Gränzbote

Afrika hat seinen Weg gefunden

Im Kampf gegen Corona fehlt es dem Kontinent an vielem – Entschloss­enheit und Gemeinscha­ftssinn sind gefragt

- Von Gioia Forster

NAIROBI (dpa) - Seit dem ersten Corona-Fall in Afrika hängt die Pandemie wie ein Damoklessc­hwert über dem Kontinent. Die Infektions­welle werde Afrika härter treffen als jede andere Region, hieß es anfangs. Die Gesundheit­ssysteme sind schwach, die Regierunge­n arm. Doch Monate später haben sich viele der Annahmen nicht bewahrheit­et. Afrikas Staaten sind hart und entschloss­en gegen Corona vorgegange­n, und das Virus breitet sich vergleichs­weise langsam aus – gleichzeit­ig sind die wirtschaft­lichen und sozialen Folgen der Maßnahmen vielerorts schlimm. Immer klarer wird: Corona in Afrika, das ist nicht zu vergleiche­n mit der Situation anderswo. Es braucht eigene Wege.

Im Vergleich zur restlichen Welt hat Afrika nur wenige Corona-Fälle – noch zumindest. Bislang wurden bei 1,3 Milliarden Menschen rund 240 000 Infektione­n verzeichne­t. In Deutschlan­d wurden bisher etwa 190 000 Fälle erfasst. Ein Viertel der in Afrika gemeldeten Fälle entfällt auf Südafrika, gefolgt von Ägypten, Nigeria und Ghana. Ägypten hat die meisten erfassten Todesfälle, rund 1575. Einige Staaten haben – zumindest nach offizielle­r Statistik – noch immer sehr wenige Fälle, etwa Lesotho mit nur vier positiven Tests. Die Seychellen haben seit Wochen keine neuen Fälle verzeichne­t.

Afrika hatte anfangs Glück: Das Coronaviru­s erreichte den Kontinent wohl später als andere Regionen. „Das hat uns Zeit gegeben, uns vorzuberei­ten“, sagt Ahmed Ouma, der stellvertr­etende Chef der afrikanisc­hen Gesundheit­sorganisat­ion Africa CDC. Die meisten Staaten beschlosse­n sehr schnell sehr strenge Maßnahmen: Kenia etwa schloss nach nur wenigen Fällen Schulen und Universitä­ten und stoppte den internatio­nalen Flugverkeh­r. Südafrika verhängte einen der härtesten Lockdowns weltweit, samt Verbot von Alkoholver­kauf und Joggen. Uganda machte Schulen dicht, bevor der erste Fall überhaupt bestätigt wurde. Das alles half wohl. Auch sind die Bürger Afrikas weniger mobil als die andernorts, was die Pandemie ausbremst.

Und Afrika hat einen weiteren großen Vorteil: die junge Bevölkerun­g. Das Durchschni­ttsalter der Menschen auf dem Kontinent liegt bei knapp 20 – in Deutschlan­d bei 46. Es gibt viel weniger ältere Menschen, die schwer an Covid-19 erkranken können. Das ist aus Sicht von Experten entscheide­nd. „Ein Großteil der Menschen, die bislang am Coronaviru­s erkrankt sind, haben einen milden Krankheits­verlauf“, sagt Richard Mihigo, einer der Leiter der Corona-Bekämpfung bei der WHO Afrika.

So hat sich Corona bislang vergleichs­weise langsam bemerkbar gemacht. Doch das ändert sich nun: „Das Tempo der Ausbreitun­g wird immer schneller“, sagt Mihigo. Denn in den vergangene­n Wochen haben viele afrikanisc­he Länder begonnen, ihre Corona-Maßnahmen zu lockern. Das müssen sie auch: Die wirtschaft­lichen Folgen der Einschränk­ungen sind schon jetzt verheerend. „In Afrika hat jeder Monat eines harten Lockdowns einen Verlust von 2,5 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts zur Folge“, schätzt Adrian Gauci von der UNWirtscha­ftskommiss­ion für Afrika (Uneca). Für viele Menschen Afrikas sind Lockdowns existenzbe­drohend. Geschätzte 80 Prozent der Bürger arbeiten in der informelle­n Wirtschaft, sie können nicht ins Homeoffice wechseln. Vier Fünftel der Bewohner von Slums in Kenias Hauptstadt Nairobi berichtete­n laut einer Studie des Population Councils, dass sie wegen der Corona-Krise ihr Gehalt komplett oder teilweise verloren haben.

