Von der LPG in die SPD
Dagmar Ziegler lernte Ökonomie in der DDR und arbeitete auf volkseigenem Rindermastbetrieb. Jetzt wird sie Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags
Dagmar Ziegler soll neue Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags werden. Die SPD-Fraktion hat die 60-jährige Abgeordnete am Dienstag in einer turbulenten Sitzung für die Nachfolge des im Oktober gestorbenen Thomas Oppermann nominiert. Der galt nicht nur in den Reihen der Genossen als Integrationsfigur. Sein Erbe antreten wollte auch die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. Das Rennen galt zu Beginn der Sitzung als offen, doch schließlich verzichtete Schmidt zugunsten Zieglers.
Die in Westdeutschland kaum bekannte Abgeordnete ist seit 2013 eine von vier Parlamentarischen Geschäftsführerinnen der SPD-Fraktion. Geboren in Sachsen, studierte sie noch zu DDR-Zeiten Finanzwirtschaft. Anschließend arbeitete sie in der Leipziger Filiale der DDR-Staatsbank. Später war sie als Ökonomin auf einer großen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) mit Rindermast in Lenzen (Elbe) tätig – bis zur Wende 1990. Noch im selben Jahr gründete sie einen SPD-Verband in Lenzen und engagierte sich in der Kommunalpolitik. Von 1994 bis 2009 saß sie im Brandenburgischen Landtag. Auch wenn sie ihre betriebswirtschaftlichen Studien während der sozialistischen Planwirtschaft absolvierte, fand sie sich in den Strukturen der Marktwirtschaft schnell zurecht. Auf ihr Talent, fiskalische Zusammenhänge zu erfassen und zu erklären, wurde Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe aufmerksam. Er holte Ziegler 2000 als Finanzministerin in die Landesregierung. In diesem Amt blieb sie auch unter Matthias Platzeck, nach der Landtagswahl 2004 wurde sie Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie. 2009 gewann sie das Direktmandat für den Bundestag im ländlich geprägten Wahlkreis Prignitz-OstprignitzRuppin-Havelland. Praktisch auf Anhieb wurde sie eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden. In den folgenden Wahlperioden zog sie jeweils über die Liste in den Bundestag ein und erwies sich als talentierte Netzwerkerin. So ist die Mutter zweier Kinder eine der Sprecherinnen des Seeheimer Kreises der eher konservativen SPD-Abgeordneten. Dass Dagmar Ziegler dennoch die Wunschkandidatin des linken Bundestagsfraktionschefs Rolf Mützenich war, hat mit Proporzgründen zu tun. Ihre Nominierung gilt als Zugeständnis an den konservativeren Flügel und Signal an die Parteifreunde in Ostdeutschland. Hätte sich Ulla Schmidt mit ihrer Gegenbewerbung durchgesetzt, wäre nicht nur die Autorität Mützenichs beschädigt gewesen. Auch die Fassade der Einigkeit, mühsam gezimmert nach jahrelangen Personalquerelen, hätte breite Risse bekommen. Über die Ernennung Zieglers zur Bundestagsvizepräsidenten entscheidet das Parlament am Donnerstag. Bernhard Junginger