Ein sehnsüchtiger Blick über die Grenze
Im Zwei-Länder-Eck am Bodensee werden die Unterschiede besonders deutlich. Während die Schweizer in den Biergarten gehen, bleibt in Deutschland alles dicht
Konstanz/Kreuzlingen Keine Zeit habe der Chef, sagt die Mitarbeiterin des Kreuzlinger Hafenrestaurants Alti Badi entschuldigend. Derzeit sei einfach zu viel los, als dass Zeit wäre für ein Interview. Das Restaurant am Schweizer Ufer des Bodensees ist gut besucht. In einer kurzen Schlange warten Gäste darauf, dass ein Tisch frei wird. Die Öffnung der Außengastronomie geht in der Schweiz mit klaren Regeln einher: pro Tisch sind maximal vier Personen erlaubt (Ausnahme: Eltern mit Kindern), Gäste müssen ihre Kontaktdaten angeben, Hygienemasken dürfen auch am Tisch nur während des Essens und Trinkens abgenommen werden. Und zwischen den Tischen sind entweder Abstände von 1,5 Metern oder Trennelemente vorgeschrieben. Wenige Kilometer weiter, im deutschen Konstanz: verwaiste Restaurantterrassen, leere Biergärten, Absperrbändern und gestapelte Stühle. Die Gastronomiebetriebe dürfen seit rund einem halben Jahr keine Gäste mehr empfangen, nur Abholund Lieferdienste anbieten.
Die eklatanten Unterschiede des Corona-Alltags in europäischen Ländern werden jetzt im Zwei-Länder-Eck auf engstem Raum besonders deutlich: In der Schweiz dürfen seit einer Woche Restaurantterrassen, Kinos, Theater und Fitnesscenter unter Auflage von Schutzkonzepten wieder öffnen. Open-AirKonzerte und Fußballspiele dürfen wieder mit begrenztem Publikum stattfinden. Museen und Geschäfte sind schon länger wieder auf. In der Region Konstanz-Kreuzlingen sind die zwei Länder praktisch zu einem großen Lebensraum zusammengewachsen, aber hinter den Grenzen ist die Lage völlig anders: In Deutschland liegt das öffentliche Leben weiter praktisch lahm.
Die Schweizer Regierung hatte sich trotz steigender Infektionszahlen zu den Öffnungen entschlossen. „Die Zahlen steigen zwar, aber nicht sehr stark“, sagte Gesundheitsminister Alain Berset jüngst. Die Impfungen zeigten Wirkung. Deshalb sei man bereit, „etwas mehr Risiken einzugehen“. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen war seit Anfang April rückläufig. 9,8 Prozent der Einwohner waren vollständig geimpft. Über 14 Tage lag die Inzidenz bei den gemeldeten Neuansteckungen pro 100000 Einwohner am 26. April bei 325. Das Land wird weiterhin als Covid-19 Risikogebiet eingestuft, verbunden mit einer Reisewarnung durch die deutschen Behörden.
Viel Platz ist auf der Terrasse der „Traube“am Zoll. Das Restaurant liegt in Kreuzlingen direkt neben dem Grenzübergang nach Deutschland. Doch auch wenn gerade nur zwei ihrer Tische besetzt sind, trägt
Kim Pajaziti ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Die erste Woche seit den Lockerungen sei sehr gut angelaufen, sagt die Wirtin. „Ich habe nicht erwartet, dass so viele kommen“, sagt Kim Pajaziti. Man habe gemerkt, wie sehr die Stammkunden, zu denen vor allem Ältere und Alleinstehende zählten, sie vermisst hätten. „Die Dankbarkeit ist groß.“
Und auch wenn ein weiterer wichtiger Zweig des Restaurants, die Vereinstreffen, derzeit wegfalle, resümiert die Wirtin: „Ich rechne damit, dass wir zum Monatsende mindestens 60 Prozent des normalen Umsatzes erzielen werden.“Denn neben den Stammkunden kämen auf einmal auch junge Leute zu ihr, vor allem abends. Und das auch aus Deutschland. Doch das hat sich geändert: Erst am Freitagabend sei eine Gruppe junger Konstanzer bei ihr gewesen. „Weil drüben alles zu hat. Und die wollten auch um 22 Uhr noch bleiben, obwohl es bereits kalt war.“Eigentlich braucht es für den Aufenthalt im Nachbarland einen triftigen Grund - Einkaufen und Tourismus fallen nicht darunter. Wer trotzdem über die Grenze geht, muss anschließend in Quarantäne. Es gibt Ausnahmen, etwa für vollständig Geimpfte.