Das ganz normale Löwen-Chaos
Beim Dauer-Zweitligisten TSV 1860 München ist vor dem Saisonstart am Sonntag in Heidenheim Realismus eingekehrt – oder auch blanke Panik
MÜNCHEN – Vom Aufstieg, der Meisterschaft gar, spricht keiner mehr. Wenigstens das. Rund um den TSV 1860 München ist nach der hochdramatischen Rettung in der Nachspielzeit Realismus eingekehrt. Oder auch blanke Panik, je nachdem, wen man fragt. Wenn die Löwen am Sonntag in Heidenheim (15.30 Uhr/ Sky) ihre zwölfte Zweitligasaison hintereinander beginnen, wird die gleiche Mannschaft auf dem Feld stehen wie während der Relegationsspiele gegen Holstein Kiel im Mai.
„In zwei Wochen muss die Kaderplanung abgeschlossen sein“, forderte Interimspräsident Siegfried Schneider. Das war am 26. Juni. Verpflichtet wurden seitdem lediglich das 21-jährige Verteidigertalent Milos Degenek von der U23 des VfB Stuttgart, der gleichaltrige Mittelfeldspieler Romuald Lacazette von der zweiten Mannschaft von Paris St. Germain und der brasilianische Verteidiger Rodnei (29) von RB Leipzig. Der ist zwar bundesligaerfahren und ein durchaus solider Innenverteidiger, absolvierte aber zuletzt verlet- zungsbedingt nur sechs Zweitligaspiele und hat auch jetzt noch Trainingsrückstand.
Weitere Transferbemühungen wurden erschwert durch die politischen Machtkämpfe, ohne die es bei 1860 wohl einfach nicht geht. Laut Gerhard Poschner wurden geplante Transfers sogar torpediert von der neuen Vereinsführung um den früheren bayerischen Staatsminister Schneider (CSU), der nach dem Rücktritt von Präsident Gerhard Mayrhofer den Verein bis zu einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Oktober führen soll. Hinter die geplante Verpflichtung des Ex-Schalkers Tim Hoogland hätte Schneider „ein Kreuz“gesetzt, sagte Poschner.
Der Präsident wehrte sich gegen die Darstellung, warf Poschner vor, die Personalie zur Instrumentalisierung genutzt zu haben. Er habe lediglich um einen Tag Bedenkzeit gebeten, weil er gerade erst ins Amt gekommen sei. Poschner habe zudem zwei Millionen Euro für neue Spieler zur Verfügung.
Hoogland spielt jetzt in Bochum, Poschner wurde degradiert. Statt Sport-Geschäftsführer ist er nur noch Sportdirektor – auf Bewährung. Im Oktober soll Bilanz gezogen werden. Schneider macht kein Geheimnis daraus, dass er sich einen freiwilligen Rückzug Poschners gewünscht hätte. Nun versucht das Präsidium offensichtlich herauszufinden, wie viele Demütigungen der frühere VfB-Spieler Poschner ertragen kann. Der Manager selbst hat sich mittlerweile einen Maulkorb auferlegt, angeblich soll er eine Klage gegen den Klub prüfen.
Der Cousin des Investors soll Sport-Geschäftsführer werden
Neuer Sport-Geschäftsführer soll Noor Basha werden, der Statthalter und Cousin von Investor Hasan Ismaik. Der studierte Pharmazeut ist ein Freund Poschners und hat zwar keine Erfahrung im Profifußball. Andererseits könne er nun wenigstens keine seltsamen Twitter-Nachrichten mehr verfassen, sagen mehrere Löwen-Funktionäre hinter vorgehaltener Hand. „#Ifanyoneplaningoralreadyplannedtostopusweareablefinishhimwithinasecond“, schrieb Basha mitten im Abstiegskampf. „Wenn irgendjemand plant oder schon geplant hat, uns aufzuhalten, können wir ihn in einer Sekunde vernichten.“Überwacht werden sollen Basha und Poschner vom Finanz-Geschäftsführer Markus Rejek, dessen Netzwerk in Spielerberaterkreisen aber auch eher dünn ist.
Zu behaupten, dass Trainer Torsten Fröhling unter diesen Umständen den schwersten Job im Profifußball verrichtet, ist wohl keine Übertreibung. Der Norddeutsche hat das Treiben in der Klubführung wochenlang stoisch und klaglos ertragen, er versucht das Beste aus der verfahrenen Situation zu machen. Doch auch er reagiert zunehmend gereizt auf die ewig gleichen Fragen. „Nee“, sagte er zuletzt auf die Frage, ob denn seine Wunschspieler überhaupt noch auf dem Markt wären. Fröhling hat in den Testspielen natürlich gesehen, dass seiner Mannschaft in der Offensive Ideengeber und Vollstrecker fehlen. Torjäger Rubin Okotie befindet sich schon seit der letzten Rückrunde im Formtief. „Diese Spieler haben uns in der Relegation gerettet. Ich werde einen Teufel tun, die Mannschaft schlecht zu reden“, sagt er. Aber eben auch: „Wenn alles so bleibt wie es jetzt ist, dann wird es nicht einfach. Unser Kader ist ziemlich schmal.“Wo er seine Löwen am Ende der Saison erwartet? „Ich traue der Mannschaft auf alle Fälle mehr als Platz 16 zu“, sagt er.