Evangelist Georg Lutz
Burg Was hat Burg, was andere Orte in dieser Größe nicht haben? Zunächst hat der an der Staatsstraße 2025 gelegene Ortsteil von Thannhausen so um die 230 Einwohner. „Aber nur, wenn se alle dahoim send“, erzählt Xaver Deisenhofer lachend. Aber was gibt es da sonst noch, außer seinen Bewohnern? So ziemlich alles: In Burg gibt es einen Elektriker, eine Polsterei, zwei Autohändler, eine Zimmerei, zwei Schlossereien, ein Geschäft für Bauelemente und sogar einen Verlag. Sogar einen Schuster gab es einmal. Damit die Burger nicht verhungern, hat der Ort seinen Metzger – gut, der hat zwar nicht jeden Tag geöffnet – dafür kommt das Backmobil zweimal die Woche vorbei. Zählt man noch die sechs landwirtschaftlichen Betriebe dazu, dann könnte man tatsächlich sagen, dass umgerechnet so jede vierte oder fünfte Familie ihr „eigenes Gschäftle“hat. Vielleicht ist das ja auch der Grund, dass die Burger so eigenständig sind. Dass der Ort 1977 zur Stadt Thannhausen gehören sollte, das dürfte so manchem Bewohner damals dann gar nicht gefallen haben. „Mir hand a haufa Geld ond Thannhausa hat nix g’hett“und „Ohne uns wär’ Thannhausa scho lang verdorba“, soll es geheißen haben.
„Früher hat ma au koine Fremde reig’lassa“, lacht Josef „Sepp“Bulla. Er sei selbst ein „Reingschmeckter“, aber jetzt sei es schon anders. Überhaupt ist in Burg alles streng geregelt: Da gibt es das Unterdorf, das Mitteldorf und das Oberdorf. Wer wohin gehört, darauf legen die Bewohner größten Wert. Und das beginnt schon in der Kirche. Sowohl die Unterdorfer, die Mitteldorfer als auch die Oberdorfer haben dort ihre eigene Bankreihe. Nur die Ledigen, die dürfen auf die Empore. Anita Horn, eine inzwischen einheimische Burger Unterdorferin, weiß davon zu berichten: Sie singe doch so schön und ob sie nicht die richtige Seite verstärken wolle, sei ihr einmal ganz dezent gesagt worden. Somit sei klar gewesen, dass sie auf dem falschen Platz gesessen habe, erzählt sie schmunzelnd. Und wehe dem, der bei der Fronleichnamsprozession direkt hinter dem Himmel und nicht in der Reihe rechts oder links läuft! Apropos Kirche: Die Heilig-KreuzKirche zu Burg mit ihrem großartigen Rokokoraum – von 1761 bis 1763 erfolgten die letzten großen Umbauarbeiten – ist richtig schön. Die Fresken wurden übrigens von Johann Baptist Enderle geschaffen. Aus diesem Grund kommen viele Hochzeitspaare nach Burg, um dort zu heiraten. Noch etwas Besonderes: Das Kreuz in der Monstranz soll aus dem Holz des Heiligen Kreuzes Christi geschnitzt sein. Daher auch der Name „Heilig-Kreuz-Kirche“.
Vor der Kirche steht noch der Maibaum mit seinem „Bänkle“daneben. Der Maibaum, jetzt noch im August? Das könnte vielleicht daran liegen, dass er mit seinen 90 Metern der höchste im Landkreis ist und deswegen auch noch stehen bleiben muss. 90 Meter? Martin „Fritzi“Fritz klärt auf: Der Berg, auf dem er steht, habe 60 Meter, der Baum 30. Verständlich, dass es dann natürlich auch der höchste Maibaum sein muss. 1993, schlug sogar der Blitz in ihn ein und die Spitze brannte ab. Ein paar Meter weiter befindet sich das „Café Frieda“, die frühere „Steinle-Wirtschaft“. In ihr verkehrte früher sogar die Prominenz von Thannhausen und bis von Augsburg.
