Die Fischer und keine Frau
Christiane Renz will sich vor dem Memminger Amtsgericht in die traditionell männliche Gruppe der Stadtfischer einklagen – Ihr geht es um den Kampf gegen Diskriminierung von Frauen – Der Vorstand wehrt sich
MEMMINGEN - Nein, es geht an diesem Montagvormittag vor der Zivilkammer des Amtsgerichts in Memmingen nicht um die bloße Teilnahme von Frauen an einem Spektakel, dem Ausfischen des Stadtbaches, einem Heimatfest, das Ende Juli Tausende mitfeiern. Der veranstaltende Fischertagsverein lässt seit Jahrhunderten nur Männer zu, die ins knietiefe Wassser „jucken“(springen). 15 Minuten dauert die Jagd nach der dicksten Forelle. Nein, in der früheren Reichsstadt muss Amtsrichterin Katharina Erdt nicht nur entscheiden, ob Klägerin Christiane Renz mit dem Fang dieser dicksten Forelle aus dem Stadtbach zur Fischerkönigin gekrönt werden könnte. Der Titel des Fischerkönigs ist bisher ausschließlich männlichen Mitgliedern des Fischertagsvereins vorbehalten. Vielmehr geht es in dem Verfahren um Grundsätzliches: „Um die unzulässige Diskriminierung von Frauen.“Rechtsanwältin Susann Bräcklein, die die Klägerin vertritt, formuliert: „Ist es eine erhebliche Einschränkung, dass Frau Renz an der Veranstaltung nicht teilnehmen kann – oder nicht? Ist der Fischertag zentral – oder nicht? Wenn die Feier bedeutsam ist, kann Frau Renz teilnehmen.“Allein aufgrund ihres Geschlechts werde sie derzeit von der Teilnahme an einer zentralen Veranstaltung der Stadt ausgeschlossen. Dies widerspreche dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz, zumal das Ausfischen eine öffentliche Aufgabe der Stadt sei.
Bräcklein kämpft seit Jahren entschieden für die Gleichberechtigung. Im vergangenen Jahr hatte sie versucht, ihre neunjährige Tochter in den Berliner Staats- und Domchor einzuklagen – einen Knabenchor. Sie scheiterte. Das Recht auf Kunstfreiheit wiege in diesem Fall schwerer als das Recht, sich gegen eine Diskriminierung zu wehren, argumentierte das Berliner Verwaltungsgericht. Doch Kunstfreiheit und die Tradition des Fischertagsvereins sind nicht miteinander vergleichbar, argumentiert sie.
Um den Rechtsstreit und die Bedeutung des Fischertages zu verstehen, ist ein Blick in die Memminger Stadtgeschichte hilfreich. Der Fischertag in der heutigen Form hat in Memmingen seit rund 120 Jahren Tradition. Dabei werden auch einige Tausend Forellen aus dem Stadtbach geholt, damit er einmal im Jahr gereinigt werden kann. Wer die schwerste Forelle erwischt, wird Fischerkönig. Nach Einschätzung des Fischertagsvereins ist das die höchste Ehre im Leben eines „echten“Memminger Mannes. Fischerinnen oder Königinnen sind nicht vorgesehen.
Gegen diese bereits seit 1931 in der Vereinssatzung stehende Regel klagt nun Christiane Renz. Die Tierärztin beharrt im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“darauf, dass das Verbot nicht mehr zeitgemäß und laut Artikel 3 des Grundgesetzes diskriminierend sei: „Ich finde es absolut überholt, dass siebenjährige Mädchen in Memmingen dabei zuschauen müssen, wie ihre Brüder und Klassenkameraden in den Bach springen, selbst aber nicht dürfen. Kinder sollten nicht mehr mit diesem Rollenbild aufwachsen“, sagt die Klägerin. „Für mich schließen sich Brauchtum und Gleichberechtigung nicht aus.“
Renz klagt gegen den eigenen Verein, in dem sie seit vielen Jahren aktiv ist, sogar eine eigene Gruppe bei einem historischen Festspiel der alle vier Jahre stattfindenden „Wallensteinwoche“führt. Nur beim zentralen Event, dem Ausfischen, bleibt sie ebenso wie alle anderen Frauen in der Zuschauerrolle: „Es ist ein Riesenproblem in Deutschland oder auch weltweit, wenn Menschen ausgeschlossen werden. Unser Grundgesetz sagt eindeutig, dass Menschen nicht wegen des Geschlechts, der Hautfarbe oder der Herkunft von Bereichen ausgeschlossen werden können und damit diskriminiert werden.“Die Satzung des Fischertagsvereins müsse in diesem Punkt verändert werden, damit grundsätzlich alle weiblichen Vereinsmitglieder auch ausfischen dürfen. Frauen würden so ein wichtiger Teil des sozialen Lebens der Stadt und eine Möglichkeit zum Netzwerken verwehrt, argumentiert der Verein „Gesellschaft für Freiheitsrechte“mit Sitz in Berlin, der die Klägerin unterstützt und ein Grundsatzurteil erreichen will.
