Und wenn wir doch nicht allein sind?
Buchsensation, Weltbestseller, milliardenschwere Verfilmung und noch mehr: Der chinesische Autor Cixin Liu wirkt auch richtungsweisend bei der Suche nach außerirdischem Leben
Was stellt man sich nicht alles für Fragen, wenn man in den sternenschillernden Nachthimmel blickt: zum Sinn hier unten, zur rätselhaften Unermesslichkeit dort oben – und zu den möglichen Brücken über den Abgrund dazwischen durch die Romantik und die Astrologie.
Oder auch dazu: Was würde auf der Erde passieren, wenn die Menschheit plötzlich erführe, dass eine technisch haushoch überlegene außerirdische Flotte bereits unterwegs ist, um den Planeten zu erobern und in 400 Jahren eintreffen wird? Panik? Wegen etwas, das in 400 Jahren geschehen wird? Würde alle Energie, würden alle Ressourcen gebündelt auf Entwicklungen, die die Menschheit dann im Kampf bestehen und überleben lassen könnten? Und wie könnten diese Entwicklungen dann aussehen? Und würde die Menschheit in dieser Aufgabe zusammenfinden oder sich in Macht- und Wissenskonkurrenz nur noch weiter in Blöcke aufteilen?
Unter anderem solche Fragen und seine Antworten darauf haben Cixin Liu zunächst zu einer literarischen Sensation gemacht. Als erster Chinese hat er nämlich mit seiner „Trisolaris-Trilogie“die weltweit wichtigsten Preise für Werke der Science-Fiction eingeheimst und etwa auch den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama zu einem seiner Fans gemacht. Amazon will daraus den nächsten Serienhit nach „Game of Thrones“machen und hat eine satte Milliarde Dollar für die Verfilmung hingeblättert. Zudem aber schreibt der ausgebildete Informatiker und leidenschaftliche Autodidakt der Astrophysik sogenannte „Hard Science-Fiction“, er entwirft also komplexe Szenarien, die auf den Erkenntnissen und Problemstellungen der tatsächlichen Fachwissenschaften beruhen.
Und damit hat sich der 54-Jährige auch in seiner Heimat einen solchen Ruf verschafft, dass das Zentralorgan der Kommunistischen Partei lobte: „Autoren wie Liu Cixin sind so selten wie Phönixfedern und Einhornhörner.“Und dort, wo seit kurzem das größte Radioteleskop der Welt in Betrieb genommen wurde, eine Schale mit 4500 Spiegeln und einem Durchmesser von 300 Metern, wird sein Denken auch als richtungsweisend für den eigenen Fortschritt angenommen. Denn tat- sächlich lassen sich im globalen Entwicklungswettlauf der Nationen an eine alte Menschheitsfrage weitreichende Machtfragen knüpfen: Von „Was, wenn wir doch nicht alleine im All sind?“über „Welchen Einfluss hat das auf die Weltordnung?“zu „Wofür gilt es, sich für die eigenen Interessen zu rüsten?“.
Auf Deutsch ist nun der zentrale zweite Teil der Trilogie erschienen, in dem, nach dem ersten Kontakt mit den außerirdischen „Trisolariern“, Cixin Liu nun nicht nur deren alles verändernde Annäherung schildert, sondern auch ihr Eintreffen – er springt also ganze 400 Jahre in die Zukunft. Diese Fortsetzung heißt nicht von ungefähr „Der dunkle Wald“. Der Autor löst darin nämlich die Frage (das sogenannte „Fermi-Paradoxon“), warum es bei der erheblichen Wahrscheinlichkeit, dass es außer dem Menschen weiteres intelligentes Leben im All gibt, bislang keinen Kontakt gegeben haben sollte, mit einem Bild.
„Das Universum ist ein dunkler Wald. Jede Zivilisation ist ein bewaffneter Jäger, der wie ein Geist zwischen den Bäumen umherstreift, vorsichtig störende Zweige aus dem Weg schiebt und versucht, geräuschlos aufzutreten. Der Jäger muss vorsichtig sein, denn überall im Wald lauern andere Jäger wie er. Stößt er auf anderes Leben, egal, ob es sich dabei um einen anderen Jäger, einen Engel oder einen Teufel, ein neugeborenes Baby oder einen Tattergreis, eine Fee oder einen Waldgeist handelt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als es auszuschalten. In diesem Wald sind die Hölle die anderen Lebewesen. Es herrscht das ungeschriebene Gesetz, dass jedes Leben, das sich einem offenbart, umgehend eliminiert werden muss.“Warum das? Weil im relativen Raum des Universums jeder durch den Kontakt zum anderen lokalisierbar wird und damit ausgeliefert ist … Eine düstere Vision?
Schon. Aber klug und einleuchtend. Zumal das Verhalten auf der Erde bei Erkennen der Bedrohung nicht weniger strategisch und misstrauisch ausfällt. Denn die Menschen sind zwar sehr wohl zu erstaunlichen Fortschritten in der Lage – aber freilich nicht nachhaltig dazu bereit, die Skepsis gegenüber einander abzulegen. Dieses für hiesige Lesegewohnheiten arg bunt und bildkräftig geschriebene Buch führt in seiner Hauptfigur immerhin auch vor, welche Macht der Mensch hätte, wenn er der Utopie trauen würde, statt jedes Problem als Nagel zu verstehen und gleich den Hammer zu schwingen. Aber was sollte uns heute, 400 Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg, zuversichtlich sein lassen, dass wir nach weiteren 400 Jahren im Krisenfall nicht immer noch – zwar technisch erweitert, aber moralisch beschränkt – dieselben Barbaren sein werden?
Die Chinesen scheinen für den Fall jedenfalls gerüstet sein zu wollen. So ist dieser Roman womöglich das aktuell größte Teleskop der Welt, in dessen Riesenspiegel die Menschheit sich selbst erblickt.
» Cixin Liu: Der dunkle Wald.
Übs. Karin Betz, Heyne, 816 S., 19,99 ¤