Das Gezerre um den Lockdown
Wie das Land um die richtigen Maßnahmen ringt
Zwischen Lockerungen und Verschärfungen: In der dritten Corona-Welle scheint es keine einheitliche Linie in Deutschland zu geben. Während einige Regionen bereits aus dem Lockdown aussteigen, fordern Experten sofortige Verschärfungen. Für Aufsehen sorgte der Vorschlag eines „Brücken-Lockdowns“von CDU-Chef Armin Laschet. Wie Deutschland um die richtigen Maßnahmen ringt.
Wir befinden uns mitten in der dritten Corona-Welle. Zwar lag die Zahl der Neuinfektionen gestern mit 6885 unter dem Vorwochenniveau (9549). Das liegt laut Robert-Koch-Institut (RKI) aber daran, dass über die Osterfeiertage weniger Menschen getestet und weniger Fälle gemeldet wurden. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag gestern bei 123,0 (Vortag: 128,0).
Angesichts der hohen Infektionszahlen fordern Experten immer wieder härtere Maßnahmen im Kampf gegen das Virus. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Ver- einigung Westfalen-Lippe, Dirk Spelmeyer, sagte gestern im Hörfunk von WDR 5, er würde sich einen „harten und knackigen Lockdown“wünschen. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht einen „harten Lockdown“mit verschärften staatlichen Beschränkungen als nötig an, wie er gestern bei RTL/ntv sagte. Dazu gehören aus seiner Sicht Ausgangsbeschränkungen, aber auch eine Homeoffice- und Testpflicht in den Betrieben.
Hamburg hat solche Maßnahmen am Karfreitag bereits eingeführt: Unter anderem gilt eine nächtliche Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr. „Diese dritte Welle klingt immer so seicht. Wir haben eine Sturmflutwarnung aus der Wissenschaft bekommen, und wir in Hamburg machen dann gleich die Schotten zu und warten nicht, dass uns das
Wasser bis zum Hals steht“, sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in einem „ZDF spezial“am Donnerstag. In Hamburg lag die Inzidenz gestern bei 149,7; die Impfquote betrug am 5. April 12,8 Prozent.
Im krassen Gegensatz dazu haben andere Bundesländer nun sogar großzügige Lockerungsstrategien in Kraft gesetzt. Allen voran das Saarland, das ein „Corona-Modellprojekt“durchführt: Negativ Getestete dürfen hier seit gestern eine ganze Reihe von Einrichtungen wieder besuchen – zum Beispiel Kinos, Konzerthäuser, Fitnessstudios und Tennishallen.
Auch die Außengastronomie darf öffnen und Kontaktsport wie Fußball ist wieder erlaubt. Die Lockerungen sind laut Corona-Schutzverordnung möglich, weil die SiebenTage-Inzidenz in dem Bundesland bereits seit Tagen stabil unter 100 liegt (gestern: 77,8). Zudem ist das Saarland bei den Erstimpfungen mit einer Impfquote von 14,6 Prozent bundesweit auf dem dritten Platz (Stand: 5. April). „Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen, als nur zu schließen und zu beschränken“, so Ministerpräsident Tobias Hans (CDU).
Außerdem macht sich Niedersachsen locker. Die Landesregierung hat 14 Kommunen für Modellprojekte zur Öffnung von Läden, Kultur und Außengastronomie ausgewählt, darunter Buxtehude und Lüneburg. Die Außenbereiche von Gastronomie, Kinos und Theater darf betreten, wer einen negativen Test vorzeigt und eine App zur Kontaktnachverfolgung nutzt.
Auch in sieben Landkreisen des Freistaats Sachsen gibt es seit gestern infolge einer stabilen Sieben-Tages-Inzidenz von unter 100 Lockerungen: Dort durften unter anderem Botanische Gärten, Zoos und Museen sowie körpernahe Dienstleistungen wie Kosmetik- und Tattoostudios für negativ Getestete öffnen.
Allerdings: In ganz Sachsen gab es gestern eine Inzidenz von 180,7, die Impfquote lag am 5. April bei 11,2 Prozent – bundesweit der schlechteste Wert. Lauterbach hält die Lockerungen daher für das falsche Signal. „Ein Lockdown, der jetzt beginnt, ist nicht vermittelbar, wenn gleichzeitig in Modellprojekten gelockert wird“, sagte er.
Also doch wieder alle zurück in den Lockdown? CDU-Chef Armin Laschet jedenfalls sorgte bei seinen Länderkollegen mit seiner Idee eines „Brücken-Lockdowns“nicht für Euphorie. Der Vorschlag: in den harten Lockdown gehen, bis viele Menschen geimpft sind.
Laut Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) werfe der Vorschlag zu viele Fragen auf. „Ein Brücken-Lockdown für eine Übergangszeit und dann mit welchen Maßnahmen? Und das soll so lange gelten, bis viele Menschen geimpft sind. Was heißt das alles?“, sagte er der ARD. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) gestern dazu: „Es wäre ja schon viel geholfen, wenn das, was Hamburg jetzt macht, in anderen Bundesländern umgesetzt werden würde.“
Gestern präzisierte Laschet seinen Vorschlag. So ein Lockdown solle „zwei bis drei Wochen“dauern. Es sei absehbar, dass schon in ganz kurzer Zeit 20 Prozent, danach 30, 40 Prozent der deutschen Bevölkerung geimpft seien, so Laschet im „Morgenmagazin“von ARD und ZDF. Jetzt gehe es darum, in diesem letzten Stück der Pandemie noch einmal herunterzugehen, so der Politiker.
Laschet wünscht sich nun ein Vorziehen der für den 12. April geplanten Bund-Länder-Beratungen über das weitere Vorgehen in der Corona-Krise. Damit stößt er auf gemischte Reaktionen: Während Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) den Vorschlag begrüßt, ist Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) skeptisch. Auch SaarlandChef Hans will am 12. April nicht rütteln.
Laut ntv lehnte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Vorziehen der Beratungen in einem Telefongespräch mit Armin Laschet ab – dem Bericht zufolge wollte Laschet das Treffen auf morgen vorziehen.
Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen, als nur zu schließen und zu beschränken.
Tobias Hans (CDU), Saarland