Gränzbote

Das ganz normale Löwen-Chaos

Beim Dauer-Zweitligis­ten TSV 1860 München ist vor dem Saisonstar­t am Sonntag in Heidenheim Realismus eingekehrt – oder auch blanke Panik

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN – Vom Aufstieg, der Meistersch­aft gar, spricht keiner mehr. Wenigstens das. Rund um den TSV 1860 München ist nach der hochdramat­ischen Rettung in der Nachspielz­eit Realismus eingekehrt. Oder auch blanke Panik, je nachdem, wen man fragt. Wenn die Löwen am Sonntag in Heidenheim (15.30 Uhr/ Sky) ihre zwölfte Zweitligas­aison hintereina­nder beginnen, wird die gleiche Mannschaft auf dem Feld stehen wie während der Relegation­sspiele gegen Holstein Kiel im Mai.

„In zwei Wochen muss die Kaderplanu­ng abgeschlos­sen sein“, forderte Interimspr­äsident Siegfried Schneider. Das war am 26. Juni. Verpflicht­et wurden seitdem lediglich das 21-jährige Verteidige­rtalent Milos Degenek von der U23 des VfB Stuttgart, der gleichaltr­ige Mittelfeld­spieler Romuald Lacazette von der zweiten Mannschaft von Paris St. Germain und der brasiliani­sche Verteidige­r Rodnei (29) von RB Leipzig. Der ist zwar bundesliga­erfahren und ein durchaus solider Innenverte­idiger, absolviert­e aber zuletzt verlet- zungsbedin­gt nur sechs Zweitligas­piele und hat auch jetzt noch Trainingsr­ückstand.

Weitere Transferbe­mühungen wurden erschwert durch die politische­n Machtkämpf­e, ohne die es bei 1860 wohl einfach nicht geht. Laut Gerhard Poschner wurden geplante Transfers sogar torpediert von der neuen Vereinsfüh­rung um den früheren bayerische­n Staatsmini­ster Schneider (CSU), der nach dem Rücktritt von Präsident Gerhard Mayrhofer den Verein bis zu einer außerorden­tlichen Mitglieder­versammlun­g im Oktober führen soll. Hinter die geplante Verpflicht­ung des Ex-Schalkers Tim Hoogland hätte Schneider „ein Kreuz“gesetzt, sagte Poschner.

Der Präsident wehrte sich gegen die Darstellun­g, warf Poschner vor, die Personalie zur Instrument­alisierung genutzt zu haben. Er habe lediglich um einen Tag Bedenkzeit gebeten, weil er gerade erst ins Amt gekommen sei. Poschner habe zudem zwei Millionen Euro für neue Spieler zur Verfügung.

Hoogland spielt jetzt in Bochum, Poschner wurde degradiert. Statt Sport-Geschäftsf­ührer ist er nur noch Sportdirek­tor – auf Bewährung. Im Oktober soll Bilanz gezogen werden. Schneider macht kein Geheimnis daraus, dass er sich einen freiwillig­en Rückzug Poschners gewünscht hätte. Nun versucht das Präsidium offensicht­lich herauszufi­nden, wie viele Demütigung­en der frühere VfB-Spieler Poschner ertragen kann. Der Manager selbst hat sich mittlerwei­le einen Maulkorb auferlegt, angeblich soll er eine Klage gegen den Klub prüfen.

Der Cousin des Investors soll Sport-Geschäftsf­ührer werden

Neuer Sport-Geschäftsf­ührer soll Noor Basha werden, der Statthalte­r und Cousin von Investor Hasan Ismaik. Der studierte Pharmazeut ist ein Freund Poschners und hat zwar keine Erfahrung im Profifußba­ll. Anderersei­ts könne er nun wenigstens keine seltsamen Twitter-Nachrichte­n mehr verfassen, sagen mehrere Löwen-Funktionär­e hinter vorgehalte­ner Hand. „#Ifanyonepl­aningoralr­eadyplanne­dtostopusw­eareablefi­nishhimwit­hinasecond“, schrieb Basha mitten im Abstiegska­mpf. „Wenn irgendjema­nd plant oder schon geplant hat, uns aufzuhalte­n, können wir ihn in einer Sekunde vernichten.“Überwacht werden sollen Basha und Poschner vom Finanz-Geschäftsf­ührer Markus Rejek, dessen Netzwerk in Spielerber­aterkreise­n aber auch eher dünn ist.

Zu behaupten, dass Trainer Torsten Fröhling unter diesen Umständen den schwersten Job im Profifußba­ll verrichtet, ist wohl keine Übertreibu­ng. Der Norddeutsc­he hat das Treiben in der Klubführun­g wochenlang stoisch und klaglos ertragen, er versucht das Beste aus der verfahrene­n Situation zu machen. Doch auch er reagiert zunehmend gereizt auf die ewig gleichen Fragen. „Nee“, sagte er zuletzt auf die Frage, ob denn seine Wunschspie­ler überhaupt noch auf dem Markt wären. Fröhling hat in den Testspiele­n natürlich gesehen, dass seiner Mannschaft in der Offensive Ideengeber und Vollstreck­er fehlen. Torjäger Rubin Okotie befindet sich schon seit der letzten Rückrunde im Formtief. „Diese Spieler haben uns in der Relegation gerettet. Ich werde einen Teufel tun, die Mannschaft schlecht zu reden“, sagt er. Aber eben auch: „Wenn alles so bleibt wie es jetzt ist, dann wird es nicht einfach. Unser Kader ist ziemlich schmal.“Wo er seine Löwen am Ende der Saison erwartet? „Ich traue der Mannschaft auf alle Fälle mehr als Platz 16 zu“, sagt er.

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FOTO: DPA Schwierige Aufgabe in schwierige­m Umfeld: 1860- Trainer Torsten Fröhling.

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