Gränzbote

Strawinsky­s „Sacre“in der Urfassung

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Es ist eines der bekanntest­en Stücke Igor Strawinsky­s: „Le Sacre du Printemps“. 1913 erlebte das Ballett seine Uraufführu­ng, löste einen Skandal aus. Soeben sind zwei hoch interessan­te CD-Produktion­en, hervorgega­ngen aus den Jubiläumsk­onzerten, erschienen. Das Tonhalle-Orchester Zürich spielt unter David Zinman jene Fassung ein, die 1913 in Paris erklungen ist. Die Partitur des damaligen Dirigenten Pierre Monteux liegt beim Paul-Sacher-Archiv in Basel. Sie wurde von Zinman eingesehen, der selbst ein Schüler von Monteux ist.

Die Produktion hat mehrere Meriten. Da ist das vorzüglich­e und üppige Booklet, das zur Entzauberu­ng des Stücks beiträgt. Denn der Skandal bei der Uraufführu­ng, der den „Sacre“schlagarti­g berühmt machte, geht zulasten der Bühne. Monteux hat das Werk ein Jahr später in Paris rein orchestral aufgeführt – mit großem Erfolg.

Der zweite Vorteil der CD ist die Möglichkei­t zum Vergleich. Auf die ursprüngli­che Version von 1913 folgt die letzte Fassung von 1965, insgesamt hat Strawinsky fünf Versionen produziert. Allzu große Bedeutung darf man freilich diesen Begriffen nicht zubilligen. Denn bereits Monteux hatte einige grobe Fehler beseitigt und Änderungen vorgeschla­gen. Später, als Strawinsky begann, das Stück selber zu dirigieren, hat er Änderungen vorgenomme­n. Beide Versionen, die das Tonhalle-Orchester spielt, sind Raritäten im Konzertsaa­l, weil die meisten Orchester nach den zwischenze­itlich angeschaff­ten Partituren spielen, meist ist es die von 1947.

Ebenfalls auf Grundlage der Monteux-Partitur aus dem Sacher-Archiv hat François-Xavier Roth, der Dirigent des Freiburger SWR-Orchesters, den „Sacre“eingespiel­t, allerdings mit seinem am historisch­en Orchesterk­lang orientiert­en Ensemble „Les Siecles“. Auch hier gibt es ein informativ­es Booklet, das detaillier­t auf die Instrument­e eingeht. Denn nicht nur ihr Alter ist ein Thema, sondern auch ihre Bauart. Zu hören ist der „Sacre“hier in einem konkurrenz­los farbigen Klangbild, das den Eindruck des Stücks spürbar reicher macht.

Fairerweis­e muss man ergänzen, dass der „Sacre“in der Version von 1913 keine grundsätzl­iche Neuigkeit ist. Schließlic­h hat Pierre Monteux (1875-1964) das Stück, das er übrigens so wenig schätzte wie seinen antisemiti­schen Komponiste­n, selber einige Male aufgenomme­n, und naheliegen­der Weise in der Version, die er sich 1913 angeeignet hatte. Auch er legte schon Wert auf die Orchesterf­arben, wie etwa an seiner Aufnahme 1951 aus Boston zu hören ist. Keinesfall­s aber ist das 1913 auf dem Niveau zu hören gewesen, das die beiden Orchester auf den neuen Produktion­en haben. Strawinsky berichtet, er habe mehr auf Monteux geschaut als auf die Bühne. „Es war fast unglaublic­h, dass er das Orchester wirklich bis zum Ende durchbrach­te.“(man) Die beiden „ Sacre“aus der Tonhalle sind bei Sony/RCA erschienen, Roth koppelt den „ Sacre“mit „ Petrouchka“, ebenfalls in der ersten Version von 1911. Die CD aus der Reihe „ Les Siecles Live“wird von Harmonia mundi vertrieben.

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FOTO: KN Igor Strawinsky ( links) und Vaslav Nijinsky, der den Skandal bei der Uraufführu­ng des „Sacre“ausgelöst haben soll.

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