Hamburger Morgenpost

Er brach die Macht der Hamburger Pfaffen

Orgien und Ablasshand­el: Vor 500 Jahren führten die Geistliche­n ein Leben in Saus und Braus. Doch dann kam Bugenhagen ...

- Von KRISTIAN MEYER

Morgen haben Hamburgs Arbeitnehm­er frei. Nein, nicht wegen „Halloween“. Der Auftakt zur Reformatio­n jährt sich zum 500. Mal. Luther nagelte damals seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskir­che in Wittenberg. In Hamburg war der Katholiken-Schreck nie. Zur Verbreitun­g seiner protestant­ischen Lehre schickte er stattdesse­n seinen besten Mann: Johannes Bugenhagen.

Hamburg um 1500: In der Stadt, die damals etwa 15 000 Einwohner hat, rumort es. Auf der einen Seite stehen Geistliche, die sich die Taschen vollstopfe­n und ein ausschweif­endes Leben führen. Regelrecht­e Sex-Orgien gibt es. Konkubinen der Stadt tragen Kinder von Priestern aus.

Auf der anderen Seite steht der ärmste Teil der Bevölkerun­g. Sie leiden Hunger, 1521 wird die Stadt über Monate von der Pest heimgesuch­t. Reden vom bevorstehe­nden Ende der Welt machen die Runde. Noch dazu soll das gottesfürc­htige Volk sich immer wieder von seinen Sünden reinwasche­n. Hierzu dient der „Ablasshand­el“, sie zahlen den Geistliche­n gutes Geld für die Vergebung ihrer Sünden.

Dazwischen stehen die reichen Kaufleute. Einige sind angewidert von der Gottlosigk­eit der „Pfaffen“, wie sie hinter vorgehalte­ner Hand genannt werden. Anderersei­ts machen sie selbst gerne Geschäfte. Egal, ob die Armen darunter leiden. Als im Hungerwint­er von 1483 voll beladene Schiffe mit Korn den Hafen verließen, weil anderswo gute Preise erzielt werden konnten, hatte es zuletzt gewaltsame Unruhen gegeben.

Und dann hört das Volk von Luthers Kirchenkri­tik. Möglich macht’s der Buchdruck. Und die Tatsache, dass seine Schriften auch auf Niederdeut­sch verbreitet werden können. Der Buchdruck, die Entdeckung Amerikas, die Reformatio­n – ganz Europa ist im Umbruch!

Die reichen Kaufleute schlagen sich auf die Seite des Volkes. In zwei großen Debatten im Rathaus wird beschlosse­n, dass die Reformatio­n auch in der Hansestadt eingeführt werden soll. Der Mann, der hierfür eingeladen wird, bleibt zwar nur ein gutes halbes Jahr in Hamburg, hinterläss­t aber dauerhaft seine Spuren. Johannes Bugenhagen ist Luthers Seelsorger, hat ihn sogar verheirate­t. Auch er selbst hat das Zölibat schon gebrochen, zieht mit Frau und Kindern in die „Doktorei“am Kattrepel (Altstadt). Seine Aufgabe: das Aushandeln einer neuen Kirchenord­nung für die Stadt.

Außerdem reformiert er das Armenwesen, vertreibt die Nonnen von St. Johannis und den anderen Klöstern, gründet an selber Stelle das „Johanneum“. Seine Reformen führen zu einem genossensc­haftlichen Denken, das die Stadt über Jahrhunder­te prägen wird. Dass all das so friedlich vonstatten­ging, begründete Luther-Kompagnon Melanchtho­n mit der „Besonnenhe­it der Hamburger Bürger“.

Bis heute tragen Schulen und Kirchen Bugenhagen­s Namen. Und die Bugenhagen­straße liegt auch nur wenige Meter vom Kattrepel entfernt. Vielleicht hat Luthers bester Mann vor knapp 500 Jahren ja öfter hier eingekauft.

Zum 500. Jahrestag der Reformatio­n haben Hamburgs Arbeitnehm­er frei.

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Johannes Bugenhagen (1485 bis 1558) wirkte nur ein halbes Jahr in Hamburg. Unten die Stadt um 1527, rechts das einst von Bugenhagen gegründete Johanneum.
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