Pogacar schreibt Radsport-Geschichte
Der 21-jährige Slowene gewinnt das größte Radrennen der Welt. In Erinnerung bleibt ein Duell mit einer wundersamen Wendung und einem tragischen Zweiten Primoz Roglic
Paris Arm in Arm gingen Tadej Pogacar und Primoz Roglic nach ihrem historischen Duell auf die Tour d’Honneur, dann erreichte der slowenische Nationalfeiertag auf den Champs-Élysées seinen Höhepunkt. Nach einem an Dramatik kaum zu überbietenden Finale hat sich Pogacar, das neue Wunderkind des Radsports, als zweitjüngster Gesamtsieger in den Geschichtsbüchern der Tour de France verewigt.
„Das ist unglaublich, einfach nicht zu begreifen. Es war mein Traum, einmal bei der Tour zu starten. Jetzt habe ich sie gewonnen“, sagte Pogacar. Im Bergzeitfahren hatte er seinem Landsmann Roglic das sicher geglaubte Gelbe Trikot noch entrissen. So stand nicht der große Favorit, sondern der Mann aus Komenda im Alter von nur 21 Jahren und 365 Tagen vor dem Arc de Triomphe im Rampenlicht.
Paris war fest in slowenischer Hand nach dem historischen Doppelsieg, viele weiß-blau-rote Fahnen waren zu sehen – trotz der Corona-Beschränkungen im Zielbereich. Auch Staatspräsident Borut Pahor war extra eingeflogen. Schließlich hatte das kleine Land auf dem Prachtboulevard, wo der Ire Sam Bennett die 21. und letzte Etappe gewann, den größten Erfolg seiner Sportgeschichte zu feiern. Möglich machte ihn Pogacar, der jüngste Sieger seit Henri Cornet, 19, im Jahre 1904. Die Radsport-Prominenz ist hellauf begeistert von dem neuen Tour-Patron.
Für Eddy Merckx ist Pogacar „ein ganz Großer“und Greg Lemond sprach von der „Geburt eines großen Champions“. Der Amerikaner fühlte sich an seinen Triumph vor 31 Jahren erinnert, als er im abschließenden Einzelzeitfahren dem Franzosen Laurent Fignon noch das Gelbe Trikot entriss und mit acht Sekunden Vorsprung gewann. „Ich habe vor dem Fernseher geschrien, so wie ich 1989 auf den ChampsÉlysées bei meinem Sieg geschrien habe“, sagte Lemond dem französischen Tour-Organ L’Equipe.
Einen Rückstand von 57 Sekunden hatte Pogacar bei seiner famosen Triumphfahrt im Bergzeitfahren von La Planche des Belles Filles am Samstag aufgeholt, tags darauf fuhr er mit 59 Sekunden Vorsprung nach Paris. Nur acht Mal ging es in der 107-jährigen Geschichte des Rennens knapper zu. Roglic wird das kaum trösten. „Im Moment kann ich nicht klar denken, ich habe keinen klaren Plan für die Zukunft. Es ist, als wäre mein Kopf leer“, sagte der haushohe Favorit, der mit seinem Super-Team Jumbo-Visma zuvor drei Wochen das Geschehen in demoralisierender Weise bestimmt hatte. So enttäuscht sei er lange nicht gewesen, meinte Roglics Teamkollege Tony Martin.
Der Mann der Rekorde ist Roglics neun Jahre jüngerer Freund. Er holte neben dem Gelben auch das
Gepunktete und Grüne Trikot des besten Bergfahrers und Nachwuchsprofis. Drei Trikots waren zuletzt Merckx 1969 geglückt. Dazu stellte er drei Bergrekorde auf, unter anderem pulverisierte er am Col de Peyresourde die Bestzeit eines gewissen Alexander Winokurow.
Das wirft Fragen auf, zumal sein Umfeld mit Sportdirektor Andrej Hauptman keinen astreinen Ruf genießt und in der Blutdopingaffäre viele Spuren nach Slowenien führen, bislang nicht aber zu Pogacar. „Ich habe eine reine Weste“, sagte das Leichtgewicht der ARD. Das slowenische Blatt Delo beschreibt Pogacar als „Pantani und Indurain in einer Person“. Dieser „Super-Poga“muss sich in Zukunft gegen eine
Reihe von Jungstars beweisen. Vorjahressieger Egan Bernal, 23, will wieder angreifen. Dazu debütiert der belgische Wunderjunge Remco Evenepoel, 20, der in seiner Heimat bereits als neuer Eddy Merckx gefeiert wird. Dass die Tour überhaupt angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen – zuletzt waren es mehr als 13000 pro Tag – die sogenannte „Rote Zone“Paris erreichte, war ein riesiger Erfolg. Nicht ein Fahrer wurde in den drei Wochen positiv auf Corona getestet, das Konzept der Veranstalter ging voll auf. Dass ausgerechnet Tourchef Christian Prudhomme zwischenzeitlich nach einer PositivKontrolle nach Hause musste, war eine merkwürdige Pointe.