Frischzellenkur im Eiskanal
Zwei Spitzenfahrerinnen sind schwanger, eine hat ihre Karriere beendet. Und auf einmal fahren die deutschen Frauen hinterher. Die jahrelange Dominanz ist beendet
Innsbruck Der Blickwinkel ist neu und ungewohnt. Natalie Geisenberger und Dajana Eitberger sind wie jedes Jahr nach Innsbruck-Igls an die Olympiabahn gefahren. Doch statt sich, wie all die Jahre davor, in den 888 Meter langen Eiskanal zu stürzen, standen die viermalige Olympiasiegerin und die Olympiazweite im Zielraum und beobachteten ihre ehemaligen Konkurrentinnen.
Beide nehmen sich in diesem Winter eine Auszeit, beide erwarten im Frühjahr Nachwuchs. Weil auch Tatjana Hüfner, die Olympiasiegerin von 2010, nach ihrem Rücktritt nicht mehr dabei ist, hat das deutsche Team der Rodlerinnen eine Frischzellenkur erfahren.
Julia Taubitz ist eine dieser jungen Nachwuchshoffnungen. Mit einem Schlag ist die 23-jährige VizeWeltmeisterin zur Frontfrau geworden. Wider Willen. „Ich bin genauso noch ein junges Küken und brauche noch viel Erfahrung“, sagt die junge Sächsin. „Deswegen fehlt mir schon eine Ältere, an der ich mich orientieren kann.“
Dritte wurde Taubitz zum Saisonstart. Zeitgleich mit Teamkollegin Jessica Tiebel, der vierfachen Junioren-Weltmeisterin. Während Tiebel strahlte, ärgerte sich Taubitz über einen Fehler im zweiten Durchgang. „Es war eine komplette Katastrophe“, meinte sie.
Bundestrainer Norbert Loch zog trotzdem ein zufriedenes Fazit: „Zweimal Platz drei mit den jungen Damen ist ein hervorragendes Ergebnis.“
Geprägt wurde das Ergebnis durch die schwierigen Bedingungen. Weil sich die Eisbahn im Laufe des Rennens durch den Föhnsturm veränderte, konnte sich Tatjana Iwanowa (Russland) von Platz 13 nach dem ersten Durchgang noch auf Platz eins verbessern.
Jahrelang waren die deutschen Rodlerinnen unangefochten an der Spitze. Seit den Olympischen Spielen 1998 in Nagano kommt die Olympia-Siegerin aus dem deutschen Lager. Silke Kraushaar, zweimal Sylke Otto, Tatjana Hüfner und zuletzt Natalie Geisenberger.
Genauso souverän agierten sie auch über viele Jahre im Weltcup. Seit der Saison 1998/1999 war eine Rodlerin des Bob- und Schlittenverbandes Deutschland (BSD) am Saisonende die Beste. Hüfner (5 Gesamtsiege) und Geisenberger (7) dominierten die vergangenen zwölf Winter.
Hüfner, mittlerweile 36 Jahre alt, hatte ihren Rücktritt schon lange angekündigt. Auch die Schwangerschaft der 31 Jahre alten Geisenberger kam nicht überraschend. „Es war irgendwo absehbar, sie hat immer wieder davon gesprochen“, berichtet Trainingskollege Felix Loch. Trotzdem fehlte ein Nachwuchskonzept. Noch im vergangenen Winter wurde zwei jungen Athletinnen der Rücktritt nahe gelegt.
Am Samstag stand Bundestrainer
Loch im Ziel und fieberte mit seinen Fahrerinnen mit, so wie er dies die vergangenen Jahre mit Geisenberger und Kolleginnen getan hatte. Dabei ging es nicht um den Sieg, sondern um die Platzierungen. „Das ist genau das, was ich haben wollte: Den einen oder anderen Podestplatz einfahren“, sagte er.
Wie beurteilen die jungen Sportlerinnen die Lage? „Die Stimmung ist sehr gut“, sagt Tiebel. Der Vorteil sei, dass es eine neue, flache Hierarchie gebe. „Der frische Wind ist ganz gut“, ergänzt Taubitz. „Wir Jungen bringen auch ein wenig Unsinn und Unfug rein, was nicht schadet.“