Fischertagsvorstand Michael Ruppert begründet den Ausschluss von Frauen mit der Historie, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreiche. Der Fischertagsverein wurde zwar erst im Jahr 1900 nach einer Neuorganisation des Fests gegründet. Das Ausfischen des Stadtbachs sei aber immer Männern vorbehalten gewesen, sagt Ruppert und beruft sich darauf, dass die Delegiertenversammlung als höchstes Entscheidungsgremium des Vereins die Anträge der Klägerin auf Satzungsänderung 2018 und auch 2019 „mit klarster Mehrheit“abgelehnt hatte: 97 Prozent der Stimmen. Teilnehmen dürfen laut Satzung nur Männer und Buben ab sechs Jahren, die seit mindestens fünf Jahren in Memmingen wohnen und eine Fischerprüfung des Vereins ablegen. Er verweist darauf, dass von den rund 4500 Vereinsmitgliedern etwa 1500 weiblich seien. Alle anderen 35 Untergruppen des Fischertagsvereins, wie die der Stadtgarde oder der Theatergruppe beim Fischertag, stünden Frauen offen – nur eben die Stadtbachfischer nicht. „In der Vereinsautonomie haben wir die Möglichkeit, entsprechend zu entscheiden. Wir haben ein traditionelles Heimatfest, das wir seit dem Mittelalter hier in Memmingen fortführen. Die Sache ist in der Satzung so geregelt. Die Mitglieder haben gesagt, dass dieses historische Heimatfest so bleibt, wie es bisher war.“
Auf die Frage nach Diskriminierung von Frauen beim Abfischen durch den Verein weicht Ruppert aus und zieht sich auf Formalien zurück: „Wir haben nichts gegen Frauen und es geht auch nicht darum, ob Frauen das können oder nicht. (...) Es hat nichts damit zu tun, ob der Fischertagsverein, der 4500 Mitglieder hat, in irgendeiner Form etwas gegen Frauen hat. Es geht uns um einen Antrag, der vom höchsten Vereinsgremium abgelehnt worden ist.“
Wie verhärtet die Fronten schon seit mehreren Jahren sind, zeigt sich auch vor Gericht. Richterin Katharina Erdt strebt eine gütliche Einigung an. Nach knapp zweistündiger Verhandlung ist aber klar: Es gibt keinen Kompromiss. Der Fischertagsverein beharrt darauf, dass es sich beim Ausfischen um eine jahrhundertealte Tradition handelt, die entsprechend lange immer den Männern vorbehalten war. Und dass dieses Vorgehen durch Artikel 9 des Grundgesetzes für die Selbstbestimmung der Vereine gedeckt ist.
Richterin Erdt nimmt sich Zeit, um den Sachverhalt zu klären, fragt immer wieder nach. Sie besteht auf Sachlichkeit, lässt keine Emotionen zu. „Ich bin mit dem Fischertag groß geworden und möchte schon lange beim Ausfischen mitmachen wie mein Bruder und mein Neffe“, sagt die Klägerin, die seit über 30 Jahren Mitglied im Fischertagsverein ist. Sie sieht keinen sachlichen Grund, der dagegen spricht. Ihre Anwältin geht einen Schritt weiter: Der Fischertagsverein habe eine „Sozialmacht“als alleiniger Veranstalter des Heimatfestes, weswegen ein Ausschluss von Frauen diskriminierend sei. Bei den Wallenstein-Spielen, bei denen der Fischertagsverein ebenfalls Veranstalter ist, dürften ja auch Frauen in Männerrollen schlüpfen – so wie ihre Mandantin das auch praktiziert.
