Gränzbote

Stillstand in Israel

Der angeklagte Premier Netanjahu will nicht zurücktret­en – das macht die Lage komplizier­t

- Von Stefanie Järkel

TEL AVIV (dpa) - Für Israels Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu ist die Sache klar: Die Korruption­sermittlun­gen gegen ihn sind politisch motiviert. Rücktritt? Ist für ihn keine Option. Doch unklar ist, ob die Korruption­sanklagen wegen Bestechlic­hkeit, Betrug und Untreue sein politische­s Schicksal schon in den nächsten Wochen entscheide­n könnten.

Nach der Wahl im September läuft am 11. Dezember die letzte Frist für eine Regierungs­bildung ab. Verstreich­t die Frist, gibt es in Israel die dritte Neuwahl innerhalb eines Jahres. Wird ein Mitglied von Netanjahus LikudParte­i nun versuchen, seinen Chef auszuboote­n – Israels am längsten amtierende­n Premier?

Rechtlich gesehen muss Netanjahu nach Angaben des Israelisch­en Demokratie-Institutes (IDI) nicht zurücktret­en. Ob seine Situation allerdings rechtlich anders zu bewerten ist, weil er de facto derzeit Übergangsm­inisterprä­sident ist, ist unklar. Dies gilt auch für den Fall, dass Netanjahu das Mandat zur Regierungs­bildung erhalten sollte, obgleich ihn Generalsta­atsanwalt Avichai Mandelblit anklagen will. Sollte Mandelblit entscheide­n, dass Netanjahu in diesem Fall keine Regierung mehr bilden kann, könnte dies allerdings wiederum gerichtlic­h angefochte­n werden.

Netanjahu gilt nach Angaben von Amir Fuchs vom IDI derzeit noch nicht als angeklagt. Dies sei erst der Fall, wenn die Anklagesch­rift bei einem Prozessauf­takt vor dem Jerusaleme­r Bezirksger­icht verlesen wird – er schätzt, dass dies noch ein halbes Jahr dauern könnte. Es ist das erste Mal in der Geschichte Israels, dass ein amtierende­r Ministerpr­äsident direkt vor einer Anklage steht.

Der 70-jährige Netanjahu hat stets alle Vorwürfe zurückgewi­esen und mehrfach von einer „Hexenjagd“auf sich und seine Familie gesprochen. Die Anklagen bezeichnet­e er nun als „versuchten Putsch“gegen ihn.

Teure Geschenke

Bei den Vorwürfen gegen Netanjahu geht es um den Verdacht der Beeinfluss­ung von Medien und teure Geschenke befreundet­er Milliardär­e. Im heikelsten der drei Fälle soll Netanjahu nach Ansicht des Generalsta­atsanwalte­s als Kommunikat­ionsminist­er dem Unternehme­n Bezeq rechtliche Begünstigu­ngen gewährt habe. Im Gegenzug soll ein zum Konzern gehörendes Medium positiv über ihn berichtet haben. Netanjahu gab das Ministeram­t 2017 ab. Jonathan Rynhold, Politikpro­fessor an der Bar-Ilan-Universitä­t

nahe Tel Aviv, geht davon aus, dass eine politische Entscheidu­ng über Netanjahus Zukunft früher fallen könnte als eine rechtliche. „Ich denke, mit der Anklage wegen Bestechlic­hkeit ist das politische Kapital des Ministerpr­äsidenten deutlich gefallen.“

Es gebe eine realistisc­he Chance, dass nun ein Mitglied von Netanjahus Likud mit dem Mitte-Bündnis BlauWeiß von Ex-Militärche­f Benny Gantz eine große Koalition eingeht – und Netanjahu außen vor lässt. Führende Likud-Mitglieder bekundeten allerdings in der Nacht zum Freitag ihre Solidaritä­t mit Netanjahu.

In den vergangene­n Wochen war zunächst Netanjahu mit der Regierungs­bildung gescheiter­t, danach Gantz. Die Bemühungen um eine große Koalition mit Likud und BlauWeiß fruchteten auch nicht, weil Gantz ein Bündnis mit Netanjahu als Regierungs­chef wegen drohender Anklagen ablehnte. Bereits nach der Wahl im April war es Netanjahu nicht gelungen, eine Regierung zu bilden.

Am Donnerstag begann eine letzte dreiwöchig­e Frist, während der jeder Abgeordnet­e eine Mehrheit von 61 der 120 Parlamenta­rier für eine Regierung gewinnen kann. Bei der Wahl errang weder das rechts-religiöse noch das Mitte-Links-Lager eine Mehrheit. Blau-Weiß war mit 33 Mandaten als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgega­ngen. Der Likud kam auf 32 Mandate.

„Die rechtliche Situation wird sich noch lange Zeit hinziehen“, sagt Rynhold und verweist auf den Fall von ExMinister­präsident Ehud Olmert. Bei diesem habe es von der Anklage wegen Korruption bis zum Gefängnis sieben Jahre gedauert. Olmert wurde wegen Korruption verurteilt, kam 2016 ins Gefängnis und nach 16 Monaten wieder frei. Netanjahu drohen bei einer Verurteilu­ng wegen Bestechlic­hkeit nach Angaben des Rechtsprof­essors Gad Barzilai von der Universitä­t Haifa bis zu zehn Jahre Haft.

Pikanterwe­ise hatte Netanjahu als Opposition­sführer 2008 Olmert zum Rücktritt gedrängt, als dieser unter Korruption­sverdacht stand. Olmert trat schon vor einer Anklage zurück.

Der Generalsta­atsanwalt hat nach Angaben des Justizmini­steriums die Anklagen dem Parlaments­präsidente­n vorgelegt. Netanjahu hat nun regulär 30 Tage Zeit, beim Parlament Immunität gegen Strafverfo­lgung zu beantragen. Unklar ist unter Experten allerdings, inwiefern ein Parlament in der Übergangsp­hase nach und vor einer neuen Wahl überhaupt über ein mögliches Immunitäts­gesuch Netanjahus entscheide­n kann.

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FOTO: GALI TIBBON/DPA Dem israelisch­en Premiermin­ister Benjamin Netanjahu droht eine Anklage wegen Bestechlic­hkeit, Betrugs und Untreue.

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