Bodensee-Airport droht Aus
Insolvenzverfahren soll Regionalflughafen retten
FRIEDRICHSHAFEN (ben/mh) - Ein Schutzschirm für den Bodensee-Airport: Der regionale Flughafen, der seit Jahren mit Finanzproblemen kämpft, soll jetzt mit einem Insolvenzverfahren in Eigenregie gerettet werden. Laut Geschäftsführung sind der weitere Betrieb und die 123 Arbeitsplätze zunächst gesichert.
Die Corona-Krise hat den Airport endgültig ins Trudeln gebracht. Im Jahr 2020 flogen nur knapp 120 000 Passagiere von oder nach Friedrichshafen. Im Jahr zuvor waren es viermal so viele gewesen. Der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt sagte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, dass regionale Flughäfen wegen fehlender Einnahmequellen kaum wirtschaftlich zu betreiben seien. Die Pandemie habe aber gezeigt, „wie wichtig einige der kleineren Airports für die Infrastruktur sind“, weil sie global tätige Firmen an internationale Drehkreuze anbinden.
FRIEDRICHSHAFEN - Kaum Flüge, kaum Passagiere: Die Zahl der Menschen, die im vergangenen Jahr von deutschen Flughäfen zu Geschäftsreisen und Urlauben aufgebrochen sind, ist im Vergleich zum Vorjahr um 75 Prozent eingebrochen. Für die Betreiber der Airports ist das fatal. Die Rechnung ist einfach: Keine Reisenden bedeuten keine Landegebühren und keine Abfertigungsumsätze. Bei den Unternehmen schwinden seit Wochen die liquiden Geldmittel. Nach dem Flughafen Paderborn/ Lippstadt, der im vergangenen September in die selbst verwaltetete Insolvenz gegangen ist, hat es nun einen weiteren Standort erwischt: Der Bodensee-Airport in Friedrichshafen hat am Donnerstag ein Schutzschirmverfahren beantragt.
Zwar trifft der Einbruch der Luftfahrt alle Unternehmen der Branche gleichermaßen, doch dass sich zuerst zwei Regionalflughäfen unter den Schutzschirm der Insolvenz in Eigenverwaltung begeben müssen, wundert den Hamburger Luftfahrtexperten Heinrich Großbongardt nicht. „ Natürlich geht es allen Flughäfen richtig schlecht, aber den kleinen geht es besonders schlecht, weil die in normalen Zeiten schon kein oder kaum Geld verdienen“, sagt Großbongardt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Der Grund liege in der zu geringen Anzahl von Flugbewegungen und Passagieren. Selbst die großen Airports erwirtschafteten nur 40 Prozent ihrer Umsätze über Lande- und Abfertigungsgebühren, der Rest komme aus Parkeinnahme und Konzessionsabgaben der Shoppingcenter. „Das haben kleine Flughäfen nicht“, erläutert Großbongardt. „Es ist völlig unmöglich, die kleinen Flughäfen langfristig wirtschaftlich zu betreiben.“
Deshalb hatte der Bodensee-Airport schon vor Corona Probleme. Zunächst musste er mehrere AirlinePleiten verkraften und den Schuldendienst für ein überdimensioniertes Terminal. Der erste Lockdown und die Folgen brachten das Unternehmen endgültig ins Trudeln. Im September 2020 haben die Stadt Friedrichshafen und der Bodenseekreis – beide halten je knapp 40 Prozent der Anteile am Flughafen – ein Hilfspaket in Höhe von bis zu 47 Millionen Euro bis 2025 beschlossen. Damals ging man aber davon aus, dass der Flugverkehr bald wieder an Höhe gewinnt. Das Gegenteil ist passiert: 2020 zählte Friedrichshafen nur knapp 120 000 Passagiere. 2019 waren es viermal so viele.
Nun hat Geschäftsführer ClausDieter Wehr die Reißleine gezogen: Schutzschirm, dem ein Insolvenzverfahren in Eigenregie folgen soll. Ziel: der Erhalt des Flughafens. Die 123 Arbeitsplätze sind laut Wehr aktuell nicht in Gefahr. Sein Unternehmen sei „rechnerisch überschuldet“. Höhe der Verbindlichkeiten: rund 34 Millionen Euro. Zahlungsunfähig allerdings sei der Flughafen nicht.
Der Bodensee-Airport ist dabei kein Einzelfall. Auch andere – kleine wie große – Flughäfen im Süden haben zu kämpfen. Die Zahl der Fluggäste am Baden-Airpark am Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden ist im vergangenen Jahr um 70 Prozent zurückgegangen. Allein in der Zeit von März bis Juni sind nach Unternehmensangaben an dem Regionalflughafen Kosten von 500 000 Euro entstanden, weil der Betrieb trotz Reisebeschränkungen weiterlaufen musste. Wie hoch die Jahresverluste sind, wollte Flughafenchef Uwe Kotzan vor Abschluss der Bilanz nicht sagen.
