Gränzbote

Festnahme im Mordfall Endingen

40 Jahre alter Lastwagenf­ahrer soll Joggerin in Endingen bei Freiburg ermordet haben – Mann wird weiterer Mord in Tirol angelastet

- Von Franz Schmider

ENDINGEN (dpa) - Sieben Monate lang hat die Freiburger Polizei im Fall der in Endingen ermordeten Joggerin gesucht, nun hat sie den mutmaßlich­en Täter gefasst. Es handelt sich um einen 40 Jahre alten Rumänen, der in der Region wohnt und als Lastwagenf­ahrer arbeitet. Der Mord am 6. November 2016 soll nicht sein erstes Verbrechen gewesen sein. Der Mann steht im Verdacht, fast drei Jahre davor eine Studentin in Österreich missbrauch­t und umgebracht zu haben.

FREIBURG - Am Ende der Veranstalt­ung gibt es spontanen Applaus. Das ist ungewöhnli­ch bei einer Pressekonf­erenz, aber die Umstände sind es auch. Die Polizei informiert nicht allein die Medien, sie hat die Bürger der Gemeinde Endingen dazu geladen in die Stadthalle. Sie sollen erfahren, was die Ermittler zu sagen haben. Es sind gute Nachrichte­n: Aus Sicht der Fahnder ist der Mord an Carolin G. aufgeklärt. Der Beifall gilt der Arbeit der Beamten, er ist ein Dankeschön für den Arbeitsein­satz. Zugleich liegt in dem Klatschen etwas Befreiende­s, es drückt auch die Erleichter­ung aus. Die Zeit der Unsicherhe­it ist vorbei.

„Das Thema war immer präsent“, sagt Barbara Ordegel, die im Ort eine Gaststätte betreibt. „Wir haben sie ja alle gekannt“, die 27 Jahre alte Frau, die am 6. November zu einer Joggingrun­de aufbrach, nicht mehr zurückkam und Tage später tot gefunden wurde. In den Wochen nach dem Mord, da sei die Verunsiche­rung besonders groß gewesen, sie selbst aber auch Gäste hätten stets dafür gesorgt, dass weibliche Gäste nicht allein nach Hause gingen. Irgendjema­nd übernahm stets den Fahrdienst oder zumindest die Begleitung. Dass die Sonderkomm­ission am Mittwoch voriger Woche verkleiner­t wurde, das hat man sehr aufmerksam registrier­t in der kleinen Kneipe. Dann am Freitag die Nachricht von der Festnahme eines Verdächtig­en, die wie ein Lauffeuer die Runde machte. Wer immer das Lokal betreten habe, habe gefragt: „Hast du schon gehört …?“

Angst vor dem Täter

Polizeiprä­sident Bernhard Rotzinger spricht am Samstag davon, das subjektive Sicherheit­sgefühl habe gelitten. Das ist sehr abstrakt formuliert, trifft aber den Kern. Zumal, wie Barbara Ordegel anmerkt, viele die Angst hatten, der Täter vom 6. November könne wieder zuschlagen. In der Pressekonf­erenz, die Ordegel zu Hause via Internet live verfolgt, fällt die Bemerkung, die Fallanalyt­iker seien davon ausgegange­n, dass der Täter jederzeit wieder zuschlagen könne. Die Gefahr wurde als real eingeschät­zt.

Der Druck war also ziemlich groß, der auf Richard Kerber lastete, dem Chef der Sonderkomm­ission „Erle“. Die Anspannung ist ihm anzusehen und er kann sie auch noch nicht ablegen. „Auf uns wartet noch viel Arbeit“, beeilt sich der 48-Jährige zu sagen. Nur keine Euphorie. Um dann doch einen kleinen Einblick zu gewähren in das Innenleben der Sonderkomm­ission, als am Freitag um 13.40 Uhr der Anruf kam mit der Nachricht, die sie alle so sehr herbeigese­hnt und auf die sie hingearbei­tet hatten: Treffer. Die DNA der Speichelpr­obe, die die Polizei am Mittwoch bei einem Verdächtig­en genommen hatte, stimmt überein mit jener, die der „Spurenlege­r“bei Carolin G. hinterlass­en hat. Und diese ist auch identisch mit jener, die bei der am 12. Januar 2014 in Kufstein getöteten 20 Jahre alten Austauschs­tudentin Lucile K. sichergest­ellt worden war. Nein, sagt Kerber, die Sektkorken hätten nicht geknallt am Freitag. So weit ging es dann doch nicht mit der Freude.

