„Anderswo passiert die Zukunft“
Christian Baudis spricht über die Bedeutung der digitalen Revolution für Mittelstand und Alltag
Krumbach/Landkreis „500 Dollar für ein Telefon ohne Tastatur?“Mit diesen Worten reagierte Steve Balmer – seinerzeit Chef von Microsoft – auf die Vorstellung des iPhones. „Zweieinhalb Jahre später war Microsoft fast pleite, weil das Unternehmen die Entwicklung verschlafen hat“, kommentiert der Referent. Er steckt in einem gut sitzenden Anzug, spricht gestenreich, mit Humor und charmantem Lächeln und sagt Sätze wie diesen: „Ich scoute Startups“. Wer jetzt gleich an Google, Facebook und Amazon denkt, liegt nicht gänzlich falsch. In der Tat war Christian Baudis Chef bei Google Deutschland. Er weiß also, wovon er spricht. Heute sucht er nach Digital-Talenten: „So wie man im Fußball den neuen Messi sucht.“Dabei geht es längst nicht mehr nur um das Netz. „Das Internet ist das Fundament. Darauf aufbauend kommen spannende Trends wie Robotik, Sensorik, Künstliche Intelligenz…“. Schlagworte, die besonders für den Mittelstand von Interesse seien.
Unter den etwa 220 Gästen finden sich auch lokale Mittelstandsvertreter. Zum Vortrag „Die Bedeutung der digitalen Revolution für den Mittelstand“hat die Sparkasse zum Wirtschaftsforum in die Krumbacher Marktplatz-Geschäftsstelle geladen.
Anhand einer App des Versicherungsriesen Allianz veranschaulicht der Referent das Thema. Im Falle eines Unfalles ermittelt die Smartphone-Software via Bilderkennung, ob der Schaden über 1500 Euro liegt. Wenn nicht, veranlasst die App eine Schadensregulierung. „Über 1500 Euro bearbeitet den Fall dann tatsächlich noch ein Sachbearbeiter“, erläutert Christian Baudis. Der Kunde und das Unternehmen freuen sich über eine unkomplizierte Abwicklung von Standardfällen.
Baudis berichtet von Sensoren, die einem Weinbauern verraten, welche seiner Reben von Blattläusen befallen sind. Ein Silikonpflaster erfasst Körperfunktions-Daten. Die passende App bietet medizinischen Rat. „Darum hat die Apple-Watch auf der Rückseite Sensoren.“Der Arzt des Referenten findet diese Entwicklung gut: „Er kann sich so auf Fälle konzentrieren, die seine Hilfe wirklich benötigen.“Schon in seiner Einführung erwähnt Walter Pache, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Günzburg-Krumbach, das Digitalunternehmen Uber: „Die sind der größte Taxianbieter, haben aber selbst kein einziges Taxi.“Anhand von GPS-Tracking kann der Nutzer auf seinem Smartphone genau den Weg seines Taxis nachverfolgen und sich auf die exakte Ankunft vorbereiten. Nach der Fahrt lässt sich der Taxifahrer bewerten. Andersherum kann der Fahrer auch den Gast beurteilen.
Christian Baudis kennt ein deutsches Taxi-Unternehmen, das dieses Prinzip erfolgreich kopiert. „So einfach funktioniert Digitalisierung: Gute Ideen übernehmen. Dafür hat die Taxibranche drei Jahre gebraucht.“Der Digitalisierungs-Experte stellt fest: „Viele Innovationen kommen heute nicht mehr aus Deutschland, sondern aus den USA und vor allem aus Asien.“
Auch dazu hat er ein Beispiel: Zwei Millionen Menschen pendeln täglich von Malaysia in den Stadtstaat Singapur. Ende 2018 wird dieser Verkehr auf selbstfahrende Elektrobusse umgestellt. „Und wir unterhalten uns darüber, ob in Stuttgart Dieselfahrzeuge fahren dürfen“, kommentiert er und ergänzt: „Da hab ich das Gefühl, ich sitz noch im Schwarz-Weiß-HeinzRühmann-Film, und anderswo passiert die Zukunft.“
Bevor sich die Zuhörer dem gänzlich analogen Buffet widmen, zitiert Walter Pache aus dem Blog des Referenten eine Zukunftsvision für das Jahr 2036: „Ich schau aus dem Fenster und denke an die Zeit zurück, in der man in die Stadt noch mit einem Benzinauto fuhr, um einzukaufen oder bei einer Bankfiliale Geld abzuheben. Heute dienen die ehemaligen Supermarkt- und Bankfilialen als zentrale Parkplätze und Aufladestationen für die vielen autonom fahrenden Elektroautos, die man zu sich bestellen kann, wenn man sie braucht. Taxi oder selbst Auto fahren, das war einmal. Einkaufen erledigt der Haushaltsroboter, die Bezahlung erfolgt über den PersoChip, der neben weiteren Funktionschips an meinem Körper klebt. Bargeld gibt es schon lange nicht mehr.“Ab Mitte 2018 bietet die Sparkasse Echtzeitüberweisungen an. Außerdem arbeitet die Bank an sprachgesteuerten Bezahlmöglichkeiten. Diese Zukunftsvisionen stoßen nicht nur auf Gegenliebe. Die Fragen aus dem Publikum verdeutlichen Bedenken vor einer entmenschlichten Zukunft. Baudis schließt seine Ausführungen mit einem Verweis auf das OpenAI-Projekt von Elon Musk und dem passenden Konsens: „Es darf nicht passieren, dass die künstliche Intelligenz in den Händen von wenigen Unternehmen und Staaten liegt – sie muss offen sein. Jeder muss davon profitieren können.“Oder, wie Pache formuliert: „Vertrauen entsteht halt nur durch Menschen.“