes waren weg, da personengebunden an Yang. Kleiner spricht von „einer unangemessenen Entscheidung“. Sohn habe „das Forschungsprojekt an sich gezogen“.
Was folgte, waren eine verunglückte Pr-kampagne und eine voreilige Bekanntgabe des Projekts: eine Brustkrebs-früherkennung per Bluttest mit einer sagenhaften Trefferquote von 100 Prozent. So wurde es in den Vertrag mit Investor Harder eingearbeitet – der wegen dieser Versprechungen später Schadensersatzforderungen stellte. „Weltsensation aus Deutschland“, titelte die „Bild“. Dabei erreichte das neue Team von Sarah Schott maximal noch 70 bis 80 Prozent. Die Differenz zwischen 70 und 100 machte Kleiner für Laien verständlich: Letztlich habe der Test bei einem Drittel der untersuchten Frauen eine Krebserkrankung übersehen und bei einem Drittel gesunde Frauen zu kranken Frauen erklärt. Durchbruch? Meilenstein? Mitnichten. Das mit den 100 Prozent sei wohl „so durchgerutscht“, berichten die Kommissionsmitglieder sichtlich erschüttert.
Kleiner fragte sich, wie es dann zu der Pressekonferenz am 21. Februar kommen konnte. Seine Antwort: „Eitelkeit.“Eitelkeit, die er bei Sohn, möglicherweise aber auch beim Dekan der Medizinischen Fakultät, Andreas Draguhn, vermutet. Dazu kämen Machtmissbrauch, falsch verstandene Rücksicht auf Kollegen und falsch verstandene wissenschaftliche Freiheit. Die beiden letzteren Punkte treffen die Vorsitzende des Vorstands, Anette Grüters-kieslich, die noch kurz vor der Pressekonferenz von Projektleiterin Schott gewarnt worden sei. Vergeblich. Es sei zu spät, auch wiege die wissenschaftliche Freiheit schwer. Eine Argumentation, die Hohmann-dennhardt so gar nicht nachvollziehen kann. Eine Pressekonferenz könne man auch ganz knapp absagen, ohne die Gründe zu nennen. Und wissenschaftliche Freiheit beziehe sich nicht darauf, Dinge zu verbreiten, die nicht wahr seien.
Und es gab ja noch mehr Warnungen: Ein Uni-statistiker habe sich an Sohn und Schott gewandt, „die Zahlen seien noch überhaupt nicht stabil“. Schott wiederum wandte sich auch an ihren Vorgesetzten Sohn – und den Ex-„bild“Chefredakteur Kai Diekmann, der das Bluttest-projekt aus bis heute nicht nachvollziehbaren Gründen begleitete. Schließlich warnte die Sprecherin des Klinikums, Doris Rübsam-brodkorb, in Mails vor einem Pr-desaster. Es half nichts.
Das Fazit der Kommission ist vernichtend – für Sohn, aber auch für Teile des Vorstands. Und jetzt? Der Aufsichtsrat wollte den Kommissionsbericht „intensiv“diskutieren. Auch mit dem Vorstand stehe noch ein Gespräch an. Personelle Konsequenzen dürften zunächst keine anstehen. Der Aufsichtsrat müsse nun „auseinander dröseln, wo genau die Verantwortlichkeiten liegen“.