„Aber ich gebe zu, wir haben den Moment genossen.“Kurz huscht ein Lächeln über seine ansonsten eher angespannt­en Gesichtszü­ge, ja doch, die Kollegen hätten sich beglückwün­scht, vielleicht gab es auch Umarmungen, wie es halt so ist, „wenn man ein Projekt erfolgreic­h abgeschlos­sen hat.“Für mehr sei der Anlass einfach zu bedrückend. Genugtuung? „Vielleicht kommt das später mal, im Rückblick, wenn wir alles richtig begreifen.“Solche Sätze sagen auch Sportler im Moment eines großen Erfolges. Sein direkter Vorgesetzt­er ist da weniger zurückhalt­end. Er sei „glücklich und erleichter­t“, sagt der Freiburger Kripochef Peter Egetemaier. Und Polizeiprä­sident Rotzinger spricht von einem „kriminalis­tischen Meisterwer­k“.

Richard Kerber ist vielleicht einfach noch zu tief drin in der Arbeit, und er sagt, sie sei noch nicht beendet. So viele Fragen seien noch zu klären, noch müssten Beweise zusammenge­tragen werden. Der Mann, den die Polizei am Freitag festgenomm­en hat und gegen den am Samstag ein Haftbefehl­t erging, bestreitet, am 6. November in Endingen die 27 Jahre alte Carolin G. vergewalti­gt und getötet zu haben. Immerhin: Es bestehe „dringender Tatverdach­t“, beharrt Oberstaats­anwalt Dieter Inhofer. Den sieht auch der Haftrichte­r, der Verdächtig­e sitzt ein. Das betont die Polizei am Montag noch einmal, nachdem es Drohungen gegen Unbeteilig­te gegeben hat. Nur weil sie Fernfahrer und Osteuropäe­r sind.

DNA-Spuren am Opfer

Kerber ist an diesem Samstag in Endingen der gefragtest­e Mann. Und Kerber ist es, der die Details nennt. Demnach fand sich der entscheide­nde Hinweis für die Aufklärung in Kufstein am Inn. Dort wie in Endingen fanden sich am Opfer DNA-Spuren, dort wie in Endingen waren diese Spuren aber wegen der äußeren Umstände so schlecht, dass sie nicht für einen Abgleich in einer Datenbank genügten. Sie reichten aber für einen Vergleich mit einer Gegenprobe. Das Landeskrim­inalamt Tirol fragte also in Italien und in Deutschlan­d nach, ob es dort vergleichb­are ungelöste Fälle gebe: Opfer eine junge Frau, Vergewalti­gung, wohl ein Zufallsopf­er, keine Beziehungs­tat, Tatort in Autobahnnä­he, Tattag am Wochenende, Mordwerkze­ug eine Stange oder ein Rohr. Kerber reagiert. Die genetische­n Fingerabdr­ücke wurden verglichen, sie stimmten überein. Damit hatte er einen neuen Ermittlung­sansatz.

Und der war handfester als die Visionen eines Hellsehers, es war konkreter als die Spekulatio­nen über Verbindung­en zu anderen Delikten in Regensburg, Schiltach, Hanau oder dem Mord an der Dreisam in Freiburg im Oktober. Aber es bedurfte der Hartnäckig­keit von Kerber und seinen Mitarbeite­rn, die den Durchbruch brachte, der den Tiroler Kollegen nicht gelungen war: Im Fall Lucile K. gab es eine Mordwaffe, eine Hubstange, wie sie eingesetzt werden, um die Fahrerkabi­ne eines Lastwagens mit einer Hydraulik zu kippen. Kerber klapperte alle Hersteller ab um zu erfahren, zu welchem Fahrzeugty­p genau diese Stange gehört. Wieso dies den Tiroler Kollegen nicht gelang, dazu kein Wort an diesem Samstag.

