Nein, das gebietet schon die Gerechtigkeit!
Um es vorwegzusagen: Ich glaube nicht an Gott. Kirchen sind für mich eher Orte mit fragwürdiger Historie als heilige Stätten, Weihnachten ist für mich kein religiöses Fest, sondern Anlass, sich mal ausgiebig mit der Familie zu betrinken. Und es ist natürlich immer leicht, Verzicht zu fordern, wo es einen selbst nicht tangiert. Ich möchte aber auch betonen: Vor dem Glauben anderer Menschen habe ich den größten Respekt. Trotzdem gehören Weihnachtsgottesdienste im Pandemie-Jahr 2020 aus meiner Sicht verboten. Denn es geht hier nicht um Infektionsschutz. Sondern auch um gesellschaftliche Gerechtigkeit in einer Zeit, in der die Frustration eh schon riesig ist. Die Meldung vom Dienstag machte mich stutzig: Michel fast ausgebucht! Allein dieser Begriff! In Corona-Zeiten ist er zuletzt weitestgehend aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Konzerte: abgesagt. Festivals: gestrichen. Hotels: für Touristen geschlossen. Theater: verwaist. Und ausgerechnet mitten im Corona-Winter, in dem ganz Deutschland von Verzicht gebeutelt ist, bekommen Christen an Heiligabend eine Extrawurst und buchen sich munter Tickets für ihren Gottesdienst. Da frage ich mich doch: Warum ist das so? Dahinter steht nämlich ein merkwürdiges Selbstverständnis, das besagt: Die Bedürfnisse von Gläubigen stehen über den Bedürfnissen von Nicht-Gläubigen. Von jenen zum Beispiel, die an Weihnachten sonst traditionell in die Oper gehen oder ins Theater. Denn darum geht es hier: um Traditionen, die in der Pandemie nicht verfolgt werden können. Traditionen, die Hoffnung geben, die glücklich machen. Aber die unter Infektionsschutzaspekten einfach nicht drin sind. So schwer es fällt. Klar, es gibt ein Hygienekonzept, zur Messe in den Michel dürfen Stand jetzt höchstens 200 Personen gleichzeitig kommen. In dieses gigantische Bauwerk, wo sonst Platz für Hunderte mehr ist. Abstandhalten ist damit also kein Problem, und Aerosole verdünnisieren sich in dem gigantischen Kirchenschiff vermutlich recht verlässlich. Aber müsste man, wenn man Gottesdienste in kleinem Rahmen erlaubt, dann nicht auch die Staatsoper für einen kleinen Kreis öffnen? Nur diese paar Male, weil eben Weihnachten ist? Das würde wieder neue Menschen aus ihren Wohnungen auf die Straße treiben. In die öffentlichen Verkehrsmittel. Und wenn man die Oper öffnet, warum nicht auch das Schauspielhaus? Das kleine Theater in der Nachbarschaft? Und die Restaurants?
Einfach weil nur das gerecht wäre?
Nun schützt unsere Verfassung die Religionsausübung nicht ohne
Grund. Allerdings wäre sie auch nicht das einzige Grundrecht, das in der Pandemie zurückstehen muss. Das kann man grundsätzlich kritisieren oder es komplett verständlich finden. So oder so war dieses Jahr ein einziger Verzicht. Ziehen wir’s doch einfach durch – gemeinsam.