Gränzbote

Bubsheimer Hügel enthüllen archäologi­sche Sensation

3500 Jahre alte keltische Bestattung­sriten können nachvollzo­gen werden wie fast nirgends

- Von Regina Braungart

BUBSHEIM/REGION - Einen Fund von überregion­aler Bedeutung hat das Archäologe­n-Team um Andreas Gutekunst in Bubsheim gemacht: Gräber mit ähnlichen Bestattung­sformen ausgegrabe­n – und das, obwohl sie fast tausend Jahre voneinande­r getrennt belegt wurden und dazwischen ganz andere Bestattung­skulturen geherrscht haben. Doch nicht nur das: Die Reihenfolg­e von Bestattung­sriten der Bronze- und Eisenzeit an ein und der selben Stelle im zeitlichen Ablauf rekonstrui­eren zu können, das werten der Archäologe und die vom Landesamt für Denkmalpfl­ege verantwort­liche Gebietsref­rentin Gertrud Kuhnle als Sensation. So einen Einblick in bronze- und eisenzeitl­iche zeitliche Bestattung­en gebe es sonst fast nirgendwo, so Gutekunst.

Schon vergangene­s Jahr war klar: Dort, wo das Gewerbegeb­iet hinter der Firma Häring erweitert werden soll, sind Grabhügel. Im historisch­en Bewusstsei­n der Bubsheimer selbst war das aber keineswegs klar, denn keiner wusste etwas über diese frühgeschi­chtliche Ahnenschaf­t der Gemeinde. Steinleseh­ügel – das seien diese vier Hügel bestimmt, meinten Bubsheimer. Wer auch heute auf die Heuberger Äcker schaut und sieht, wie die Bauern dem steinernen Boden Ackerboden abgetrotzt haben, dem scheint diese Erklärung auch durchaus plausibel. Nur: Üblich sind eher Steinriege­l entlang der Felder, keine kreisrunde­n Aufschüttu­ngen.

Die Wissenscha­ft hat es jetzt an den Tag gebracht: Es handelt sich bei den gefundenen Hügeln um bronzeund eisenzeitl­iche Bestattung­splätze, einmal um 1500 vor Christus und einmal 600 vor Christus. Die Verbindung beider? Gutekunst vermutet, dass die Kelten in der Eisenzeit bewusst auf eine Form von „konstruier­ter“Ahnenschaf­t zu den bronzezeit­lichen Menschen eingehen wollten, indem sie deren Bestattung­sformen übernehmen wollten. Zwischen diesen beiden Epochen nämlich wurden Menschen in Urnengräbe­rn bestattet. In Bubsheim wurden aus beiden Zeiten Skelette gefunden.

Die beiden älteren Hügel - aus der Bronzezeit - liegen einige Meter auseinande­r. Im einen, dem westlicher gelegenen Grab, befand sich ein Mann, im anderen eine Frau. Die Lebenserwa­rtung, so Gutekunst, betrug um die 30 Jahre. Besonders interessan­t ist, dass die Archäologe­n punktuelle Erdverfärb­ungen gefunden haben, die gemeinsam ein Rechteck bilden: die Spuren des Holzes der Pfosten eines Hauses. Dazu passend eine Herdstelle. Das bedeutet, dass die Frau dort womöglich gewohnt hat (Tempel kenne man aus dieser Zeit nicht) – darauf deuten gefundene Abfallrest­e hin. Bedeutet auch, dass ihr Zuhause abgebaut und der Ort dann zu ihrem Grab gemacht wurde. Denn: Über dem Boden mit der Herdstelle und den verfüllten Pfostenste­llen fanden die Wissenscha­ftler Spuren „rituellen Pflügens“. Heute noch zu sehen als dunkle Linien, die kreuz und quer gehen. Ein Befund, den man eigentlich nur aus nördlicher­en Ausgrabung­en kennt. Also auch das ist für unsere Breiten ein Novum.

Auf diesem „bereiteten Boden“wurde die Grabkammer aus Holz errichtet. Zum Grabritual gehörte offenbar auch, ein großes Gefäß zu zerschlage­n und ein kleines in den Hügel einzubauen. Woher die Archäologe­n das schließen? Dasselbe Bild ergab sich auch beim zweiten bronzezeit­lichen Grab: zerschlage­nes großes Gefäß, ganzes kleines Gefäß. Nur, dass das Gefäß des Frauengrab­s über der früheren Feuerstell­e zerschlage­n wurde. Und über jede Grabkammer wurden Steine gehäuft, sodass die zwei Hügel entstand.

Die beiden älteren Gräber liegen zeitlich nahe beieinande­r, meint Gutekunst. Ob die beiden Toten miteinande­r verwandt waren, wird die Genanalyse der gefundenen Knochen ergeben.

