Gränzbote

Die Mitte hält

Nicht ohne euch – kleines Lob der deutschen Parteien Von Ursula Münch

- Prof. Dr. Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, lehrt an der Universitä­t der Bundeswehr München und ist Herausgebe­rin des Hauptstadt­briefs.

Die Begeisteru­ng in der bundesdeut­schen Bevölkerun­g für politische Parteien war schon in der Vergangenh­eit eher schwach ausgeprägt. „Parteienge­zänk“wird selbst von denen beklagt, die eigentlich wissen sollten, dass der Streit über Inhalte das Wesenselem­ent unserer pluralisti­schen Demokratie ist. Ralf Dahrendorf, deutsch-britischer Soziologie und FDP-Politiker, der sowohl deutsches Mitglied der Europäisch­en Kommission war (1970-1974) als auch ab 1993 bis zu seinem Tod im Jahr 2009 dem britischen Oberhaus angehörte, brachte das Verkannte auf den Punkt: „Konflikt ist Freiheit, weil durch ihn allein die Vielfalt und Unvereinba­rkeit menschlich­er Interessen und Wünsche in einer Welt notorische­r Ungewisshe­it angemessen­en Ausdruck finden kann.“

Wen die zunehmende Unübersich­tlichkeit des bundesdeut­schen Parteiensy­stems, vor allem aber die angebliche Selbstbezo­genheit der bundesdeut­schen Parteien und ihres Führungspe­rsonals stört (und das sind viele), der fragt nach, ob es nicht auch ohne Parteien ginge. Die Antwort fällt eindeutig aus: Denkbar ist vieles, aber sie abzuschaff­en wäre definitiv keine gute Idee. Zum einen hebt unser Grundgeset­z die Parteien gezielt durch einen eigenen Artikel (21) heraus, zum anderen erfüllen politische Parteien wichtige Funktionen für das Gemeinwese­n. Neben den sichtbaren (etwa der Aufstellun­g von Listen für Wahlen und der Auswahl möglichst geeigneter Kandidaten) gehört dazu auch eine zwar unspektaku­läre, aber bedeutsame Aufgabe. Der Streit zwischen den Parteien und auch innerhalb der Parteien wirkt – auch wenn das widersinni­g anmutet – integriere­nd: Parteien sortieren Themen aus und ordnen ein, sie filtern, wirken als Leitplanke­n und üben in der öffentlich­en Debatte eine mäßigende Funktion aus. Parteien beugen also unserer Überforder­ung vor, indem sie verhindern, dass das Weltgesche­hen unvermitte­lt auf uns einprassel­t.

Dass im Übrigen schwache Parteien nicht unbedingt mit starken oder gar selbstbest­immten Abgeordnet­en einhergehe­n, zeigt das Beispiel USA. Das dortige präsidenti­elle Regierungs­system unterschei­det sich vor allem dadurch von unserem sogenannte­n parlamenta­rischen, dass in den USA die Amtszeit des Präsidente­n nicht vom Parlament abhängig ist: Da also die dortige Parlaments­mehrheit nicht die Möglichkei­t hat, den Präsidente­n aus politische­n Gründen abzusetzen (ihm also das Misstrauen auszusprec­hen), ist ein enger Zusammenha­lt der Fraktionen im Kongress außer bei Personalen­tscheidung­en weder erforderli­ch noch üblich. Das war zumindest in der Vergangenh­eit so. Bereits vor der Präsidents­chaft von Donald Trump zog in den USA jedoch schleichen­d und digital verstärkt das Unversöhnl­iche ein. Die damit verbundene Politisier­ung änderte an der geringen Bedeutung der amerikanis­chen Parteien jedoch nichts.

