Geisterspiele
Sein oder Nichtsein, das ist einmal mehr die existenzielle Frage. Im konkreten Fall, ab 16. Mai, sieht die Sache so aus: Bei den Akteuren, den Kickern, heißt es Sein. Beim Publikum, bei den Einlassordnern, bei den Wurst- und Bierverkäufern heißt es im Stadion: Nichtsein. Das Geschehen auf dem Rasen ist real, wenn auch möglicherweise kontaminiert; das Geschehen in den Rängen hingegen real abwesend – oder, wie in Taiwan mit TrommlerRobotern beim Baseball – surreal. Man nennt das Geisterspiele.
Damit aber erfährt all das, was man Spiele heißt, eine ganz neue Aufstellung. Es ist doch so: Bis dato tummelten sich die Geister ausschließlich und direkt im Zentrum des Geschehens, auf dem Schauplatz – denken wir nur an das Gespenst von Canterville, an Hamlets Vater, an den Fliegenden Holländer mit seiner Geistermannschaft, an die tanzenden Wilas und die Macbeth-Hexen – nur ein kleiner Auszug aus dem uralten Bühnenschauergeschehen. Und das Publikum schaute dem Treiben dieser irrealen Gestalten geradezu fleischlich, schwitzend und dampfend zu.
Jetzt aber weht der Zeitgeist woanders, jetzt stellt, auf jeden Fall im Stadion, das Publikum die unsichtbare Geistermannschaft – wobei man aber kaum von einem „Reigen seliger Geister“sprechen kann, um mal an die Unterwelt aus der Reformopern-Mythologie zu erinnern.
Aber kommen wir noch einmal auf das Gespenst von Cantervillle zurück, das ja bekanntermaßen seiner professionellen Dienstobliegenheiten überdrüssig ist. Eine toughe, hübsche, junge Frau erlöst es von seinen ungeliebten todeslangen Amtsverpflichtungen.
Wer aber wird nun die Geisterzuschauer erlösen – und mit ihnen das Publikum auch des „Freischütz“, der so oft mit der Kugel trifft, bevor dann der Teufel fatalerweise einen Schuss ablenkt? Wir wissen es noch nicht.
Die Antwort, der Rest ist Schweigen – wie es dazu wiederum bei Shakespeare heißt.