Wiederbelebt – aber nicht genesen
Seit Gastwirte wieder unter Auflagen geöffnet haben, zeigt sich, dass Zuversicht und Resignation nah beieinanderliegen
TETTNANG - Fritz Tauscher der Ältere sagt: „Vom Vater zum Sohn, in der siebten Generation …“und Fritz Tauscher der Jüngere ergänzt: „– die achte ist gerade im Kindergarten.“Mit diesem Satz machen die Braumeister und Gastronomen aus Tettnang nicht einfach nur einen kleinen Witz, sondern sie ziehen eine klare Definitionslinie entlang der Philosophie des Familienbetriebs. Und diese Linie erzählt etwas über Zusammenhalt in der Krise, über den Willen, die Ärmel hochzukrempeln, über die Bereitschaft, auch mal die Zähne zusammenzubeißen. Sie berichtet auch über die Unerschütterlichkeit bestimmter Traditionen – wie sie manchmal durch Krisen plötzlich wieder zum Leben erweckt werden, zum Beispiel das „Gassenbier“. Dies ist der geordnete Ausschank des Gerstensafts in mitgebrachte Behälter durchs Fenster. „Als noch alles zuhatte, waren wir überrascht, wie toll die Leute das angenommen haben“, sagt Fritz junior und berichtet von einer vorbildlich Abstandsregeln einhaltenden Schlange von beeindruckender Länge. „Ungefähr 150 bis 200 Menschen.“
Wer sich dieser Tage auf den Weg macht, um ein Gefühl für den Zustand unserer Gastronomie nach der Wiedereröffnung zu bekommen, sieht sich im Braugasthof Krone in Tettnang jedenfalls nicht von Trübsalbläsern umgeben. Der Standpunkt von Vater und Sohn lautet verkürzt: „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“Gute Jahre in der Vergangenheit machten es nun möglich, von den besseren Zeiten zu zehren.
Doch damit sind die Tauschers nach Ansicht des Dehoga (Deutscher Hotel und Gaststättenverband) Baden-Württemberg eher die Ausnahme als die Regel. Verbandssprecher Daniel Ohl sagt am Telefon, ohne den ihm sonst innewohnenden pragmatischen Optimismus: „Um überhaupt wieder in so etwas wie eine Gewinnzone zu kommen, brauchen Sie 70 Prozent vom Normalumsatz. Diese 70 Prozent erreichen im Moment aber nur sehr wenige.“Schuld seien die Abstandsregeln, die dafür sorgten, dass nur sehr viel weniger Menschen in die Gasthäuser kommen dürften. „Betriebe mit einer Außenbewirtung stehen da ein bisschen besser da“, berichtet Ohl. Trotzdem bekomme er die Rückmeldung vieler Gastronomen, dass Erleichterung herrsche über die Möglichkeit, überhaupt wieder offenzuhaben – und zwar zunächst einmal „egal wie“. Ungeachtet der Frage, ob Wirtschaften so kostendeckend arbeiten können, „ist es doch auch sehr wichtig zu zeigen, dass man als Gastgeber noch da ist“. Lebenszeichen und Hoffnung statt Gewinn- und Verlustrechnung.
Tatsächlich ärgert sich Ohl über das Land Baden-Württemberg, das bereits Mitte Mai 300 Millionen Euro Stabilisierungshilfe für das Gastgewerbe
angekündigt hat. „Aber bis heute ist nicht mal klar, wie oder wo man das Geld beantragen kann.“Mit schönen Ankündigungen könne aber kein Wirt sein Liquiditätsproblem beheben. Ohl: „Auf gut Schwäbisch: Der Zuschuss ist so wichtig, weil vielen der Kittel brennt.“
Das CDU-geführte baden-württembergische Wirtschaftsministerium teilt dazu mit: „Die Soforthilfen für Gastronomie und Hotellerie können in der Tat noch nicht beantragt werden, was wir auch sehr bedauern. Dies hängt aber mit leider noch notwendigen Abstimmungen mit dem Bund und innerhalb der Koalition zusammen.“Und weiter: „Allerdings trägt der grüne Koalitionspartner das Programm nur unter der Maßgabe mit, dass dem Land hier keine Bundesmittel ,verloren’ gehen. Unter dieser Bedingung konnten wir leider nicht wie geplant in die schnelle Umsetzung gehen, obwohl die große Not in der Branche aus Sicht der Wirtschaftsministerin eine schnelle Reaktion erfordert und durchaus auch den Einsatz von Landesmitteln rechtfertigen würde, zumal ein insolventer Betrieb oftmals endgültig vom Markt verschwindet.“Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sagt: „Wir müssen endlich all jenen Unternehmen, denen das Wasser bis zum Hals steht, helfen. Denn für sie zählt jeder Tag. Deshalb arbeiten wir rund um die Uhr mit Hochdruck daran, alle Details zu klären, damit unser Hilfsprogramm bald starten kann.“
