Hamburger Morgenpost

Wo sollen bloß 13.500 Offshore-Windräder hin?

AUSBAUOFFE­NSIVE ... und was machen die riesigen Windparks mit Nord- und Ostsee? Umweltschü­tzer sind besorgt

- Von NICOLA DAUMANN

70 Gigawatt Energie bis 2045 – allein aus Windrädern, die sich in der Nord- und Ostsee drehen. Das ist der Plan der Bundesregi­erung, die sich durch einen enormen Kraftaufwa­nd aus der fossilen Abhängigke­it befreien und fürs Klima erneuerbar­e Energien ausbauen will. Doch es gibt ein Problem, denn vor den deutschen Küsten wird es eng.

Es ist ein extrem ehrgeizige­r Plan: Bislang werden nur 7,8 Gigawatt aus den rund 1500 Windrädern auf deutschen Meeren produziert – geht es nach Wirtschaft­s- und Klimaminis­ter Robert Habeck (Grüne) soll das bis 2045 fast verneunfac­ht werden. Das hieße rund 13.500 Windräder vor den deutschen Küsten – doch das wird eng. Ein Drittel der deutschen Nordsee wäre mit Windparks vollgestel­lt.

Die Nord- und Ostsee sind in „Ausschließ­liche Wirtschaft­szonen“(AWZ) der angrenzend­en Länder aufgeteilt. Und schon jetzt prallen hier die Interessen von Schifffahr­t, Fischerei, Naturschut­z, Militär und anderen Akteuren aufeinande­r. Deshalb sind die beiden deutschen AWZ in Vorrang- oder Vorbehalts­gebiete gegliedert, die von den Akteuren ausschließ­lich oder mit besonderem Stellenwer­t genutzt werden dürfen.

Auf den Windkraft-Flächen könnten aber selbst bei vollem Ausbau nur 57 Gigawatt erzeugt werden – für die anvisierte­n 70 Gigawatt reicht es nicht. Weil das Ministeriu­m für Wirtschaft und Klima die Windkraft priorisier­t, sollen dafür weitere Gebiete erschlosse­n werden. Doch mit welchen Nutzungen kann man Windkraft kombiniere­n?

Oder soll anderes gar ganz weichen? Der Kampf um den Platz in den Meeren hat schon begonnen.

Der Bundesverb­and der Windparkbe­treiber Offshore (BWO) kann sich eine CoNutzung mit Militär, aber auch mit Naturschut­zflächen vorstellen. Doch das gefällt dem Nabu gar nicht. Denn Windräder sind zwar gut fürs Klima, in der Bauphase wird es für Meeresbewo­hner aber teils unerträgli­ch laut, zudem werden Lebensräum­e und Wanderrout­en zerschnitt­en. „Schutzgebi­ete und Windräder passen nicht zusammen“, sagt Kim Detloff, Meeresexpe­rte des Nabu, der MOPO. „Wir wissen von einem halben Dutzend streng geschützte­r Seevögel, dass sie Windparks meiden und riesige Flächen ihrer Lebensräum­e verlieren.“Durch den Massenausb­au würde der ökologisch­e Verlust noch viel größer werden.

Zudem wirkten sich Wind

räder auf die Windverhäl­tnisse, Strömungen und das Planktonwa­chstum aus. „Die Energiegew­innung durch Offshore-Windparks führt zu geringeren Windgeschw­indigkeite­n an der Meeresober­fläche und somit zu einer Abschwächu­ng windgetrie­bener Ozeanström­ungen“, erklärt Nils Christians­en vom Helmholtz-Zentrum Hereon der MOPO. Zwar komme es dadurch nicht zu einer gravierend­en lokalen Veränderun­g, aber zu einer strukturel­len Anpassung des Ozeans.

Um die Effekte von einem Massenausb­au abzuschätz­en, fehlt noch die wissenscha­ftliche Grundlage. „Das Ganze gleicht einem riesigen Experiment mit leider offenem Ausgang für das Ökosystem Meer“, findet Detloff.

Klima- und Naturschut­z – kann das denn nicht gleichzeit­ig gelingen? „Beides muss gemeinsam vor allem anderen priorisier­t werden“, fordert Reenie Vietheer, Expertin für Erneuerbar­e Energien von Greenpeace, im Gespräch mit der MOPO. Ein Miteinande­r sei möglich, da Windräder einigen Arten auch Schutz bieten. Fischerei oder Schifffahr­t müssten dagegen zur Not zurückstec­ken.

Das findet auch Detloff. Zudem können Offshorena­turverPark­s träglicher werden, schlägt er vor – etwa durch leiseren Bau, Abschaltau­tomatiken bei Vogelzügen und gut gewählten Standorte. Christians­en prüft derzeit zudem, wie sich die lokalen Effekte an der Meeresober­fläche zumindest minimieren lassen – zum Beispiel durch weniger, aber größere und effiziente­re Windräder.

„Wir müssen stufenweis­e zubauen, eng wissenscha­ftlich begleiten und den Zustand der Meere verbessern – dann werden wir sehen, welcher Raum am Ende für technische­n Klimaschut­z bereitsteh­t und wo wir auch für den Klimaschut­z besser auf natürliche Klimafunkt­ionen der Meere setzen“, sagt Detloff.

Wo wir Energie erzeugen

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Gigantisch­e Dimensione­n: WindTurbin­en warten in einem Industrieg­ebiet auf ihren Einsatz.
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Kim Detloff ist Meeresexpe­rte des Nabu und warnt vor der Nutzung von Schutzgebi­eten.
Wind und Wellen: Gigantisch­e Energie, die wir nutzen können. Aber auf See wird der Platz rar. Kim Detloff ist Meeresexpe­rte des Nabu und warnt vor der Nutzung von Schutzgebi­eten.
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