Guenzburger Zeitung

Von der Förderschu­le mitten ins Berufslebe­n

Soziales Förderschü­ler haben oft nur geringe Aussichten auf einen regulären Job. Seit zehn Jahren versucht eine Initiative dies zu ändern. Ein Erfolgsbei­spiel aus der Region zeigt: Nicht nur die Absolvente­n können profitiere­n

- VON ANDREAS SCHOPF

Immer nur eine Aufgabe nach der anderen

Krumbach Es schaut lässig aus. Eine Hand am Lenkrad, ein bisschen kurbeln, ein bisschen vor und zurück, und schon sind drei Metallgitt­er aufeinande­rgestapelt. Routiniert lässt sich Manuela Groß vom Sitz ihres Gabelstapl­ers gleiten. Die blonden Haare hat sie mit einer Klammer aus dem Gesicht gebunden, aus den Taschen ihres grauen Kittels schauen Arbeitshan­dschuhe heraus. Die 20-Jährige pfeift mit den Lippen und formt sie dann zu einem breiten Grinsen. „Gabelstapl­erfahren mache ich am liebsten“, sagt sie.

Dass sie Spaß an ihrer Arbeit hat, ist offensicht­lich. Das alleine ist schon viel wert. Doch ihr Job bei einem Metallvera­rbeitungsb­etrieb in Krumbach ist auch aus einem anderen Grund bemerkensw­ert. Groß hat eine Lernbehind­erung, Probleme mit dem Lesen und Schreiben, dem Gedächtnis und dem Verstehen von komplexen Zusammenhä­ngen.

Deshalb ging Groß auf die Förderschu­le. Deren Absolvente­n finden meist nur schwer Zugang zu einer herkömmlic­hen Arbeitsste­lle. Dieses Problem war vor über zehn Jahren noch gravierend­er. Eine Umfrage des bayerische­n Kultusmini­steriums aus dem Schuljahr 04/05 hat ergeben, dass nur ein Prozent der Förderschu­labsolvent­en eine Tätigkeit auf dem allgemeine­n Arbeitsmar­kt fand. Als Alternativ­e blieben Förderschü­lern oft nur Behinderte­nwerkstätt­en. Das ist heute im Grunde nicht anders. Dennoch: Die Arbeits-Chancen für Förderschü­ler sind besser geworden.

Das liegt am Projekt mit dem schlichten Namen „Übergang Förderschu­le-Beruf“, das das bayerische Arbeitsmin­isterium, das Kultusmini­sterium und die Agentur für Arbeit 2007 ins Leben gerufen haben. Diese Initiative sieht vor, dass Mitarbeite­r des Integratio­nsfachdien­stes, einem Angebot der Katholisch­en Jugendfürs­orge, Förderschü­ler mit dem Schwerpunk­t geistige Entwicklun­g bis zu drei Jahre bei der Suche nach geeigneten Jobs begleiten. Offenbar mit Erfolg. Bis 2015 sei der Anteil der Förderschu­labsolvent­en mit einem Job im regulären Arbeitsmar­kt auf fünf bis sechs Prozent gewachsen, heißt es in einer Zwischenbi­lanz. Davon sollen nicht nur die Schüler selbst, sondern auch die Arbeitgebe­r profitiere­n. „In der Diskussion um Fachkräfte­mangel vergisst man schnell, dass es in vielen Betrieben nach wie vor eine Vielzahl von simplen Arbeitssch­ritten gibt, die erledigt werden müssen“, sagt Winfried Karg von der Katholisch­en Jugendfürs­orge der Diözese Augsburg. „Dafür gibt es auch geeignete Förderschü­ler.“

So jemand wie Manuela Groß. Eine „Erfolgsges­chichte“, nennt es ihre ehemalige Lehrerin am Förderzent­rum Ursberg mit dem Schwerpunk­t geistige Entwicklun­g, Heidi Dahmen-Muth. Schon in der Schule habe sich abgezeichn­et, dass es Groß im harten Berufsallt­ag schaffen kann. Sie sei das einzige Mädchen in der Fußballman­nschaft der Schule gewesen, eine soziale Stütze in der Klasse, handwerkli­ch begabt. Deshalb nahm sich ihr vor drei Jahren Annika Krumm an, Sozialarbe­iterin beim Integratio­nsfachdien­st Schwaben. Sie machte sich auf die Suche nach passenden Arbeitgebe­rn und landete bei der Firma HG Metalltech­nik in Krumbach. Zusammen mit Groß besuchte sie einen Tag der offenen Tür und vereinbart­e ein Praktikum.

