Ein Anti-Trump als Bundespräsident
Leitartikel Die Wahl Steinmeiers ist eine Botschaft Deutschlands an die westliche Welt. Mit ihm übernimmt ein Mann mit festem Wertegerüst das wichtige Staatsamt
Nichts ist mehr, wie es war. Das Alte verliert an Attraktion. Das radikal Neue bricht sich Bahn und fegt ohne Rücksicht auf Verluste alles hinweg, was sich ihm in den Weg stellt. In der Wirtschaft ist die „Disruption“, die Verdrängung einer Technologie, eines Produkts oder einer ganzen Branche durch eine radikale Innovation oder eine revolutionäre Neuentwicklung gang und gäbe.
Lang ist die Liste der Verlierer, selbst Marktführer, eben noch erfolgreich, sind davor nicht gefeit. Nun hat dieser Prozess auch die Politik erreicht. Donald Trump gewann die Wahlen in den USA mit dem Versprechen, das Establishment in Washington zu zertrümmern und die bestehende Ordnung zu beseitigen. Und er meint es ernst – mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Welt. Die Bündnisverpflichtungen im Rahmen der Nato stellt er ebenso infrage wie die Vereinbarungen zum freien Welthandel. Die alte Ordnung wird zum Einsturz gebracht.
Und andere wollen seinem Beispiel folgen, Marine Le Pen in Frankreich, Geert Wilders in den Niederlanden, Ukip in Großbritannien oder auch die AfD in Deutschland. Sie sagen dem demokratischen System und dem verhassten Establishment den Kampf an, lehnen die internationalen Verflechtungen und Bündnissysteme ab und fordern eine Re-Nationalisierung der Politik.
In dieser angespannten Situation ist die Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum neuen Bundespräsidenten ein Signal, das gar nicht wichtig genug ist. Schien die Nominierung des früheren Außenministers vor wenigen Wochen noch wie eine Notlösung zu wirken, weil die Union keinen eigenen Kandidaten fand und die CSU in jedem Fall einen Grünen verhindern wollte, so ist seine Kür nun geradezu richtungsweisend eine Botschaft an das eigene Land wie an die europäischen Nachbarn und die westliche Welt: An der Spitze Deutschlands steht in den nächsten fünf Jahren geradezu der personifizierte AntiTrump. Ein Mann, der von allen den Staat tragenden Parteien der Republik getragen wird, CDU, CSU, SPD, FDP und Grüne, die sich gemeinsam ihrer Verantwortung bewusst sind und sich entschlossen den disruptiven Kräften entgegenstellen, die mit ihrer Polemik den Niedergang beklagen und ihn mit ihrer auf Ausgrenzung und Diffamierung angelegten Politik geradezu befördern.
Alle Bundespräsidentenwahlen seit 1949 waren – jede auf ihre Art – Richtungsentscheidungen. Steinmeier ist so gesehen der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Zu seiner Erfahrung im Maschinenraum der Politik, im Kanzleramt, sowie auf der großen Bühne der Weltpolitik als Außenminister gesellen sich hohes Ansehen und Beliebtheit in der Bevölkerung, ein festes Wertegerüst und Reputation im In- wie Ausland.
In einer Zeit der Unvernunft ist Steinmeier eine Stimme der Vernunft, in einer Phase, in der Hass und Verachtung für die etablierten Kräfte dominieren, tritt er ausgleichend auf. Ein Diplomat, der auf die Kraft des Arguments setzt.
Kann Steinmeier zusammenhalten, was auseinanderstrebt? Ist noch der Dialog mit jenen möglich, die sich in die geschlossenen EchoRäume ihres eigenen Weltbildes zurückgezogen haben? Steinmeier steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Als Präsident muss er einer verunsicherten Bevölkerung Orientierung geben, den Menschen zuhören und dabei doch mit Herz und Kopf, Gefühl und Verstand die Werte des freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaats verteidigen. Eine neue Rolle für Steinmeier: Es geht nicht mehr darum, die Welt zu retten, es reicht, wenn er das eigene Land davor bewahrt, Schaden zu nehmen.
Ein Diplomat, der auf die Kraft des Arguments setzt