Seehofer will Journalistin anzeigen und löst Streit um Pressefreiheit aus
Innenminister empört sich über Zeitungskolumne, die Polizisten mit Abfall gleichsetzt – Kanzlerin greift ein
BERLIN - Eigentlich könnte sich Hengameh Yaghoobifarah geschmeichelt fühlen: Nicht viele Zeitungskolumnisten schaffen es, mit ihren Texten Gegenstand von Krisengesprächen zwischen Bundeskanzlerin und Bundes-Innenminister zu werden.
Doch für Horst Seehofer ist der Text, den Yaghoobifarah am 15. Juni in der linksalternativen „Tageszeitung“(taz) schrieb, zumindest ein indirekter Aufruf zur Gewalt gegen Polizisten. Und so kündigte der CSU-Innenminister am Sonntagabend via „Bild“an, Strafanzeige gegen die Kolumnistin zu stellen. „Der Enthemmung der Worte folgte eine Enthemmung der Taten“, sagt Seehofers Sprecher am Morgen danach in der Bundespressekonferenz in Berlin. Dort kommt die Ankündigung nicht sonderlich gut an. Viele Korrespondenten wittern in der Attacke des mächtigen CSU-Ministers gegen eine bislang weitgehend unbekannte Journalistin einen Angriff auf die Pressefreiheit.
Mit den enthemmten Worten meint der Sprecher ausdrücklich auch die Yaghoobifarah-Kolumne, mit den Taten die Krawallnacht von Stuttgart. Auf Nachfrage bestätigt er, dass sein Haus unter enthemmten Worten auch die Vermutung von SPD-Chefin Saskia Esken versteht, in der Polizei gebe es einen „latenten Rassismus“. Wie das aus Sicht der
Unions-Innenpolitiker ineinandergreift, erklärt CDU-Fraktionsvize Thorsten Frei: „Jetzt haben wir die Quittung für das polizeifeindliche Klima der vergangenen Wochen erhalten“, kommentierte er nach den Stuttgarter Ausschreitungen. Esken, das rot-rot-grüne Antidiskriminierungsgesetz und die taz-Kolumne haben Frei zufolge „zweifelsohne zu den Ereignissen von Stuttgart beigetragen“, so Frei. Mit dem SeehoferVorstoß erreicht die sowieso schon rege Debatte um die taz-Kolumne eine neue Qualität. Doch was hat Yaghoobifarah überhaupt geschrieben? Unter der Überschrift „All Cops are berufsunfähig“machte sich die Autorin Gedanken über eine mögliche Abschaffung der Polizei. Wenn es die nicht mehr gebe, den Kapitalismus aber schon, bräuchten die Beamten ja eine neue Arbeit. Doch der Autorin fällt spontan nur eine einzige Verwendung für die früheren Polizisten ein, die sie mit ihrem überdurchschnittlichen Anteil an „Fascho-Mindset“weder in sozialen Berufen, noch in der Kultur noch im Baumarkt sehen will. Es bleibe nur die Mülldeponie, wo die Ex-Beamten „wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten“, schließt die Autorin.
Seitdem ist die Aufregung groß: Die Autorin erhält Morddrohungen. In der taz streitet die Redaktion, ob der Polizist-Müllvergleich noch als – wenn auch verunglückte – Satire durchgehen kann. Viele Leser fragen sich zudem, ob der Text überhaupt Satire sein sollte. Die Deutsche Polizeigewerkschaft stellte Strafanzeige wegen Volksverhetzung.
Und in der Bundespressekonferenz fragen Journalisten, wie es der Minister und die Kanzlerin denn so mit der Pressefreiheit haben. Angela Merkels Sprecher Steffen Seibert betont, dass diese für Deutschland extrem wichtig sei und verweist auf die Gespräche zwischen Merkel und Seehofer, die aber eben vertraulich seien.
Möglich, dass die Gespräche mit der Kanzlerin bei dem Minister zu einem gewissen Umdenken geführt haben. Denn sowohl der nach Stuttgart geeilte Seehofer als auch sein in Berlin sitzender Sprecher relativieren. Man sehe in der taz-Kolumne zwar eine Grenzüberschreitung über die Presse- und Meinungsfreiheit hinaus. Doch man wolle erst einmal prüfen, ob das auch für eine Anzeige reicht. Das Ergebnis dieser Prüfung stand bis zum Redaktionsschluss am Montagabend noch aus.