„Afghanistan hat die Bundeswehr verändert“
Konstanzer Sicherheitsexperte Bernhard Chiari über deutsche Lehren aus dem Militäreinsatz des Jahrzehnts
Vor sechs Monaten ging in Afghanistan der Einsatz der International Security Assistance Force (Isaf) zu Ende, an dem sich auch die Bundeswehr 13 Jahre lang beteiligt hatte. 55 deutsche Soldaten ließen in Afghanistan ihr Leben. Wie beurteilen Experten mit etwas zeitlichem Abstand die umstrittene Mission? Alexei Makartsev sprach darüber mit Dr. Bernhard Chiari vom Beratungsunternehmen EXOP in Konstanz.
Hat der Afghanistan-Einsatz die Bundeswehr nachhaltig verändert?
Ja. Es war unser erster Kampfeinsatz auf dem Boden, zuvor hat es überwiegend humanitäre Missionen oder Stabilisierungseinsätze wie auf dem Balkan gegeben. Was die materielle Ausstattung, Ausbildung und Training angeht, so hat sich die Bundeswehr in Afghanistan sehr professionalisiert und zu einer echten Einsatzarmee entwickelt. Hinzu kommt, dass die deutschen Soldaten ein neues Selbstverständnis bekamen, zu dem nun auch der Kampf gehörte. Früher, zu Zeiten von Kaltem Krieg, Abschreckung und Bündnisverteidigung an der innerdeutschen Grenze galt eher die Devise, den Krieg führen zu können, um ihn nicht führen zu müssen.
Wie nutzt die Truppe heute diese Erfahrungen?
Es gibt neue Formen der Einsatzauswertung, die der schnelleren Weiterentwicklung von taktischen Verfahren dienen. Die Bundeswehr hat es gelernt, mit neuen Situationen umzugehen und ein Verständnis für andere Kulturen entwickelt. Schließlich hat der Afghanistan-Einsatz bei den Militärs das kritische Nachden- afghanische Sicherheitskräfte aufgebaut und erfolgreich trainiert.
Und was hat nicht geklappt?
Das Ziel, ein besseres Rechtswesen aufzubauen, ist erst in Ansätzen gelungen. Und was die afghanische Wirtschaft angeht, ist sie bislang nicht selbsttragend. Man hat zudem viele Jahre lang in manchmal naiver Weise versucht einen Zentralstaat aufzubauen, der westlichen Vorstellungen und Standards entspricht. Für mich ist das eine der zentralen Fragen nach dem Afghanistan-Einsatz: Kann es unser Anspruch und Ziel sein, staatliche Strukturen nach westlichem Muster zu schaffen, wenn wir dafür eine fremde, nach traditionellen Regeln funktionierende Gesellschaft verändern müssen? Meine Antwort: Das geht nicht in einem Land wie Afghanistan oder es dauert zumindest Generationen.
Hat sich also der Afghanistan-Einsatz unterm Strich gelohnt?
Das hängt davon ab, ob die erreichten Erfolge nachhaltig sind oder nicht. Die Folgemission „Resolute Support“, die sich mit deutlich reduzierter Personalstärke auf Ausbildung und Training der afghanischen Sicherheitskräfte konzentriert, ist bis 2016 terminiert. Wenn das internationale Engagement endet, bleibt es abzuwarten, ob der afghanische Staat dauerhaft funktionieren wird. Eines steht fest: Würden die westlichen Zahlungen heute eingestellt, bräche dieser Staat wie ein Kartenhaus zusammen. Es muss daher sichergestellt sein, dass wir uns langfristig in Afghanistan engagieren, politisch, wirtschaftlich und militärisch.