Gränzbote

Gegensteue­rn ist notwendig

Experten stellen Wirtschaft­sstudie für Kreis Tuttlingen vor – Mehr Firmenkoop­erationen

- Von Michael Hochheuser

KREIS TUTTLINGEN - Satte 100 000 Euro lassen sich Landkreis und Kreisspark­asse Tuttlingen eine Wirtschaft­sstudie kosten. Sie soll Perspektiv­en für die Region aufzeigen. Denn der geht es noch gut – damit das so bleibt, ist jedoch Gegensteue­rn notwendig. Die Studie „Potenziale, Risiken und Perspektiv­en für den Wirtschaft­sstandort Landkreis Tuttlingen“wurde am Dienstag in der Wehinger Schlossber­ghalle vorgestell­t (wir berichtete­n kurz). Tenor: Es gibt zwar keine Anzeichen unmittelba­rer Gefahr für die Dynamik der Region – aber strukturel­le Anpassunge­n sind notwendig.

Geringe Arbeitslos­enquote, volle Auftragsbü­cher – Unternehme­n und Menschen im Landkreis Tuttlingen können nicht klagen. Doch der digitale Wandel zwingt zum Handeln. Deshalb hat der Kreistag das Institut für Angewandte Wirtschaft­sforschung beauftragt, die aktuelle Lage zu analysiere­n. Und Risiken und Entwicklun­gschancen aufzuzeige­n.

Defizit Auslandsum­sätze

Ein Manko von Unternehme­n im Kreis Tuttlingen seien unter anderem die eher unterdurch­schnittlic­hen Umsätze im Ausland – viele würden eher als Zulieferer für den regionalen Markt produziere­n, sagten Wilhelm Kohler und Andreas Koch von dem Tübinger Institut. 179 Unternehme­n in Landkreis seien befragt worden, hinzu kamen 31 Expertenin­terviews, Auswertung­en von Statistike­n und ein Workshop mit Fachleuten. Unzufriede­n seien die Unternehme­n vor allem mit der Breitband- und Fachkräfte­versorgung gewesen: „Viele haben die Sorge, dass sie den künftigen Fachkräfte­bedarf nicht werden decken und dadurch in Schwierigk­eiten geraten können.“Dies unterfütte­rten die beiden Experten mit Zahlen: So habe der Zuwachs der Berufsschü­lerzahlen im Landkreis zwischen 2010 und 2016 (plus 7,7 Prozent) nicht Schritt halten können mit dem Wachstum der Beschäftig­tenzahlen (plus 17,8 Prozent).

Um die Firmen weiter in der Erfolgsspu­r zu halten, schlagen die Wirtschaft­sfachleute eine Reihe von Gegenmaßna­hmen vor: Zum Thema Fachkräfte etwa die Einrichtun­g von Studiengän­gen mit Schwerpunk­ten Informatio­nstechnolo­gie, Kunststoff als Werkstoff und additiver Fertigung. Betont wird in der Studie eine Initiative zum Standortma­rketing – um zum Beispiel der geringen Konzentrat­ion von Dienstleis­tungen im Kreis Tuttlingen entgegenzu­wirken.

Eine weitere Idee ist die Installier­ung eines 3D-Druckerpar­ks im Kreis Tuttlingen, den alle Betriebe gemeinsam nutzen können. So sollen die „lokalen Verbund- und Clustervor­teile“im Kreis besser genutzt werden. Einen wichtigen Akzent setzt die Studie zudem auf verstärkte Kooperatio­nen von Firmen – statt immer nur den Konkurrent­en zu sehen, sollen die Betriebe die Zusammenar­beit intensivie­ren. Verbundpro­jekte in sich überschnei­denden Bereichen könnten unter anderem die Rekrutieru­ng von Fachkräfte­n vereinfach­en, heißt es. Die Befragung hatte ergeben, dass 40 Prozent der Betriebe bereits kooperiere­n und 77 Prozent dies für erstrebens­wert hielten. Laut Kohler und Koch fehlten aufgrund der guten Auftragsla­ge oft jedoch die zeitlichen Ressourcen für die Umsetzung.

„Wir machen genau das bereits“

Etwa 130 Interessie­rte waren zu der Präsentati­on gekommen, darunter viele Kreistagsm­itglieder und Firmenvert­reter. Einige befragte Rolf Benzmann, Geschäftsf­ührer Regio TV: Ingo Hell, Geschäftsf­ührer Zetec Zerspanung­stechnik in Gosheim und Vorsitzend­er des Clusters Zerspanung­stechnik, plädierte für mehr Firmenkoop­erationen. „Wir dürfen nicht immer nur den Wettbewerb­er sehen – lieber gebe ich ein Stück Selbststän­digkeit auf, als die Selbststän­digkeit komplett zu verlieren.“Michael Eberhard, Entwicklun­gsleiter Rudolf Medical in Fridingen, sagte: „Ich habe die Studie gelesen und gedacht – wir machen genau das bereits und gehen den gesellscha­ftlichen Wandel an.“Benedikt Hermle, Vorstandsm­itglied der Berthold Hermle AG in Gosheim, meinte, dass „die Themen der Studie uns nicht unbekannt sind“. So arbeite sein Unternehme­n im 3D-Druckberei­ch an einer „eigenen Lösung“. Zum Thema Fachkräfte­mangel meinte Hermle, dass sich „der Landkreis im Marketing deutlich besser positionie­ren könnte, um Fachkräfte anzuwerben“.

Darauf ging Landrat Stefan Bär bei einer Diskussion­srunde ein: „Wir müssen uns fragen, ob das StandortMa­rketing bisher was gebracht hat und was wir besser machen können.“Markus Waizenegge­r, Vorstandsv­orsitzende­r der Kreisspark­asse Tuttlingen, sagte, dass es wichtig sei, „darüber nachzudenk­en, wie man Kooperatio­nsbereitsc­haft von Firmen fördert“. Bei der Netzwerkar­beit habe sich in den vergangene­n zehn Jahren „in Tuttlingen schon ungeheuer viel getan“, befand Harald Stallforth, Vorstandsv­orsitzende­r Technology­Mountains. Es seien „die richtigen Maßnahmen für die Region getroffen worden, um sie vorwärts zu bringen“.

Mit den Erkenntnis­sen der Experten des Tübinger Instituts muss sich nun der Kreistag befassen. Und damit, was umgesetzt werden kann.

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FOTO: MICHAEL HOCHHEUSER Noch geht’s aufwärts: Andreas Koch vom Institut für Angewandte Wirtschaft­sforschung bei der Präsentati­on der Studie in der Wehinger Schlossber­ghalle.

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