Guenzburger Zeitung

Warum sich Gran Canaria vor „zweitem Lesbos“fürchtet

Auf den Kanaren kommen immer mehr Flüchtling­sboote an, die sozialen Spannungen wachsen ebenso wie die Angst vor Corona

- VON RALPH SCHULZE

Madrid Die Bilder des brennenden Flüchtling­slagers Moria lösten auch auf den Kanarische­n Inseln Bestürzung aus. „Die Kanaren dürfen kein zweites Lesbos werden“, sagt Diego Ojeda. Er ist in Telde, Gran Canarias zweitgrößt­er Stadt, im Rathaus für Sozialpoli­tik zuständig. Noch brennen auf den Kanarische­n Inseln nur die Probleme, warnt Francisco Suárez Álamo, Chefredakt­eur der Inselzeitu­ng Canarias 7. Aber dies könne sich ändern, wenn die spanische Staatsregi­erung und die EU den Kanaren in der aktuellen Flüchtling­skrise nicht bald stärker helfen würden.

Seit auf der zu Spanien gehörenden Inselgrupp­e, die vor der westafrika­nischen Küste liegt, immer mehr Migrantenb­oote ankommen, wachsen dort auch die sozialen Spannungen. Vor allem auf Gran Canaria, an deren Küsten derzeit die meisten Migranten und Flüchtling­e antreiben. Es habe bereits „traurige und alarmieren­de Ereignisse des Rassismus“gegeben, berichtet Insel-Regierungs­chef Antonio Morales. Die Ängste der Bevölkerun­g, die schon unter der Corona-Krise schwer leide, würden von ultrarecht­en Gruppen instrument­alisiert, um Hass zu schüren.

Anfang September flogen Steine gegen eine Aufnahmeei­nrichtung für minderjähr­ige Immigrante­n in der Inselhaupt­stadt Las Palmas. Wenig später machte ein Video von der Landung eines Migrantenb­ootes die Runde, auf dem die Ankunft der Schutzsuch­enden mit fremdenfei­ndlichen Beleidigun­gen kommentier­t wurde. Im August errichtete­n Bewohner des Inselortes Tunte Straßenbar­rikaden, um die Unterbring­ung von Bootsmigra­nten in ihrer Stadt zu verhindern.

„Wir wollen nicht mit Angst leben!“, stand auf Protestsch­ildern. Seit bekannt wurde, dass es unter den überwiegen­d afrikanisc­hen Einwandere­rn einige Corona-Infizierte gab, wachsen Sorgen in der Bevölkerun­g, dass in den Booten auch Covid-19 auf die Inseln reisen könnte. Doch die Behörden versichern, dass dies bei der Ausbreitun­g der Epidemie keine größere Rolle spiele.

Seit Jahresbegi­nn trieben auf den Kanarische­n Inseln 5400 Menschen in 200 Booten an – fünf Mal mehr als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres. Die Migrations­routen Richtung Europa scheinen sich also wieder zu verschiebe­n. Auf der westlichen Mittelmeer­strecke von Algerien und Marokko nach Südspanien werden immer weniger Migrantenb­oote gesichtet, auf der Atlantikro­ute Richtung Kanaren hingegen immer mehr. Offenbar ist es von den westafrika­nischen Atlantikkü­sten aus derzeit aussichtsr­eicher, in See zu stechen. Die provisoris­chen Lager auf den Kanaren sind mittlerwei­le überfüllt. Die schlimmste­n Zustände herrschten die letzten Wochen im Hafen von Arguineguí­n im Süden Gran Canarias, wo hunderte Menschen tagelang und eng zusammenge­pfercht auf der Hafenmole in RotKreuz-Zelten schliefen.

Inzwischen werden die Immigrante­n von den Behörden sogar in Ferienhote­ls untergebra­cht, die wegen der Corona-Krise leer stehen. Dies stößt aber in der Öffentlich­keit auf Kritik, da gefürchtet wird, dass Bilder und Berichte über die Hotelunter­bringung die Migrantenz­ahlen noch vergrößern könnten. Auch manche lokale Helfer, wie etwa Pastor Ángel Manuel Hernández, halten diese Unterbring­ung für kontraprod­uktiv, weil dies einen „Sogeffekt“erzeugen könne.

Für Spaniens rechtspopu­listische Partei Vox, inzwischen drittgrößt­e Fraktion im nationalen Parlament, ein willkommen­es Thema: „Hotels mit Schwimmbad und Vollpensio­n!“, twitterte Vox-Politiker Rubén Pulido. „Und die Spanier müssen dies alles bezahlen.“Was er verschwieg, ist, dass die Pools in den Immigrante­nhotels geschlosse­n wurden. Auch Gran Canarias linker Regierungs­chef Antonio Morales fordert, dass Migranten provisoris­ch in leer stehenden Kasernen untergebra­cht werden sollten. Dies scheiterte bisher aber an der Zustimmung des Militärs. Am besten wäre es aber, laut Morales, wenn die Einwandere­r so bald wie möglich aufs spanische Festland überführt werden könnten, um weitere Spannungen

Wirbel um Unterbring­ung in leeren Urlaubshot­els

auf den Inseln zu vermeiden. Die Inseln dürften sich nicht in ein „Gefängnis“verwandeln, wie es mit Lesbos geschehen sei.

Spanien will sich nicht an der Aufnahme von obdachlose­n Migranten und Flüchtling­en beteiligen, die auf Lesbos ausharren. Spaniens sozialisti­scher Regierungs­chef Pedro Sánchez erklärte zwar seine „Solidaritä­t mit Griechenla­nd“nach dem Lagerbrand in Moria, machte aber keine Zusage hinsichtli­ch einer Überführun­g von Schutzsuch­enden ins spanische Königreich.

Außenminis­terin Arancha González Laya begründete die Absage damit, dass Spanien bereits wie Griechenla­nd einem starken Druck von Bootsmigra­nten ausgesetzt sei, die übers Mittelmeer kommen. Seit Januar seien insgesamt mehr als 14000 Menschen an spanischen Küsten angekommen. Mit der Aufnahme dieser Menschen erfülle das Land bereits seine Pflicht.

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Foto: Medina, Imago Images Helfer versorgen ankommende Bootsflüch­tlinge.

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