Richterin Erdt bohrt weiter nach – etwa, warum der Vorstand keine Ausnahmen genehmige. Was laut Satzung möglich sei. Da lässt sich der Vorstand nicht festnageln. Ausnahmen habe es in der jüngeren Vergangenheit nicht gegeben. Und schließlich gebe es ja auch Männer, die die Kriterien für die Gruppe der Stadtbachfischer nicht erfüllten, so Ruppert. „Wir wollen an Satzung und Tradition festhalten.“Zudem könne die Klägerin ja als „KübelesMädel“(die stecken die gefangenen Fische am Stadtbach in Wasserkübel) sowie an allen anderen Veranstaltungen des insgesamt dreitägigen Fischertags teilnehmen – nur nicht an den rund 15 Minuten des Ausfischens. Dabei gehe es aber um „ein zentrales Ritual“, nicht um Privatrecht, kontert Bräcklein.
Als ein weiteres Argument verweist die Anwältin auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs gegen eine
Freimaurerloge, die sich gegen die Aufnahme von Frauen wehrte – und mit der aberkannten steuerlichen Gemeinnützigkeit viele finanzielle Vorteile verlor. Diese Entscheidung sei eigentlich für alle Finanzämter in Deutschland verbindlich, heißt es beim Bundesfinanzministerium. Doch sie führte zu vielen Nachfragen – und lange nicht alle Ämter handelten konsequent. Das könne man mit dem aktuellen Fall nicht vergleichen, entgegnet der Anwalt des Fischertagsvereins. Bei dem Urteil sei es um Steuerrecht und nicht ums Zivilrecht gegangen.
Enger könnte es für den Fischertagsverein wie für viele andere Vereine werden, wenn Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) seinen Plan umsetzt, Vereinen, die heute noch Frauen die Mitgliedschaft verwehren, die Gemeinnützigkeit und die damit verbundenen finanziellen Vorteile zu streichen: „Wir ändern gerade das Gemeinnützigkeitsrecht“, hatte der SPDPolitiker im vergangenen November angekündigt. „Vereine, die grundsätzlich keine Frauen aufnehmen, sind aus meiner Sicht nicht gemeinnützig. Wer Frauen ausschließt, sollte keine Steuervorteile haben und Spendenquittungen ausstellen.“Scholz spricht von Hunderten, der Verein Deutsches Ehrenamt eher von mehreren Tausend: Studentenverbindungen, Sportclubs, Schützenvereine, Chöre.
Als Zuschauer verfolgen auch Anna und Ida die Verhandlung. Sie unterstützen die Initiative „Fischertagskönigin“– und sprangen vor einigen Tagen werbewirksam in den Memminger Stadtbach, als der Fischertag eigentlich hätte stattfinden sollen – wegen Corona aber abgesagt wurde. „Memmingen braucht mehr Gleichberechtigung“, sagen die beiden. Schließlich seien Frauen „keine Porzellanpüppchen“. Und nur weil auch Frauen in den Stadtbach gehen, würde das ja nicht den ganzen Fischertag kaputt machen. Andere Prozessbeobachter, ältere Herren, teilen diese Ansicht nicht. Der Fischertag sei ein Heimatfest mit Tradition – und mit der dürfe nicht gebrochen werden.
In vier Wochen, am 31. August, will die Kammer ihr Urteil verkünden. Beide Seiten aber kündigen an, dass sie im Falle einer Niederlage vor die nächst höhere Instanz ziehen – das wäre das Landgericht. „Es gibt wahrscheinlich nur Schwarz und Weiß in diesem Prozess“, sagt ein Anwalt des Vereins. „Wenn es Ihnen das wert ist, hängen wir noch in zehn Jahren an dem Thema“, erwidert die Anwältin der Gegenseite, Susann Bräcklein, und lässt sogar durchblicken, die Angelegenheit notfalls vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen. Woraufhin auch Richterin Erdt prognostiziert: „Ich denke nicht, dass das mit mir ein Ende findet.“
„Für mich schließen sich Brauchtum und Gleichberechtigung nicht aus.“
Klägerin Christiane Renz