Ihr Pfuscher der Welt, schaut in diesen Tunnel!
17 Jahre Bauzeit, 11 Milliarden teuer: Schweizer zeigen, wie man ein Großprojekt plangemäß fertigstellt. Was wir Deutschen davon lernen können
Pollegio – Es ist der längste Eisenbahntunnel der Welt. Der Gotthard-Basistunnel wurde gestern nach 17 Jahren Bauzeit eröffnet – in einem Jahr beginnt der kommerzielle Betrieb. Gleichzeitig hängen diverse Mammut-Projekte in Deutschland in der Warteschleife. Während das größte Schweizer Bauprojekt aller Zeiten kaum mehr kostet als geplant, explodieren die Baukosten vieler unserer Prestige-Projekte.
Mit einem „Bahn frei“gab der Schweizer Bundespräsident den neuen Gotthard-Tunnel frei. Auf das Signal hin fuhren zwei Züge mit je 500 Bürgern vom Nord- und Südportal aus in den 57 Kilometern langen Eisenbahntunnel und waren nach knapp 20 Minuten auf der jeweils anderen Seite. Zur Eröffnung kamen Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Premier Matteo Renzi nach Pollagio ins Tessin.
Dieses überpünktliche Fahrvergnügen ist der präzisen Arbeitsweise der Eidgenossen zu verdanken. Und deren Demokratieverständnis. Präzise wurde das Mammutprojekt geplant. Anders als bei Stuttgart-21 stimmten die Schweizer sieben Jahre vor Baubeginn per Volksabstimmung über das Vorhaben ab – die Akzeptanz ist bis heute hoch. Acht von zehn Schweizern finden die rund elf Milliarden Euro Baukosten gerechtfertigt. Als Grund nannten sie wirtschaftliche Vorteile und „das Bild der Schweiz im Ausland“. Bemerkenswert: Das Jahrhundertprojekt wurde im Rahmen des vor über zwei Jahrzehnten geplanten Budgets fertiggestellt.
Dafür sprengten, bohrten und schwitzten 2000 Beschäftigte 17 Jahre rund um die Uhr in drei Schichten. Insgesamt wurden 28,2 Millionen Tonnen an Steinmassen bewegt.
Der Tunnel soll den Transport von Gütern und Menschen beschleunigen. Stolz verkündet Renzo Simoni, Chef der Alptransit Gotthard AG, die Bauherr des Mega-Tunnels war: „Die Europäer werden durch unseren Tunnel näher zusammenrücken.“
Wenn denn alle mitspielen würden. Denn beim Güterverkehr hängt viel von Deutschland ab. „Der Tunnel funktioniert nur, wenn die nachgelagerten Schienennetze deutlich ausgebaut werden“, sagt Frank Rösch vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) spricht von einer „Blamage“– die wichtige Zubringerstrecke Karlsruhe–Basel wird erst bis 2035 viergleisig ausgebaut. Frühestens. Das Verkehrsministerium hat bereits eingestanden, mit
dem Zeitplan in Verzug zu sein.
Verzögerungen und aberwitzige Kostenexplosionen an deutschen Großbaustellen haben weltweit für Negativ-Schlagzeilen gesorgt. In Hamburg soll die Elbphilharmonie im Januar 2017 eröffnen – geplant war 2010. Die Kosten für die Steuerzahler haben sich mit 789 Millionen Euro derweil verzehnfacht. Einen Eröffnungstermin für das berühmteste Milliardengrab Deutschlands, den Berliner Pan-nenflughafen BER, gibt es bis heute nicht.
Der gute Ruf „made in Germany“scheint aber nicht an Strahlkraft zu verlieren – neben vielen deutschen Ingenieuren kam ein Großteil der Maschinen, die sich durch den Gotthard frästen, aus Deutschland.