Wie Würzburg zum Hotspot wurde
Wie konnte es in der Stadt am Main zum höchsten Sieben-Tage-Inzidenz-Wert in Deutschland kommen? Ein Blick auf Schoppentrinker, Reiserückkehrer und Massentests
Würzburg Die Sonne glitzert im Main, der Silvaner im Glas. Die Würzburger tummeln sich auf der Alten Mainbrücke, auf der einen Seite geht der Blick hoch zur Festung, auf der anderen hinüber zum Dom. Bis zum 11. September war das jedenfalls so. Seither ist nichts mehr wie gewohnt, seither steht Würzburg als Corona-Hotspot bundesweit in den Schlagzeilen. Zeitweise steigt in der Stadt am Main die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 75. Und viele Menschen stellen sich die Frage: Warum hat das Coronavirus – wie schon zu Beginn der Pandemie – Würzburg so fest im Griff?
Ein Blick zurück. Am 7. September liegt die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100000 Einwohner für Würzburg nach Angaben des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bei 36,92. Der bayerische Grenzwert von 35 ist zum ersten Mal überschritten. Die Stadt wolle es vorerst beim „erhobenen Zeigefinger“belassen, teilt ein Pressesprecher mit. Drei Tage später ist auch der bundesweit geltende Grenzwert von 50 überschritten: Würzburg liegt bei 67,25. Seit Beginn der Pandemie sind in der Stadt bis zu diesem Zeitpunkt insgesamt 632 Personen positiv auf Covid-19 getestet worden.
Nun muss die Stadt reagieren. Neben dem Alkoholverbot auf der Alten Mainbrücke werden die zulässigen Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen halbiert, in geschlossenen Räumen sind nur noch 50 statt 100 und im Freien 100 statt 200 Personen erlaubt. Bei Verstößen droht ein Bußgeld von 25000 Euro. Mehrere Infektionsherde gehen auf Privatveranstaltungen zurück, sagt das Gesundheitsamt.
Sonntag, 13. September. Der Inzidenz-Wert in Würzburg liegt laut LGL bei 69,90. Beim Robert KochInstitut (RKI) ist der Wert aufgrund von Meldeverzögerungen noch geringer: 61,0. Dennoch: Würzburg liegt jetzt bundesweit an der Spitze. Eine weitere Beschränkung der Stadt kommt, nun dürfen sich nur noch bis zu fünf Personen treffen, Feiern im öffentlichen Bereich sind komplett untersagt.
Ende der Ferienzeit. Die Reiserückkehrer kommen ins Spiel. Sie und ihre Kontaktpersonen machten etwa 50 Prozent aller Infizierten in Würzburg aus, teilt der Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt (CDU) mit: „Bei vielen wurauch erst während ihres Aufenthalts der Urlaubsort zum Risikogebiet. Dafür können sie nichts.“Eine weitere Hiobsbotschaft kommt hinzu. Vier Tage läuft die Schule, dann wird am ersten Sonntag nach den Sommerferien bekannt: Das Röntgen-Gymnasium muss wegen zwei Corona-Fällen schließen. An einer eigens aufgebauten Teststrecke neben dem Fußballstadion der Würzburger Kickers müssen sich 850 Schüler und Lehrer auf Covid-19 testen lassen. Und bald wird klar: Es ist nicht nur das Röntgen-Gymnasium, acht weitere Schulen im Stadtgebiet sind betroffen.
Ein paar Kilometer weiter ist am Main eine öffentliche Teststrecke für alle aufgebaut. Auch hier ist der Andrang groß. 1185 Personen lassen sich testen. In Relation zur Gesamtbevölkerung in Stadt und Landkreis von 290000 ein hoher Anteil. Auch dem OB ist klar, dieser Test-Tag wird den Inzidenzwert weiter in die Höhe schießen lassen.
Doch wie und warum ist Würzburg auf der Corona-Karte des Landes zum tiefroten Flecken geworden? Die steigenden Werte können nicht allein an den Reiserückkehrern festgemacht werden. In den Urlaub sind schließlich nicht nur die Würzburger gefahren. Der Oberbürgermeister berichtet auch von sogenannten Superspreadern in der Domstadt – also einzelnen Menschen, die das Virus in großem Stil weiterverbreitet haben: „Fakt ist, dass bei einer Grenze des Inzidenzwerts von 50 und einer Bevölkerungszahl von 128 000 zwei mittlere Ereignisse mit ,Superspreadern‘ reichen, um sofort im knallroten Inzidenz-Bereich zu liegen“, sagt er.
Die Vorfälle, die Schuchardt meint, betreffen eine Bar und eine Shisha-Bar in der Innenstadt. Dort hatten laut Gesundheitsamt sowohl Reiserückkehrer als auch Bedienungen die Infektion übertragen. In der Shisha-Bar sei sogar die Wasserpfeife unter den Besuchern weitergede reicht worden. Insgesamt wurden nach Angaben des Gesundheitsamtes bei den Vorfällen 44 Personen infiziert.
Bereits im Frühjahr war Würzburg als Corona-Hotspot in Deutschland im Mittelpunkt des medialen Interesses gestanden. Damals grassierte das Virus im Seniorenheim St. Nikolaus. 74 Bewohner waren mit dem Virus infiziert, 25 starben. Dass es wieder so weit kommt, will Schuchardt um jeden Preis verhindern.
Superspreader? Reiserückkehrer? Weintrinker? Was den Inzidenz-Wert nach oben schnellen ließ, war wohl auch der 14. September: An diesem Tag fanden laut Schuchardt 25 Prozent aller bayerischen Tests in Würzburg statt. Zwei Tage später fließen die Ergebnisse der Testungen in die Statistik: Würzburg hat laut LGL nun einen Inzidenz-Wert von 75,07. So hoch wie in keiner anderen deutschen Stadt. Die Zahl der insgesamt auf das Coronavirus positiv getesteten Personen in Stadt und Landkreis Würzburg beträgt nach Informationen des Landratsamtes inzwischen 1288, davon entfallen 702 auf die Stadt und 586 auf den Landkreis Würzburg. „Ich freue mich über die hohe Testung, auch wenn dies den Preis hat, dass wir in der Werte-Liste immer weiter nach oben steigen“, erklärte der Oberbürgermeister einen Tag nach den Tests. Die Stadt verschärft die Maßnahmen am 14. September noch weiter: In allen Lokalen in der Innenstadt gibt es ab 22 Uhr nun ein Speise- und Ausschankverbot. Am 18. September kommt die Nachricht der Stadt, dass die Lokale zumindest eine Stunde länger öffnen dürfen.
Die hohen Inzidenz-Zahlen haben weitere Auswirkungen: Würzburg wird in einigen Regionen Deutschlands zum Risikogebiet erklärt. In einem Hotel auf Rügen werden Urlauber vor die Tür gesetzt. Es herrscht „Beherbergungsverbot“für Würzburger. Mehr Tests bedeuteten eben auch mehr positive Fälle, sagt Schuchardt. „Andere Kommunen, die weniger testen, haben zwar bessere Werte. Das kann aber auch heißen, dass sie nur eine höhere Dunkelziffer haben.“Schließlich hat die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100000 Einwohner eine Schwäche: Die Anzahl der Tests wird nicht berücksichtigt.
Mittlerweile ist der Wert für Würzburg wieder zurückgegangen. Am Donnerstag lag er bei 45,4.