Einfach wieder raus
Tourismus am Bodensee kommt in Schwung – Ausflusgziele und Campingplätze profitieren
LINDAU - Das Homeoffice verdrängt, vielleicht auch die Sorgen wegen Kurzarbeit tief im Gehirn vergraben. Oder die vielen Wochen, in denen die Kinder daheimbleiben mussten, beiseite geschoben. Höchste Zeit für Urlaub. Eine Gefühlslage, die offenbar viele derzeit teilen. „Ferien sind fast wie eine Befreiung“, meint Bea Verenz. Die junge Frau kommt aus Remshalden, einem Dorf östlich von Stuttgart. Unterwegs ist sie mit ihren drei Kindern am östlichen Bodensee, genauer gesagt auf dem Gitzenweiler Hof, einem ausgedehnten Campingplatz bei Lindau, idyllisch am Wald und einem Weiher gelegen. Verenz war offenbar beim Einkaufen im Supermarkt, bewegt sich in lockerer Freizeitkleidung auf einem der vielen Wege zwischen Caravans und Wohnwagen zurück zu Ehemann und dem eigenen fahrbaren Domizil. „Ich bin einfach froh“, gibt sie ihre Stimmung wieder.
Andere befragte Touristen äußern sich ebenso – auf dem Gitzenweiler Hof, in Lindau oder am Bodensee entlang Richtung Friedrichshafen. Nachdem schon zu Pfingsten im innerdeutschen Tourismus wesentliche Corona-Beschränkungen entfallen sind, läuft der Reisebetrieb nach den trostlosen Wochen des Lockdowns offenbar wieder an. „Erste Aussagen von Partnern in der Region sowie die eigenen Wahrnehmungen vermitteln schon den Eindruck, dass die touristischen Aktivitäten von Einheimischen und Gästen bei dem sonnigen Wetter der vergangenen Tage ins Rollen gekommen sind“, berichtet Jürgen Ammann, Geschäftsführer der Internationalen Bodensee Tourismus GmbH. Besonders eindrücklich scheint die Erfahrung im Allgäu gewesen zu sein. Dort hat das Kemptener Polizeipräsidium zu Pfingsten ein Reisechaos im Straßenverkehr ausgemacht, sogar extra für den besseren Überblick aus dem Hubschrauber: „Das komplette Allgäu ist voll, übervoll, von Füssen bis Lindau“, meldeten die Beamten.
Diese Entwicklung war zumindest mit Blick auf Tagesausflügler absehbar. Schon eine Woche zuvor war beispielsweise hinter Steibis am beliebten Wanderziel Hochgrat festzustellen: Parkplatz komplett belegt. In kleinen Bodenseedörfern wie Wasserburg hatte sich der Bodenseeradwanderweg wieder so belebt, dass Fußgänger dauernd auf die Seite springen mussten.
Beim genaueren Blick auf das touristische Geschehen werden jedoch auch Unterschiede deutlich. Dass viele Menschen auf den Beinen sind, lässt wohl nicht überall die Kassen so klingeln, wie es deren Eigentümer gerne hätte. Die baden-württembergische Sektion des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga hat über das Pfingstwochenende nur einen „eher verhaltenen Neustart“verzeichnet. Julia Metzmann von Schwäbische Alb Tourismus teilt für ihre Region mit: „Der von vielen erwartete riesige Ansturm ist – zumindest bislang – ausgeblieben. Für die meisten Hotels und Gastronomiebetriebe ist also noch kein Aufatmen angesagt, denn besonders wegfallende Veranstaltungen und fehlender Geschäftsreisetourismus treffen viele Betriebe auch weiterhin hart.“Andererseits verzeichneten Campingund Wohnmobilstellplätze „eine sehr große Nachfrage“, ergänzt sie.
Eine Beobachtung, die auch Kurt Bonath, Vorsitzender des Landesverbandes der Campingplatzunternehmer, gemacht hat. Er weiß von „zahlreichen Plätzen, die zu Pfingsten ausgebucht waren“. Aber Bonath machte auch die Erfahrung, „dass viele Menschen noch verunsichert sind“. Ein Hinweis, auf den man öfters stößt. Was gilt bei den CoronaVerordnungen wo? Haben die Bayern die gleichen Regeln wie die Baden-Württemberger? Unterscheiden sich die Konditionen von Hotels und Campingplätzen? Die Antworten sind nicht unbedingt leicht, weil sich die Lage kurzfristig ändern kann. „Es stimmt schon, man hat immer mal wieder nicht so richtig den Überblick“, sagt Rüdiger Hemer. Ihn und seine Frau hat die Fahrt von ihrer Heimat im Südschwarzwald auf den Gitzenweiler Hof gebracht. „Wir sind im 13. Jahr zu Pfingsten hier“, erzählt er. Die Lockerungen der Corona-Maßnahmen haben den Aufenthalt kurzfristig auch heuer möglich gemacht. In diesem Fall gelten die bayerischen Vorgaben.
An den Tagen vor Pfingsten waren Platzchefin Heidrun Müller vom Gitzenweiler Hof und ihr Team erst einmal damit beschäftigt, die Umsetzung der Hygiene-Richtlinien zu erarbeiten. Die Mitarbeiter schwärmten aus, um Klebestreifen für den korrekten Abstand auf den Boden zu kleben – etwa bei der Rezeption. Der Kioskbetrieb musste auf Corona-Bedingungen eingerichtet werden: Die Kunden sollten brav mit Abstand auf Bier und Pommes warten und zudem Namen und Telefonnummer notieren – die inzwischen übliche Maßnahme, um im Fall auftretender Neuinfektionen das Virus rasch eingrenzen zu können. Müller betont: „Wir sind darauf bedacht, alle Regelungen einzuhalten.“
Dies scheint auch für die Gäste zu gelten. Zumindest kann die Platzchefin von keinem Ärger durch unwillige Camper berichten. „Den ganz großen Gästeansturm hat es hier nicht gegeben“, sagt Müller. Dies gilt ebenso für zwei benachbarte Campingplätze. Einer davon liegt in Gohren, einem Ortsteil der württembergischen Bodenseegemeinde Kressbronn. Dort ist bei einem Durchschreiten der Anlage rasch festzustellen, dass zwar Betrieb herrscht, aber zum Teil selbst Dauercamper bislang ferngeblieben sind.
Tatsächlich wirkt die Szenerie entspannt. Höflich wird auf Distanz geachtet. Was sich in diesen Tagen andernorts auch anders darstellte – etwa in einem frei zugänglichen Strandbad bei Lindau. Hier drängten sich Menschen dicht an dicht.
Heidrun Müller vom Gitzenweiler Hof setzt auf die kommenden Wochen: „Schon für Fronleichnam und das folgende Wochenende gibt es verstärkt Buchungen. Das Geschäft zieht deutlich an.“Gute Aussichten bieten bundesweite Prognosen, dass viele Deutsche dieses Jahr ihren Urlaub lieber im Land verbringen wollen. Zumindest scheint der Wille, Ferien zu machen, ungebrochen zu sein – manchmal tun es offensichtlich schon ein paar Kilometer Anreise. Andreas Quandt aus Friedrichshafen ist zu Pfingsten mit Familie und Wohnwagen herüber in den Gitzenweiler Hof gefahren: „Einfach, um ein bisschen rauszukommen.“