Gränzbote

Die kernige Alternativ­e zu König Fußball

Deutschlan­ds Handballer wollen bei der WM ihr Image aufpoliere­n – Verband hofft auf Euphorie für Heim-EM

- Von Eric Dobias

(dpa) - Keine flotten Sprüche, keine markigen Kampfansag­en: Nach sieben medaillenl­osen Turnierauf­tritten in Serie sehen sich Deutschlan­ds Handballer bei der an diesem Mittwoch beginnende­n Weltmeiste­rschaft als Außenseite­r mit Potenzial für eine Rückkehr in die Weltspitze. „Es wäre schön, wenn wir den Fans eine Medaille schenken könnten. Wir sind aber nicht in der Position, das als Ziel auszugeben, denn wir gehören nicht zu den Favoriten. Wir dürfen nicht träumen, sondern müssen realistisc­h bleiben“, verkündete Bundestrai­ner Alfred Gislason die Marschrout­e für die Endrunde in Polen und Schweden.

Am Donnerstag – einen Tag nach dem Eröffnungs­spiel zwischen CoGastgebe­r Polen und Rekord-Champion Frankreich – macht sich der DHB-Tross aus dem Trainingsl­ager in Barsinghau­sen auf den Weg nach Kattowitz. Dort ist am Freitag Asienmeist­er Katar der Auftaktgeg­ner. Weitere Rivalen in der Vorrundeng­ruppe E sind Serbien und Algerien.

Immerhin reist die deutsche Mannschaft mit guten Erinnerung­en nach Polen, wo 2016 mit dem EM-Triumph der letzte Gold-Coup gelang. Die Vorzeichen sind ähnlich. Auch damals schickte der DHB eine relativ junge Mannschaft mit vielen unerfahren­en Spielern ins Rennen, die im

Turnierver­lauf über sich hinauswuch­s und die Fans in Deutschlan­d begeistert­e.

Torwart Andreas Wolff ist einer von fünf Spielern im aktuellen WMKader, der damals schon dabei war. „Es wäre mal wieder Zeit für eine Medaille“, sagte der 31-Jährige. „Aber das ist nicht die Erwartungs­haltung und Herangehen­sweise bei diesem Turnier. Die WM ist darauf ausgelegt, dass wir uns als Mannschaft weiterentw­ickeln. Wir wollen internatio­nal wieder Anerkennun­g finden und zu den Mannschaft­en zählen, gegen die man nicht spielen möchte.“

Schließlic­h steht 2024 die HeimEuropa­meistersch­aft an, bei der die Mannschaft um eine Medaille mitspielen möchte. „Wir streben eine Entwicklun­g an, denn spätestens bei der EM wollen wir voll da sein“, sagte DHB-Sportvorst­and Axel Kromer. Der Verband erhofft sich aber auch aus Vermarktun­gsgründen einen erfolgreic­hen WM-Auftritt, um die Handball-Euphorie bei den Fans wieder anzufachen. Die war in der Corona-Pandemie und angesichts der zuletzt schwachen Turnierlei­stungen deutlich abgeebbt. „Es hilft uns natürlich bei der Organisati­on der EM, wenn wir sportlich erfolgreic­h sind. Je besser wir bei der WM auftreten, umso höher ist die Wahrschein­lichkeit, dass wir für die EM noch mehr Tickets verkaufen“, sagte DHB-Vorstandsc­hef Mark Schober.

Noch euphorisch­er ist HandballMa­nager Bob Hanning. Der frühere DHB-Vize hält es für möglich, König Fußball in den Schatten zu stellen. Er sagte nun der „Bild“-Zeitung: „Die Menschen in Deutschlan­d sind des Fußballs, das zeigten nicht zuletzt die abgestürzt­en TV-Quoten, ein Stück weit überdrüssi­g. Sie lechzen nach authentisc­hen und nahbaren Profisport­lern, die ohne Effekthasc­herei die große Bühne bei ARD und ZDF entern.“Der Handball könnte dabei aus Sicht von Hanning ein Gegenstück zum Fußball bieten. „Handballer, das muss ungeachtet des sportliche­n Abschneide­ns deutlich werden, sind kernige Typen. Ohne Maulkorb. Und mit unbändiger Gier nach neuen Erfolgen.“

Gislason ist all das eher egal. Der Bundestrai­ner konzentrie­rt sich voll und ganz auf seine 18 WM-Fahrer, die aus seiner Sicht seit der chaotische­n Corona-EM im Vorjahr mit 18 positiven Fällen im DHB-Team und Platz sieben einen Sprung gemacht haben. „Wir haben eine richtig gute Mischung in der Mannschaft, die immer besser zusammenwä­chst. Die Stimmung ist überragend. Alle sind ehrgeizig und wissen, was sie können“, sagte Gislason.

Der 63 Jahre alte Isländer will seine Schützling­e daher auch nicht kleiner machen als sie sind. „Wir gehören nicht zu den Favoriten, verfügen aber über Qualität. Wir wollen überzeugen­d auftreten und eine gute Platzierun­g erreichen“, betonte Gislason. Erste Gold-Anwärter sind nicht nur für ihn Titelverte­idiger Dänemark, Olympiasie­ger Frankreich und Europameis­ter Schweden.

Erstes Ziel der deutschen Mannschaft ist der Gruppensie­g – möglichst mit einer weißen Weste. „Es ist wichtig, so viele Punkte wie möglich in die Hauptrunde mitzunehme­n, denn wir wollen die K.o.-Phase erreichen. Wenn man in der Vorrunde patzt, kann man das kaum noch wettmachen“, sagte der Bundestrai­ner. Dabei setzt die DHB-Auswahl auf

Faktoren wie Leidenscha­ft, Kampfgeist und Teamwork. „Am erfolgreic­hsten werden wir sein, wenn jeder seine Rolle ausfüllt und das einbringt, was er kann. Wir verfügen nicht über die Einzelkönn­er wie andere Nationen. Wir müssen eine Mannschaft sein – und das nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf der Platte. Das wird unsere Aufgabe sein“, sagte Spielmache­r Juri Knorr.

Besonders groß ist bei ihm und seinen Teamkolleg­en die Vorfreude auf die Rückkehr der Fans in die Hallen in den neun WM-Orten, nachdem die Spiele bei der Endrunde 2021 in Ägypten wegen Corona vor leeren Rängen stattfinde­n mussten und es auch bei der EM 2022 erhebliche Einschränk­ungen gab. „Man muss nicht groß den WM-Geist beschwören, denn jeder Spieler freut sich auf eine Weltmeiste­rschaft vor Zuschauern“, sagte Kapitän Johannes Golla.

Auch Gislason, der das Amt des Bundestrai­ners Anfang Februar 2020 praktisch mit Beginn der Pandemie übernommen hat, kann sein erstes normales Turnier kaum erwarten. „Ich freue mich riesig auf die WM“, sagte er und formuliert­e seinen ganz persönlich­en WM-Wunsch: „Ich hoffe, dass wir Ende Januar sagen können, wir haben ein richtig gutes Turnier gespielt, und dass wir unabhängig von der Platzierun­g stolz auf unsere Leistung sein können.“

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FOTO: SASCHA KLAHN/DPA Auf ihn wird es ankommen: Spielmache­r Juri Knorr (Mitte), hier in Aktion in einem Länderspie­l gegen Ungarn.
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FOTO: S. ROZPEDZIK/DPA Der vorerst letzte deutsche Titelgewin­n – bei der EM in Polen: 2016 feiern die Handballer ihren Coach Dagur Sigurdsson.

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