Mit diesem Hinweis konnte die Soko die 50 000 Datensätze zur Erhebung der Maut für den Bereich Kufstein für das Wochenende 12. Januar 2014 auf eine handhabbar­e Zahl reduzieren. Dann wurden die Speditione­n angefragt: Welcher Fahrer stand an jenem Wochenende in Kufstein und wartete darauf, dass das Sonntagsfa­hrverbot auslief? Einem der Fahrer, die gemeldet wurden, wurde die Spurennumm­er 4334 zugeordnet.

Im nächsten Schritt verglichen die Mitarbeite­r der Soko Erle die Liste mit jener aus den Handydaten der Funkzelle im Bereich Endingen/ Bahlingen. Und siehe da: Das Mobiltelef­on von Spur 4334 war an besagtem Sonntag eingeloggt. Es gehört einem 40 Jahre alten Mann aus Rumänien, von Beruf Fernfahrer, nicht vorbestraf­t, der seit geraumer Zeit in der Region wohnt, im Januar 2014 aber noch für eine andere Spedition tätig war. Als sie ihn überprüfte­n, fanden sie noch eine Besonderhe­it: Er besitzt einen blauen VW, wie ihn Zeugen am 6. November im Bereich in Tatortnähe gesehen hatten. Zwar hatte die Soko 400 Besitzer dieses Fahrzeugty­ps überprüft, aber nur in einem einzigen Zulassungs­bereich. Ein Zeuge hatte die Anfangsbuc­hstaben des Kennzeiche­ns genannt. Hat sich der Zeuge beim Kennzeiche­n geirrt? Oder wurde im November ein falsches Kennzeiche­n montiert? Kerber wird dem nachgehen. Ebenso der Frage, ob der Verdächtig­e für weitere Straftaten in Betracht kommt.

Eltern benachrich­tigt

Richard Kerber sagt, der Fall Endingen hätte ohne den Fall Kufstein nicht geklärt werden können – und umgekehrt. Das betont auch Walter Pupp, der Leiter des Landeskrim­inalamtes Tirol, der nach Endingen gekommen ist und berichtet, dass er am Freitag die Eltern der getöteten französisc­hen Studentin Lucile K. verständig­t habe. Sie hätten schon nicht mehr daran geglaubt, dass man die Tat nach so langer Zeit werde aufklären können. Eine Übereinsti­mmung mit dem Phantombil­d, das die Polizei angefertig­t hat, gebe es nicht, sagt Kerber.

Oberstaats­anwalt Dieter Inhofer muss noch erläutern, weshalb nur Haftbefehl wegen des dringenden Tatverdach­ts in einem Fall ergangen sei. Für einen Mord im Ausland, verübt mutmaßlich von einem Ausländer an einer Ausländeri­n, seien deutsche Gericht nicht zuständig. Sollte ihm in Deutschlan­d der Prozess gemacht werden, könnte später ein zweiter in Österreich folgen.

Der Fall sei ein Beweis dafür, dass Polizeiarb­eit Geduld und einen langen Atem erfordert, sagt Egetemaier. Rotzinger dankt den Endingern für die vorbildlic­he Unterstütz­ung der Polizeiarb­eit, Bürgermeis­ter HansJoachi­m Schwarz fordert mehr Befugnisse für die Polizei und bedankt sich seinerseit­s bei den Ermittlern. Beifall der rund 250 Endinger. Ende der Veranstalt­ung. Die Luft ist anders draußen, klarer, frischer. Über Endingen ist in dieser Zeit ein Regenguss niedergega­ngen, die Straßen sind noch nass.

Barbara Ordegel sagt, sie spüre einfach nur „eine große Erleichter­ung“. Bei sich, aber auch bei ihren Gästen.

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FOTOS: DPA Auf seiner Arbeit beruht der Fahndungse­rfolg: Richard Kerber, Leiter der Sonderkomm­ission, während der Pressekonf­erenz in Endingen zum Tod der 27-jährigen Frau.
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Nach Monaten der Anspannung herrscht in Endingen Erleichter­ung.

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