„Ein Drittel der Windräder steht falsch“
In Regensburg entwickelter Algorithmus hätte viel Geld bei Energiewende sparen können, behaupten die Erfinder
MÜNCHEN/REGENSBURG - Den politischen Streit um Stromtrassen und viele Milliarden Euro für die Energiewende in Deutschland hätte man sich sparen können, behauptet der Physik-Professor Ingo Morgenstern. Mit einem in seinem Institut für Theoretische Physik an der Universität Regensburg entwickelten Algorithmus hätten Windräder, Solarparks und andere Anlagen zum Ersatz der Kernkraftwerke so über Deutschland verteilt werden können, dass große Stromautobahnen überflüssig wären.
Die Rechenvorschrift der Regensburger Physiker war schon lange vor dem Ausrufen der Energiewende nutzbar. Jetzt, so Morgenstern, ist der Zug weitgehend abgefahren. Maßgeblich entwickelt hat den Algorithmus, der bereits 2009 durch das „Time“-Magazine als eine der 50 bedeutendsten Erfindungen der Welt bezeichnet wurde, MorgensternMitarbeiter Johannes Schneider. Er lehrt heute in Mainz.
Vereinfacht erklärt optimiert der Regensburger Algorithmus Systeme aller Art nach den Vorgaben der Anwender. Übertragen auf die Windkraft bedeutet das zum Beispiel, dass nicht die größtmögliche Ausbeute eines Windrades die allein entschei- dende Größe ist, sondern auch der großräumige Ausgleich von Wind und Flaute zur Vermeidung von Unterversorgung und Überlastung sowie der durch die Anbindung und Weiterleitung des Stromes erforderliche finanzielle und politische Aufwand.
Herauskommt eine Verteilung der Windräder in Deutschland, die deutlich anders aussehen würde als sie tatsächlich entstanden ist, sagt Morgenstern: „Unter anderem mehr Windräder in Bayern“. Ein Drittel der errichteten Windkraftanlagen steht nach diesen Kriterien an der falschen Stelle, haben die Mitarbeiter des Instituts ausgerechnet. Das gilt vor allem für die riesigen Windparks in der Nordsee, die aufwendig an das Stromnetz angebunden werden müssen. Die Weiterleitung des Nordsee-Stroms nach Süddeutschland sorgt seit geraumer Zeit für massiven Ärger.
Von der Politik enttäuscht
Am besten wäre es, wenn die Standorte für Windkraftanlagen europaweit gesteuert werden könnten, erläuterte Morgenstern auf der „Intersolar“-Messe, die derzeit in München stattfindet: „Je größer das System, umso größer die Optimierungsmöglichkeit.“Von der Politik zeigt sich der Regensburger Physikprofessor enttäuscht: Trotz vereinzelter Unterstützung sei es nicht gelungen, in der entscheidenden Zeit nach dem Atomfiasko von Fukushima die Weichen richtig zu stellen.
Enttäuscht ist Morgenstern besonders vom früheren grünen Umweltminister Jürgen Trittin. Man hätte erwarten können, dass gerade ein grüner Minister für den Fall eines Atomausstiegs ein kluges Konzept in der Schublade gehabt und gewusst hätte, „wo man welches Windrad hinstellt“. Stattdessen sei unter Optimierungsgesichtspunkten „ein Fehler nach dem anderen gemacht“worden. Überdies hätten sich im Zuge der Energiewende viele „Schmarotzerecken“gebildet.
Viel Lehrgeld
Aus Sicht der Wissenschaftler zahlt Deutschland unnötig viel Lehrgeld. Die wegen zahlreicher erfolgreicher Anwendungen auf allen möglichen Gebieten „Weltrekord-Algorithmus“genannte Methode werde jetzt von Ländern wie China und Indien schamlos kopiert, berichtet Morgenstern. Dort werde man beim Aufbau alternativer Energien die deutschen Fehler wohl vermeiden.
Für die Windkraft in Deutschland jedoch ist nach Meinung der Regensburger Physiker der Zug weitgehend abgefahren. Geringe Korrekturen seien jetzt nur noch beim Zubau möglich, sagt Morgenstern.
Der „Weltrekord-Algorithmus“kann in vielen Branchen Anwendung finden. Auf der Münchener „Intersolar“kann seine Effizienz anhand eines Bundesliga-Börsenspiels getestet werden. Eines der wichtigsten Anwendungsgebiete ist die Logistik, aber sogar im Bereich der Medizin wurde die Methode bei der Tumorbestrahlung erfolgreich eingesetzt.