Andreas Schwarz, Chef der grünen Landtagsfraktion, entgegnet: „Uns Grünen ist es ein wichtiges Anliegen, dass den gastronomischen Betrieben schnellst- und bestmöglich geholfen wird. Daher unterstützen wir eine Förderung für das Hotel- und Gaststättengewerbe ohne Wenn und Aber. Es muss sichergestellt werden, dass Landesgelder als Ergänzung zu den bereitstehenden Bundesgeldern fließen, aber nicht anstelle der Bundesgelder. Das wäre absolut nicht im Sinne der Betriebe.“
Fritz Tauscher junior zum Ausschank von Bier am geöffneten Fenster in mitgebrachte Behälter
Dass sich die Grünen für die Verzögerung in Beantragung und Ausschüttung der Hilfen eher nicht in der Verantwortung sehen, deutet folgender Satz von Schwarz an: „In der Kabinettsvorlage war von Anfang an vorgesehen, dass eine Verschränkung mit den Bundeshilfen angestrebt wird. Diese Zielsetzung unterstützen wir ausdrücklich und haben das Wirtschaftsministerium deshalb nochmals dazu aufgefordert, diese Abstimmung so zeitnah wie möglich vorzunehmen, um eine möglichst reibungslose Abwicklung der Hilfen gewährleisten zu können.“Auch wenn die Statements Formulierungen wie „schnellstmöglich“oder „zeitnah“und „Hochdruck“beinhalten: Weder Grüne noch CDU nennen in ihren Einlassungen konkrete Zeitpunkte, mit denen ein Gastronom rechnen könnte.
Wenn die Wirtin des schwäbischen Lokals im Großraum Biberach von dem Gezerre um die Hilfen hört, verdreht sie die Augen. „Wissen Sie – wenn ich dann mal insolvent bin und das Geld wäre eine Woche später doch noch gekommen, dann ist es halt zu spät“, sagt sie und räumt dabei so hektisch den Schanktresen auf, dass die Gläser wackeln. Wie sie und ihr Lokal heißen, will sie nicht in der Zeitung stehen haben, denn: „Wenn die Leute hören, dass es bei uns Spitz auf Knopf steht, kommen noch weniger“, befürchtet sie. An diesem Mittag seien auch im Garten nur 14 Leute gesessen. Wie es jetzt weitergeht? „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, sagt die Gastgeberin und zuckt mit den Schultern.
Thomas Geppert, Geschäftsführer des Dehoga Bayern, hat für sein Bundesland ebenfalls keine wirklich guten Nachrichten: „Die Lage bleibt äußerst prekär.“Durch die Auflagen und Abstandsregeln bedeute selbst ein volles Haus nur eine Auslastung von 40 Prozent der Kapazitäten.
„Die Umsatzerwartungen liegen bei 50 bis 60 Prozent Minus“, sagt Geppert und wünscht sich weitere Lockerungen. „Das Infektionsrisiko ist gering, das Infektionsgeschehen niedrig – weiter Schritte müssen jetzt gegangen werden.“Dazu gehöre, statt der Masken bei den Angestellten sogenannte Face Shields zu erlauben. „Damit man das Lächeln wieder sieht.“Man müsse sich überlegen, ob man ängstlich in diese Zeit gehe – oder die Lockerungen genieße, ohne fahrlässig zu sein. „In der Gastronomie ist es so sicher wie daheim – nur viel, viel schöner“, findet Thomas Geppert und hofft, dass es „im schönsten Bundesland der Welt“rasch wieder aufwärts geht.
Selbst wenn ihnen Schwarzmalerei fremd ist – auch Fritz und Fritz Tauscher hätten nichts dagegen, wenn die Lage sich flott normalisieren würde. „Ich glaube, das wird schon“, sagt der jüngere Fritz. Unter den Gastronomen, die er mit seinem Bier beliefert, gebe es welche, deren Bierabsatz schon wieder auf dem Niveau vor Corona liege. Wofür die Tauschers im Nachhinein dankbar sind, ist die Tatsache, dass sie Anfang März eine bereits fertige Werbekampagne inklusive gedruckter Plakate in letzter Minute gestoppt haben. Der Doppelbock, der Gegenstand der Reklame gewesen wäre und sich vom Namen der Kronen-Brauerei herleitet, heißt nämlich „Coronator“.
Dehoga-Sprecher Daniel Ohl zur versprochenen Stabilisierungshilfe fürs Gastgewerbe
„Als noch alles zuhatte, waren wir überrascht, wie toll die Leute das angenommen haben.“
„Auf gut Schwäbisch: Der Zuschuss ist so wichtig, weil vielen der Kittel brennt.“