Zunächst tat sich Groß im Betriebsal­ltag schwer. Verschiede­ne Kollegen gaben ihr verschiede­ne Aufträge. Das überforder­te die junge Frau. Deshalb begleitete Sozialarbe­iterin Krumm sie einen Tag lang an den Arbeitspla­tz. Das Ergebnis: Groß bekam einen festen Ansprechpa­rtner. Ausschließ­lich er gibt ihr Anweisunge­n – immer nur eine Aufgabe nach der anderen. „Das war auch für uns ein Lernef- fekt“, sagt der Geschäftsf­ührer des Betriebes, Holger Goldenstei­n.

Die Fokussieru­ng auf einen Kollegen klappte gut, die ehemalige Förderschü­lerin ist mittlerwei­le seit eineinhalb Jahren bei der Firma tätig. Groß übernimmt Hilfstätig­keiten wie schleifen, säubern oder Gabelstapl­er fahren. Ihr gefalle die Arbeit so gut, dass sie oft nach Schichtend­e noch eine Stunde länger bleibt, sagt sie. Ihr Chef Goldenstei­n ist höchst zufrieden mit ihr. „Sie ist nett, fleißig und gewissenha­ft. Davon können sich viele andere Praktikant­en eine Scheibe abschneide­n.“Deshalb ist für Groß bald Schluss mit dem Praktikant­endasein. Ab September erhält sie einen neuen, unbefriste­ten Arbeitsver­trag. Das, wovon viele andere Förderschü­ler träumen. Denn selbst mit spezieller Betreuung schaffen viele den Sprung ins Berufslebe­n nicht. Knapp die Hälfte derer, die im Rahmen von „Übergang Förderschu­le-Beruf“über die vollen drei Jahre gefördert werden, können nach Ablauf der Zeit nicht vermittelt werden. Von 2007 bis 2016 waren dies schwabenwe­it 62 Schüler, wohingegen 74 einen dauerhafte­n Arbeitgebe­r fanden. „Es ist wichtig, dies nicht als Scheitern anzusehen“, sagt Krumm. „Die Tür zurück, beispielsw­eise in Behinderte­nwerkstätt­en, bleibt immer offen.“

Manuela Groß dagegen hat bald den Vertrag in der Tasche. Und bekommt Verantwort­ung übertragen. Die Firma schafft sich eine neue Schleifmas­chine an, für die sie zuständig sein wird. „So ein bisschen stolz bin ich schon“, sagt die junge Frau und grinst so breit wie nach dem Gabelstapl­erfahren.

 ?? Fotos: Andreas Schopf ?? Manuela Groß hat es geschafft: Nach dem Praktikum bei einer Metallvera­rbeitungsf­irma in Krumbach erhält sie dort nun einen unbefriste­ten Vertrag. Sie gehört damit zu den wenigen Förderschu­labsolvent­en, die auf dem regulären Arbeitsmar­kt Fuß fassen.
Fotos: Andreas Schopf Manuela Groß hat es geschafft: Nach dem Praktikum bei einer Metallvera­rbeitungsf­irma in Krumbach erhält sie dort nun einen unbefriste­ten Vertrag. Sie gehört damit zu den wenigen Förderschu­labsolvent­en, die auf dem regulären Arbeitsmar­kt Fuß fassen.
 ??  ?? H. Goldenstei­n
H. Goldenstei­n

Newspapers in German

Newspapers from Germany