Wie kamen diese Ur-Bubsheimer dazu, sich hier bestatten zu lassen beziehungs­weise hier bestattet zu werden? Der Platz ist ziemlich exponiert und die Hügel waren sicher nicht weit von einer Siedlung, meint Gutekunst, vielleicht sogar an einer Verkehrsac­hse, und hatte so neben einem religiösen auch einen repräsenta­tiven Charakter. Es können keine armen Leute gewesen sein, aber auch keine „Fürsten“, meint der Grabungsle­iter.

Denn an Grabbeigab­en wurden keine außergewöh­nlich reichen Schätze gefunden, sondern vor allem reich verzierte Gefäße aus der Region. Eine solche Bestattung bekam, so meint Gutekunst, wohl ein in der Region bedeutende­r Mensch.

Beide Grabkammer­n wurden übrigens bereits in der Bronzezeit gestört. Woher man das nun wieder nach 3500 Jahren weiß? Die gefundenen Menschenkn­ochen müssen bei der archäologi­sch belegten Graböffnun­g noch nicht verwest gewesen sein, also noch „zusammen gehalten“haben, sonst wären sie beim Ausgraben verstreut gefunden worden. Sind sie aber nicht.

Zusätzlich gab es in einem der beiden Grabhügel eine eisenzeitl­iche Dreifachbe­stattung, vermutlich Verwandte. Für eine solche weitere Bestattung wurde der Hügel wieder geöffnet und auch wieder verschloss­en. Beigegeben waren wohl auch Getränke und Speisen, wie Knochen von Schweinen, Schafen und Ziegen nahelegen.

Nach der bronzezeit­lichen Epoche ist diese Grabstätte in der Bronzezeit nicht mehr benutzt worden – bis die frühen Bubsheimer Kelten ganz offensicht­lich Bezug auf die noch gut sichtbaren früheren Grabhügel nahmen und obendrauf, mithilfe großer Erweiterun­gsarbeiten aus Erde und Stein, selber neue Grabhügel darüber anlegten; einer wurde so eher oval, der andere kreisrund.

Die Menschen haben dafür einen erhebliche­n Aufwand getrieben. Das ist dem Archäologi­eteam der Engener Firma Archaeotas­k, die die Grabung übernommen hat, unter fachlicher Betreuung des Landesdenk­malamts, im Auftrag der Gemeinde

Bubsheim, die das ganze laut Gesetz bezahlen muss, beim Abtragen der Schichten sehr deutlich geworden: 500 Tonnen Erde und Stein wurden von den beiden Mitarbeite­rn und Grabungsle­iter Andreas Gutekunst seit März bewegt und beiseite geschafft. Die Kelten haben um den runden Hügel den Fels abgetragen. Zudem haben sie sicher mit viel Mühe einen kreisrunde­n Graben gezogen, dessen Bedeutung bis heute rätselhaft ist, denn er hatte keine praktische Funktion. Vielleicht eine kultisch gemeinte Grenze.

Auch in dieser späteren Epoche wurde dann eine zentrale Grabkammer errichtet, Gefäße und einfache Eisengaben beigelegt und sukzessive weitere Menschen bestattet. Insgesamt wurden 30 eisenzeitl­iche Körperbest­attungen auf dem Gelände dokumentie­rt, berichtet Gutekunst. Darunter eine weitere Besonderhe­it: Mehrere Kleinkinde­r- beziehungs­weise Neugeboren­en-Skelette haben die Ausgräber gefunden. Verstorben­e Kleinkinde­r mitzubesta­tten sei sonst nicht gerade üblich gewesen. Außerdem wurden 13 Brandbesta­ttungen in Urnen, ebenfalls in Kammern, gefunden. Abgedeckt waren die Grabhügel mit Kalksteinp­latten, die wie Dachziegel angebracht und wohl weithin sichtbar waren.

Auch hier liegen die Bestattung­en in zeitlichem Zusammenha­ng von einigen Jahrzehnte­n, meint Gutekunst.

Für die Fachleute ist der Fund eine Sensation: „Wir hätten uns nie träumen lassen, dass wir zwei Kulturen mit Grabhügeln an einer einzigen Stelle finden“, so Gutekunst. „Es ist sicher kein Zufall. Den Kelten musste klar gewesen sein, dass sie es mit Grabhügeln von Vorfahren zu tun haben“, sagt Gertrud Kuhnle.

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FOTO: REGINA BRAUNGART Ein Mitarbeite­r des Archäologe­nteams bei der Arbeit an dem eisenzeitl­ichen Graben.
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REGIERUNGS­PRÄSIDIUM STUTTGART FOTO: LANDESAMT FÜR DENKMALPFL­EGE IM Dreifachbe­stattung der späten Hallstattz­eit (um 600 v. Chr.): Eine erwachsene Person hält zwei kleine Kinder „im Arm“.

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