Nach dem Tod von Frieda Steinle, der letzten Wirtin, machten Johanna und Karl Högel daraus eine Lokalität der ganz besonderen Art. In den gemütlichen Räumen, mit stilvollen alten Möbeln liebevoll und bis ins kleinste Detail eingerichtet, wird der Kaffee aus alten Sammeltassen serviert und zu den kleinen Brotzeiten gibt es selbst gebackenes Brot. „Die schönere Tasse bekommt natürlich immer die Frau, denn die hat den Blick dafür“, verrät Karl Högel scherzend. Das „Café Frieda“ hat immer jeden ersten und zweiten Sonntag im Monat geöffnet und wie es sich gehört, hat es natürlich auch einen Stammtisch. „Weil ma dau so g’miatlich hockat“, erzählt Josef Horn, Polsterermeister seit 1960 und mit 84 Jahren der drittälteste Burger Bürger. Ach ja, eine Sauna hatte Burg auch schon einmal. Wohlgemerkt, eine gemischte und damit spielte Burg in den 80er Jahren eine Vorreiterrolle in ganz Bayern. Sie befand sich in der früheren Schule, in der heute der Verlag ansässig ist. „Burg kam gleich nach München“, lacht Karl Högel. Nur bei der älteren und streng katholischen Bevölkerung sei sie schon ein Dorn im Auge gewesen. Schließlich geht ein Burger auch nicht in eine gemischte Sauna. Oder vielleicht doch? Was ist dann sonst noch alles los in Burg? „Bei uns sind immer „Feschtla“, sagt Tanja Leyer schmunzelnd und beginnt aufzuzählen: Im Fasching gibt es den Schützenball und den Kinderball, dann das Scheibenfeuer, das Maibaumfest, das Dorffest, das in diesem Jahr schon zum 36. Mal in Folge stattfand, das Sommernachtsfest, das Nikolausfest, das Nussschießen von den Schützen und noch viele andere größere oder kleinere. „Mir sind halt a ,feiriges’ Volk“, verrät Bernhard Horn. Und überhaupt: „A g’scheiter Burger isch au in alle Vereine“, fügt er hinzu. Zunächst hat Burg seine „Burger Bergschützen“. Die haben übrigens keinen Vorstand. Vielmehr sind es mit Tanja Leyer, Edith Gasteiger und Anja Horntrich „Vorständinnen“und damit gleich drei Stück an der Zahl. Dann gibt es natürlich die Freiwillige Feuerwehr – ihr erstes Feuerwehrfahrzeug aus dem Jahr 1910 hat im Feuerwehrhaus einen Ehrenplatz, die Kameradschaft der ehemaligen Soldaten und die Singgruppe Arioso, die regelmäßig im Pfarrheim probt. Ach ja, fast vergessen: Einen eigenen Pfarrer und einen Bürgermeister hat Burg trotz der ganzen Reformen immer noch und wahrscheinlich auch in Zukunft: Das sind Josef Simmnacher und Georg Stadler. Diese Rolle werden sie nämlich auch 2019 wieder spielen. Alle vier Jahre spielt das weit über die Grenzen der Region bekannte Burgstalltheater Burg nämlich auf der „größten Freilichtbühne im Landkreis“, ein neues Theaterstück. Nur alle vier Jahre? „Mir bauat halt immer a weng ebbes um“, schmunzelt Bernhard Horn, der Vorstand des Theaters. Die Stücke hat er in der Vergangenheit selbst geschrieben oder arrangiert. Immerhin ist der ganze Ort daran beteiligt. Allein 700 Pfähle werden an dem Hang vor der Kirche, der Schule, dem Bauernhaus und der Wirtschaft für die Sitzbretter für das Publikum in den Boden geschlagen.
Die Gebäude haben die Burger natürlich selbst gebaut. Schließlich seien im Dorf ja auch sämtliche Maschinen vorhanden, wie Xaver Deisenhofer bemerkt. Logisch, wenn man bedenkt, dass bald jeder ein Geschäft umtreibt. Und natürlich haben die Burger auch einen eigenen Künstler, wenn es um das Gestalterische geht. „Des Künstlerische han i aber net g’lernt“, sagt Maler Felix Stadler etwas bescheiden, während er über die Fensterrahmen der Dorfwirtschaft gerade die letzten Pinselstriche zieht. „Der Sinn des Lebens“heißt das Stück, zu dem bereits seit letztem Jahr die Vorbereitungen laufen. 88 Darsteller sind dafür bereits für eine Sprecherrolle vorgesehen. Zwölf Spieltermine sind geplant und wie schon in der Vergangenheit wird das Publikum wieder von überall her nach Burg strömen.
Das Burgstalltheater zieht eben nicht nur die Burger mit. Eines ist klar: Wenn die Burger etwas machen, dann machen sie es selber und dann schon „g’scheit“. Das zeigte sich vor allem beim Bau des Feuerwehrhauses und des Schützenheims mit seiner eigenen Halle mit der großen Eigenleistung, in der beides entstand.
Die Burger sind sie ein nettes, liebenswertes und aufgewecktes Völkchen, das zusammenhält. Und warum ein Burger ein Burger ist und immer ein Burger bleiben wird, das weiß auch schon der fünfjährige Kilian: „Weil’s hier so schön ist.“ ● Aus Burg stammt übrigens auch Johann Evangelist Georg Lutz. Er wurde 1823 zum Priester geweiht, wirkte als Pfarrer in Karlshuld im Donaumoos und galt als großer Sozialreformer. Lutz spielte eine wichtige Rolle bei der Entstehung der apostolischen Bewegung und der apostolisch katholischen Ge meinden in Deutschland. (wpet)
„Weil ma dau so g’miatlich hockat.“Polstermeister Josef Horn