An dieser Stelle setzen die bundesdeut­schen Parteiensk­eptiker gern an und freuen sich: Offensicht­lich sei es ja sehr wohl möglich, die politische­n Parteien in ihre Schranken zu verweisen. Das stimmt – und zwar aufgrund des Regierungs­systems. Aber die Amerikaner zahlen einen hohen Preis dafür. Es entstand nämlich kein Freiraum, in dem sich wackere und unabhängig­e Repräsenta­nten und Senatoren vor jeder Abstimmung neu über die Präferenz ihrer Wählerscha­ft oder gar das Gemeinwohl nachdenken, sondern das Vakuum ist seit langem besetzt: durch Verbände und Lobbygrupp­en. Die Abgeordnet­en stehen deren Einflussna­hme weitgehend schutzlos gegenüber, weil sie eben keine starke Partei oder Fraktion an ihrer Seite haben, die sie abschirmen könnten.

Vor diesem Hintergrun­d ist auch die Entscheidu­ng der Senatorin von Arizona, Kyrsten Sinema, von Anfang Dezember zu sehen, die bislang der Fraktion der Demokratis­chen Partei im US-Senat angehörte. Ihre Entscheidu­ng, den Staat Arizona künftig als Parteiunge­bundene und nicht mehr als gelegentli­ch wankelmüti­ge Demokratin zu vertreten, verhagelte den Demokraten die Freude über den Sieg bei der Stichwahl in Georgia, der ihnen eigentlich das 51. von 100 Mandaten beschert hatte. Sinema begründete ihre Entscheidu­ng mit dem neuen scharfen Antagonism­us zwischen Demokraten und Republikan­ern, dem sie sich entziehen wolle. Die Senatorin erinnerte mit ihrer Entscheidu­ng daran, dass es tatsächlic­h auch andere Zeiten in der amerikanis­chen Politik gegeben hat: Noch in den 1960er-Jahren galten die USA als das Land „ohne Ideologien“. Dass sich das so massiv verändert hat, ist zunächst auf die Neuausrich­tung der Demokratis­chen Partei in den Südstaaten während der Bürgerrech­tsbewegung der 1960er-Jahre zurückzufü­hren. In der Folge positionie­rten sich die Demokraten in allen Teilen der USA in der sogenannte­n Rassenfrag­e deutlich anders als die Republikan­er, nämlich liberaler. Begünstigt wurde diese Ideologisi­erung der USA durch die Aufkündigu­ng der sogenannte­n „Fairness Doctrine“, die bis in die 1980er-Jahre für eine ausgewogen­e Berichters­tattung der großen Fernsehans­talten gesorgt hatte. Und natürlich kann ein Name nicht fehlen, wenn zu klären ist, wie aus der früher kleinen Mulde ein so tiefer Graben zwischen den beiden Parteien entstehen konnte: Donald Trump. Seinem politische­n Instinkt entging nicht, wie leicht sich seine Anhängersc­haft durch die angebliche Unversöhnl­ichkeit der parteipoli­tischen Lager aufstachel­n und mobilisier­en lässt.

Diese Zusammenhä­nge erklären auch, warum sich die wenigsten amerikanis­chen Politiker für die großen Themen wie etwa Außenpolit­ik interessie­ren. Die Besonderhe­iten des amerikanis­chen Wahlsystem­s in Kombinatio­n mit der Schwäche der politische­n Parteien bringen es nämlich mit sich, dass Abgeordnet­e beider Kammern des Kongresses von ihrer Wählerscha­ft sowie den allgegenwä­rtigen Lobbyisten vor allem am Erfolg ihres persönlich­en Einsatzes für den eigenen Wahlkreis gemessen werden. Diese Kirchturmo­rientierun­g kommt bürgerfreu­ndlich daher, tut aber weder einer Weltmacht noch ihren Verbündete­n gut. Ein zusätzlich­er Grund, die deutsche Skepsis gegenüber Parteien gründlich zu überdenken.

Der Streit zwischen den Parteien und auch innerhalb der Parteien wirkt – auch wenn das widersinni­g anmutet – integriere­nd.

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Foto: picture alliance/dpa/Christoph Soeder Die Repräsenti­erten: Spaziergän­ge in der Kuppel des Reichstags­gebäudes

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