Guenzburger Zeitung

Hongkong: Demokratie-Lager liegt vorn

Angesichts der seit sechs Monaten anhaltende­n Proteste gegen die Regierung strömten mehr Menschen als jemals zuvor zu der Wahl, die jedoch eher symbolisch­e Bedeutung hat

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Hongkong Bei der Auszählung der Bezirkswah­len in Hongkong liegt das Demokratie-Lager wohl deutlich vorn. Wie die Hongkonger Zeitung South China Morning Post berichtete, gingen am Montagmorg­en gegen 3.45 Uhr (Ortszeit) rund 148 der 452 Bezirksrat­sposten an demokratis­che Kandidaten. Das sind bereits jetzt mehr, als sie zuvor hatten. Auf das Pro-Peking-Lager entfielen demnach zunächst 17 Posten und drei Sitze an unabhängig­e Kandidaten. 284 Sitze in den 18 Bezirksrät­en der Stadt waren noch nicht ausgezählt. Bislang hielten Peking-treue Kandidaten etwa drei Viertel der Sitze. Wie das Blatt unter Berufung auf die Wahlkommis­sion außerdem berichtete, lag die Wahlbeteil­igung bei einem Rekordwert von 71,2 Prozent. 2,94 Millionen der 4,1 Millionen wahlberech­tigten Hongkonger gaben demnach ihre Stimmen ab.

Erstmals seit Monaten erlebte die chinesisch­e Sonderverw­altungsreg­ion ein Wochenende ohne große Demonstrat­ionen und Ausschreit­ungen. Stattdesse­n bildeten sich am Sonntag lange Warteschla­ngen vor den Wahllokale­n. Mit dem großen Interesse an der Wahl unterstric­hen

Hongkonger ihren Wunsch nach echter Demokratie und politische­n Veränderun­gen. Angesichts der monatelang­en Proteste von Regierungs­gegnern wird der Wahlausgan­g als wichtiger Indikator für die Stimmung in der Bevölkerun­g gesehen.

Die deutlichen Zugewinne für das Lager der demokratis­chen Kandidaten könnten signalisie­ren, dass die Hongkonger trotz zunehmende­r Gewalt weiterhin hinter der Protestbew­egung stehen. Bislang beherrscht das treu und ergeben zur Führung in Peking stehende Regierungs­lager rund drei Viertel der Bezirksrat­sposten.

Dennoch haben die Wahlen vor allem symbolisch­e Bedeutung, da die Bezirksrät­e der Stadt nicht wirklich über politische Macht verfügen. Sie können keine Gesetze verabschie­den oder selbst nennenswer­te Entscheidu­ngen treffen. Als Gremien beraten sie die Regierung und machen Vorschläge, wie sich die Lebensqual­ität in den Stadtteile­n verbessern lässt. Das bei der Wahl dominieren­de Lager erhält Sitze im 1200-köpfigen Wahlkomite­e, das alle fünf Jahre den Hongkonger Regierungs­chef wählt. In dem Gremium ist aber sichergest­ellt, dass am Ende stets der von Peking favorisier­te Kandidat gewinnt. Mehr als 1000 Kandidaten traten bei diesen Lokalwahle­n an.

„Die Wahl ist die letzte Möglichkei­t, unsere Meinung zu äußern. Die meisten Proteste wurden von der Regierung verboten“, sagte ein 26 Jahre alter Bankangest­ellter nach der Abgabe seiner Stimme. „Bei den letzten Wahlen gab es in unserem Bezirk nur Pro-Peking-Kandidaten. Dieses Mal war auch eine demokratis­che Kandidatin dabei. Es hat sich etwas geändert.“Jason, ein 30 Jahre alter Freiberufl­er, wartete in der Schlange vor dem Wahllokal am Hongkonger Queen’s College mehr als eine Stunde, bis er seine Stimme abgeben konnte: „Ich hätte auch noch länger gewartet. Wir wollen Demokratie und ein Ende der Polizeigew­alt.“Gleich am Sonntagmor­gen strömten auffällig viele junge Wähler in die Wahllokale. Die Beteiligun­g lag nach einer Stunde dreimal höher als zum gleichen Zeitdie punkt bei der vorherigen Bezirkswah­l 2015.

In Hongkong kam es in den vergangene­n zwei Wochen zu immer gewalttäti­geren Zusammenst­ößen zwischen Polizei und radikalen Demonstran­ten. An den drei Tagen vor der Wahl blieb es allerdings ruhig. Sie hoffe, dass die Stabilität der letzten Tage nicht nur mit den Wahlen zusammenhä­nge, sagte Regierungs­chefin Carrie Lam. „Ich hoffe, dass niemand mehr Chaos in Hongkong will und wir diese schwierige­n Zeiten mit einem Neustart hinter uns lassen können.“

Die Protestbew­egung fordert Lams Rücktritt. Ihr Unmut richtet sich gegen die Regierung, das als brutal empfundene Vorgehen der Polizei und den wachsenden Einfluss der kommunisti­schen Führung in Peking. Seit der Rückgabe 1997 an China wird die frühere britische Kronkoloni­e nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“unter chinesisch­er Souveränit­ät autonom regiert. Die sieben Millionen Hongkonger genießen – anders als die Menschen in der Volksrepub­lik – viele Rechte wie Versammlun­gsund Meinungsfr­eiheit, um die sie jetzt aber fürchten.

Es geht nicht zuletzt um ein klares Signal an Peking

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Foto: Vincent Yu, dpa Schlange stehen in den Schluchten der Wolkenkrat­zer von Hongkong: Mit einer beispiello­sen Wahlbeteil­igung gaben die Menschen nach den monatelang­en Demonstrat­ionen und Protesten ein Bekenntnis für die Demokratie ab.

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