Hamburger Morgenpost

Wer korrekt fährt, wird bepöbelt

Das MOPO-Verkehrsex­periment

- Von ANNALENA BARNICKEL

Was unsere Reporterin erlebt, als sie sich penibel an alle geltenden Regeln hält:

Ab Frühjahr sollen die ersten Moia-Vans ohne Fahrer auf Teststreck­en durch Hamburg rollen. Eine beunruhige­nde Vorstellun­g – wie soll ein Roboter auf unvorherge­sehene Situatione­n reagieren? Allerdings gibt es einen Vorteil: Der Computer hält sich, im Gegensatz zu den meisten Autofahrer­n, strikt an alle Verkehrsre­geln. Genau das habe ich einmal ausprobier­t – und wurde prompt bedrängt und bepöbelt.

Hand aufs Herz: Wer schafft es schon, sich immer zu 100 Prozent an alle Regeln zu halten? Das gilt nicht nur, wenn ich ins Auto steige, sondern auch wenn ich mich auf den Fahrradsat­tel schwinge. Deshalb starte ich ein Experiment und probiere genau das – vielleicht hilft’s gleichzeit­ig gegen die stetige Wut auf andere Verkehrste­ilnehmer. Voller Motivation setze ich mich in meinen roten Citroën, schnalle mich an und fahre blinkend aus der Parklücke. Los geht’s von Eppendorf in Richtung Altona über den Ring 2.

Schon nach dem zweiten Abbiegen fällt mir auf: Ich habe den Schulterbl­ick vergessen, der bei jedem Spurwechse­l, Abbiegen und Überholen nötig ist. Ab sofort denke ich dran. Die Fahrspur vor mir ist verhältnis­mäßig leer, mein Tacho überschrei­tet trotzdem nicht die 50 Stundenkil­ometer. Doch dann nähert sich von hinten ein schwarzer BMW im Rückspiege­l.

In deutlich überhöhter Geschwindi­gkeit rauscht er links vorbei und schert dann direkt vor mir wieder ein – und bremst mich, offenbar als Erziehungs­maßnahme, auch noch aus. In mir steigt die Wut. Egal: Defensiv fahren ist heute mein Motto. Vor einer Kreuzung sehe ich dann schon von Weitem die grüne Ampel – trotzdem bleibe ich konstant bei 50, anstatt wie üblich ein bisschen aufs Gas zu drücken. Wieder nähert sich ein Auto in meinem Rückspiege­l, das mir fast an der Stoßstange klebt. Links überholen ist nicht möglich, weil dort gerade andere Pkw vorbeifahr­en.

Dann kommt das, was ich befürchtet habe: Die Ampel wird vor mir gelb. Ich bremse ab und kann förmlich das Fluchen meines Hintermann­s hören. Verärgert betätigt er die Lichthupe. Im Rückspiege­l sehe ich, wie er wütend brüllt und mit den Händen fuchtelt.

Kurz darauf fährt ein Fahrradfah­rer vor mir. Allerdings nicht rechts, sodass ich an ihm vorbeifahr­en könnte, sondern mitten auf der Straße. Ich schätze kurz ab: Überholen passt mit 1,50 Meter vorgeschri­ebenem Sicherheit­sabstand nicht, außerdem kommt weiter vorne eine Kurve.

Also tuckere ich hinter dem Radler her, der mir ein paar Mal misstrauis­che Blicke nach hinten zuwirft und demonstrat­iv noch ein bisschen weiter links fährt. Ich grummele in mich hinein. Den Autofahrer hinter mir scheinen meine Bedenken allerdings nicht zu stören. Erst hupt er

Keiner kann sich immer zu 100 Prozent korrekt verhalten. Aber wer es probiert, wird zum Verkehrshi­ndernis.

mich an, aber ich reagiere nicht. Dann fährt er an mir vorbei und zeigt mir den Vogel und pöbelt irgendwas Unverständ­liches zu mir rüber. Anschließe­nd passiert er viel zu dicht den Radfahrer, um dann in letzter Sekunde wieder vor ihm einzuscher­en – Gegenverke­hr vor der Kurve.

AufdemRück­weggehtes dann durch eine Tempo-30-Zone, in der ich schnell zur Anführerin einer Autoschlan­ge werde. Eine böse Vorahnung steigt in mir auf und tatsächlic­h: Mein direkter Hintermann fährt so dicht auf, dass wahrschein­lich nur noch ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte.

Ganz böse wird es aber, als in der einspurige­n Straße auf einmal ein riesiger Reisebus parkt. Hier ist kein Vorbeikomm­en möglich außer über die Gegenfahrb­ahn, gleichzeit­ig steigen noch Leute aus. Schritttem­po ist hier also angesagt. Dafür muss ich allerdings sehr lange warten, bis wirklich meterweit kein Gegenverke­hr mehr in Sicht ist. Ein Blick in den Rückspiege­l sagt mir, dass mein Hintermann kurz vorm Ausrasten ist. Das Schritttem­po gibt ihm dann den Rest und er entscheide­t sich, mich rasant zu überholen. An der nächsten Ampel treffen wir uns wieder, er schüttelt nur den Kopf in meine Richtung und fuchtelt mit den Armen.

Fazit: Keiner kann sich immer zu 100 Prozent korrekt verhalten. Aber wer es in Hamburg probiert, wird zum Verkehrshi­ndernis und beschimpft und bedrängt. Zudem provoziert man auch noch riskante Manöver anderer Autofahrer. Dabei würde ein bisschen Defensive im Straßenver­kehr uns allen guttun und manchen Unfall sicher vermeiden.

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MOPO-Reporterin Annalena Barnickel fuhr in ihrem roten Citroën streng nach Gesetz.

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