Den USA droht eine tiefe Spaltung
Warum der Tod einer Richterin das Land stärker verändern könnte als die Wahl
Washington Der Tod der liberalen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg wird zur Zerreißprobe für die Demokratie in den USA. Die Entscheidung über ihre Nachfolge könnte das Land für Jahrzehnte prägen. Die Richter am Supreme Court, dem höchsten US-amerikanischen Gericht, werden vom Präsidenten vorgeschlagen und amtieren auf Lebenszeit. Donald Trump will die Chance nutzen, um die konservative Mehrheit in dem Gremium zu zementieren. Noch vor der Präsidentschaftswahl am 3. November wird er wohl versuchen, den Posten neu zu besetzen. Selbst ein Machtwechsel im Weißen Haus könnte daran nichts mehr ändern.
Der Verlust der äußerlich zerbrechlichen, innerlich aber willensstarken und humorvollen Ruth Bader Ginsburg reißt die Gräben in der Bevölkerung noch tiefer auf. Das linksliberale Amerika, das die Vorkämpferin der Frauen- und Minderheitenrechte als Heldin verehrte, befindet sich im Schockzustand. Die Erzkonservativen, die schon lange gegen die gleichgeschlechtliche Ehe, das Recht auf Abtreibung oder die Zuwanderung Stimmung machen, wittern eine historische Chance.
Der Machtkampf um die Neubesetzung des Supreme Courts wird die amerikanische Gesellschaft womöglich noch stärker polarisieren als die Präsidentschaftswahl selbst. Seine Auswirkungen könnten weitaus tief greifender sein.
Um die Dimension dieses Konflikts zu erfassen, muss man wissen, dass angesichts der meist unterschiedlichen politischen Einfärbung des Präsidentenamts, des Repräsentantenhauses und des Senats fast jede wichtige gesetzgeberische Entscheidung in den USA irgendwann vor dem Obersten Gericht landet. Die neun Richter machen also Politik. Seit 2018 standen rechnerisch fünf Konservative vier Liberalen gegenüber, von denen Ginsburg die exponierteste Vertreterin war. Doch der zum „rechten Lager“zählende Richter John Roberts fungierte oft als Mittler, sodass zuletzt auch wichtige Entscheidungen gegen Trump getroffen wurden. Wenn der Präsident nun einen Kandidaten seiner Wahl installiert, wäre dieses Gleichgewicht Geschichte. Mit einer konservativen Mehrheit von sechs zu drei Stimmen wären nicht nur schärfere Waffengesetze, eine liberalere Einwanderungspolitik oder mehr Rechte für Minderheiten in den USA auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Frauen müssen sogar befürchten, dass bereits bestehende Abtreibungsgesetze aufgehoben werden. Angesichts des von Trump selbst angestachelten Streits um das Wahlrecht wird womöglich sogar das Ergebnis der Präsidentschaftswahl vor dem Supreme Court landen.
Trump will die konservative Mehrheit zementieren
Die von Trump frisch eingesetzte neue Richterin – er kündigte an, dass er eine Frau ernennen will – würde also darüber mitentscheiden, ob er im Amt bleiben kann.
Um seinen Plan umzusetzen, braucht der Präsident die republikanische Mehrheit im Senat. Mehr als drei Abweichler kann er sich dort nicht leisten. Einige republikanische Senatoren haben schon dafür plädiert, die Entscheidung ins nächste Jahr zu verschieben. Das war im Übrigen auch der Letzte Wille von Ruth Bader Ginsburg, die kurz vor ihrem Tod darum gebeten hatte. Ob die Abweichler unter den Republikanern ihren Widerstand aufrechterhalten, ist aber unsicher.
Im Kommentar erklärt Gregor Peter Schmitz, was jetzt auf die USA zukommt. Im Porträt auf Seite 2 erfahren Sie, wie Mitch McConnell im Senat knallhart für die Ziele des Präsidenten kämpft. Und in der Politik erfahren Sie, wie Ruth Bader Ginsburg die Welt verändert hat.