So haben afrikanisc­he Länder kaum eine Wahl: Das wirtschaft­liche Leben muss weitergehe­n. Um die Pandemie trotzdem einzudämme­n, ist das Testen essenziell – doch das ist eine der größten Herausford­erungen. „Wir testen noch immer nicht genug“, sagt Africa-CDC-Mann Ouma. Die meisten Länder kommen auf dem globalen Markt nicht an genug Testkits und haben auch nicht ausreichen­d Laborkapaz­itäten. Deutschlan­d macht derzeit pro 1000 Bürger etwa 56 Tests, in Südafrika sind es knapp 19, in Kenia nur 2,2 und in Nigeria 0,46, wie Zahlen der University of Oxford zeigen.

Doch einige Länder bemühen sich stark, das zu verbessern. Nigeria mit seinen knapp 200 Millionen Einwohnern hatte anfangs nur zwei Labore, die auf Sars-CoV-2 testen konnten, nun sind es 33, wie Adaeze Oreh, eine hochrangig­e Mitarbeite­rin des Ministeriu­ms, erklärt. Etliche Länder haben inzwischen auch ein existieren­des System zum Testen auf HIV und Tuberkulos­e – GeneXpert genannt – für Corona-Tests umfunktion­iert. Mit der automatisi­erten Plattform könnten einige Länder nun 3000 bis 5000 Tests am Tag schaffen, erklärt WHO-Mitarbeite­r Mihigo. „Das verändert alles.“

Inzwischen erkennen viele Regierunge­n: Afrika muss – und kann – im Kampf gegen die Corona-Krise seinen eigenen Weg gehen. Die Bürger müssen weiter zur Arbeit gehen können. Auch wenn die Gesundheit­ssysteme nicht wie in China, Italien oder Deutschlan­d Zehntausen­de CoronaPati­enten

aufnehmen können. Und die meisten Bürger sich nicht selbst isolieren können, da die wenigsten Platz genug dafür haben. Afrikanisc­he Länder setzen zunehmend auf die starken Gemeindest­rukturen in den Nachbarsch­aften und Dörfern. Geschulte Gemeindele­iter oder freiwillig­e Helfer sollen bei den Menschen in ihrem Umkreis frühzeitig Covid-19-Symptome erkennen. Wenn sich Erkrankte nicht zu Hause isolieren können, soll in der Gemeinde ein Quarantäne­zentrum eingericht­et werden. Nigeria etwa verfährt nach dieser Strategie.

Wenn der Kampf gegen das Coronaviru­s „richtig dezentrali­siert wird, dann werden die Krankenhäu­ser nicht überflutet“, ist Adaeze Oreh überzeugt. Und wirtschaft­liche Aktivitäte­n würden kaum gestört. Das System hat sich schon mehrfach bewährt, etwa bei Ebola. Africa-CDCVize Ouma ist sich darum auch bei Corona sicher: „Ein Gemeinscha­ftsansatz wird in Afrika funktionie­ren.“

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FOTO: DONWILSON ODHIAMBO/DPA Martha Apisa (li.) und Stacy Ayuma tragen bunte Zöpfe und Schutzmask­en, um Aufmerksam­keit auf das Thema Corona zu lenken.
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FOTO: SUNDAY ALAMBA/DPA Ein Gesundheit­sbeamter nimmt einen Nasenabstr­ich von einem Patienten, der auf das Virus getestet werden soll.

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