Politrentner
Wenn Egon Krenz Geschichten über die DDR liest oder hört, meint er oft, dass über ein anderes Land berichtet wird. Nicht über das Land, das er mitgeprägt hat und an dessen Spitze er in den letzten Wochen als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED und Staatsratsvorsitzender stand. „Ich erwarte keine Loblieder. Die Wahrheit aber schon.“Diese Wahrheit sei viel differenzierter, sagt der einst treue Gefolgsmann von Erich Honecker. „Es hat nicht nur Widerständler gegeben, sondern Millionen Menschen, die gerne in der DDR gelebt und das Land aufgebaut haben.“Diesen Sonntag wird er 80 Jahre alt.
Die Politik lässt den in Mecklenburg-Vorpommern an der Ostsee lebenden rüstigen Rentner nicht los. Er gehe auf Versammlungen, halte Vorträge. Seine Meinung zähle noch im Osten – vor allem bei Älteren. Oft treffe er Leute, die sagten, dass es schade sei, dass es die DDR nicht mehr gebe. „Es wird immer so getan, als sei der Weg der Bundesrepublik eine einzigartige Erfolgs- und der der DDR eine einzige Negativgeschichte – so undifferenziert ist es nicht gewesen“, so der Mann, der 1997 als Mitverantwortlicher für die tödlichen Schüsse an der Berliner Mauer zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.
Zur nicht gewürdigten Wahrheit gehört für Krenz auch seine Rolle am 9. November 1989. „Ich wäre laut Verfassung verpflichtet gewesen, die Grenzen der DDR zu schützen.“Er sei im Besitz der militärischen Gewalt gewesen und hätte den Befehl geben können, was er nicht tat.
Dass es Missstände in der DDR und viele Unzufriedene gegeben hat, streitet Krenz nicht ab. Ebenso Dinge bei der Staatssicherheit, die nicht gutzuheißen seien. „Damit verkennt Krenz den gravierenden Unterschied zwischen der Geheimpolizei einer Diktatur und den Geheimdiensten von Demokratien“, sagt der Chef der Rostocker Stasi-Unterlagenbehörde, Volker Höffer. Er kritisiert, dass Krenz eine differenzierte Sichtweise auf die DDR fordert, selbst aber dazu nicht fähig sei.
Joachim Mangler (dpa)