Beim Allgäu-Airport in Memmingen hat die Pandemie die Anzahl der Reisenden im Vergleich zum Vorjahresrekord mehr als halbiert. 2019 nutzten 1,7 Millionen Passagiere den früheren Militärflugplatz, im CoronaJahr waren es nur noch gut 690 000.
Der Stuttgarter Flughafen rechnet beim Jahresergebnis 2020 mit einem Verlust im höheren zweistelligen Millionenbereich. Der Jahresumsatz dürfte sich Schätzungen zufolge in etwa halbiert haben auf nur noch rund 150 Millionen Euro. Auch die Schulden stiegen im vergangenen Jahr massiv an. Genauere Zahlen gibt es noch nicht, die sollen in der Bilanz stehen, die für April erwartet wird.
Ein Ende der Krise ist nicht absehbar. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) rechnet noch mit einer längeren Zeit, in der Passagiere und damit Flugbewegungen und Umsätze ausbleiben. „Für den deutschen Markt rechnen wir damit, dass im Luftverkehr das Niveau von 2019 zur Mitte des Jahrzehnts wieder erreicht werden kann“, erklärt Ivo Rzegotta, der beim BDL zuständige Leiter für Strategie und Kommunikation der „Schwäbischen Zeitung“. „Das Szenario setzt voraus, dass die gesundheitliche Krise im Verlauf des Jahres 2021 beendet sein wird und die Rezession bis Ende 2022 überwunden ist.“Der Branchenverband nimmt an, dass sich die Nachfrage im touristischen Verkehr wesentlich schneller erholt als bei Geschäftsreisen, da „ein Teil auch künftig durch virtuelle Geschäftskontakte ersetzt bleiben wird.“
Wenn sich der Stillstand im Luftverkehr mit nicht einmal zehn Prozent der sonst üblichen Passagiere fortsetzt, befürchtet der BDL „ernsthafte Verwerfungen für die Anbindung des Wirtschaftsstandortes und für den Tourismus“, wie Rzegotta erläutert. Schon jetzt müssten sich die Flughäfen ihre Liquidität mit erheblichen Krediten absichern. „Darüber hinaus finden derzeit Gespräche mit Bund und Ländern statt, die zum Ziel haben, dass die Flughäfen die Vorhaltekosten für die gesellschaftlich notwendige und politisch gewollte Aufrechterhaltung des Betriebs in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen von Bund und Ländern erstattet bekommen“, sagt der BDL-Funktionär.
In der vergangenen Woche haben die Länder einem Vorschlag des Bundes für Corona-Hilfen für die deutschen Flughäfen in Höhe von einer Milliarde Euro zugestimmt. Der Vorschlag von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht eine Finanzierung von Bund und Ländern zu gleichen Teilen vor. Nun ist es an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD), den Bundesanteil in Höhe von 500 Millionen Euro freizugeben.
Ob das die Flughäfen rettet, ist unsicher – vor allem schafft es kleineren Airports keine langfristige Perspektive. „Im Gegenteil: Für sie wird es schwieriger, denn von 2024 an verbietet die EU-Kommission die Subventionen für die Airports“, erklärt Luftfahrtexperte Großbongardt. Zudem werde sich der Luftverkehr in Zukunft noch viel stärker auf die großen Airports und Drehkreuze konzentrieren. „Fluglinien können die Verbindungen zu kleinen Flughäfen nicht kostendeckend betreiben, der Trend geht ohnehin zu größeren Jets, weil dort die Kosten pro Sitzplatz niedriger sind“, sagt Großbongardt, der weitere Insolvenzen in den kommenden Monaten erwartet.
„Einige Airports werden von der Landkarte verschwinden, bei anderen wird es eine Diskussion um die Zukunft und die Finanzierung geben. „Denn eine Sache ist klar: Die Pandemie hat auch gezeigt, wie wichtig einige der kleineren Airports für die Infrastruktur sind“, sagt der Experte. Friedrichshafen und auch Paderborn seien Beispiele dafür, dass auch Regionalflughäfen wichtige Verkehrsfunktionen übernehmen. Am Bodensee wie in Ostwestfalen säßen global tätige Unternehmen, die auf eine unmittelbare Anbindung an internationale Drehkreuze angewiesen seien. Eine Auffassung, die sogar der flugverkehrskritische BUND teilt: In einer Studie kam die Naturschutzorganisation zu dem Ergebnis, dass der Flughafen Friedrichshafen wichtige Funktionen für die wirtschaftliche Anbindung der Region BodenseeOberschwaben übernimmt.