Wenn sich das Theater um sich selbst dreht
Zwei neue Stücke in Berlin ähneln einander. Die Schauspielkunst ist groß, aber die Welt bleibt außen vor
Berlin Heute gibt es die Selbstoptimierung. Der Mensch erscheint als ein Wesen voller Mängel, die beseitigt gehören. Das Ich befindet sich in steter Steigerung. Und dann wird auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin dieser Don Quijote zwei Stunden lebendig, einer, der nicht nach vorne denkt, sondern sich in der Vergangenheit verloren hat, einer, dem Ritterromane so zu Kopf gestiegen sind, dass er beschließt, selbst Aventüren zu bestehen.
Als Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen hat der Regisseur Jan Bosse den Stoff in neuer Bearbeitung auf die Bühne gebracht. Der 1000-Seiten-Klassiker eingedampft auf zweieinhalb kurzweilige, klamaukhafte Stunden – ein Schauspielerfest für Ulrich Matthes als traurigsten und versonnensten aller möglichen Don Quijotes und für Wolfram Koch als Großpragmatiker Sancho Panza. Dieser ist ein Verwandlungskünstler – vom Angsthasen zum Aufschneider, vom Zauderer zum Zyniker.
Man hängt den beiden an den Lippen, kann sich kaum sattsehen an so viel Schauspielkunst, aber der Stoff, dieses Menschheitsbuch findet nicht in die Gegenwart. Theater dreht sich um sich selbst. Es zeigt, mit wie wenig Mitteln Bilder in den Köpfen der Zuschauer entstehen können. Auf der Bühne befindet sich eine Kiste, die Höhle, Burg, Gaststätte sein kann. Langer Applaus vom begeisterten Publikum.
Tags drauf in der Berliner Schaubühne hat Molieres „Amphitryon“ Premiere. Und es geschieht Ähnliches. Es könnte, es sollte darum gehen, wie das ist, wenn einer dem anderen die Identität raubt. Heute geschieht das vor allem im Netz. Bei Moliere wird Jupiter zum Amphitryon und Merkur zum Sosias. Die Menschen verzweifeln, wenn die Götter ihr Spiel mit ihnen treiben. Bei Moliere war das auch versteckte Anklage an die Willkür der Herrschenden im Komödiengewand. Bei Regisseur Herbert Fritsch wird es ein opulentes Spektakel, das um sich selbst kreist und nicht nach da draußen verweist.
Virtuos, wie die beiden Musiker des Abends das Thema vorgeben, Marimbafon und Klavier sich einen Freejazz-Wettkampf liefern. Genau das wird von dem starken spielfreudigen Ensemble fortgesetzt. Alle sind ständig in Bewegung, der Text wird auch getanzt, in allen Stilen. Die Figuren machen im Lauf des Abends zig Wendungen; innerhalb von zehn Sekunden kann die Stimmung drei Mal umschlagen. Und alle verfügen über die Gabe, mit Miniaturen scheinbar mühelos einen Abend lang prassen zu können. Ein Amüsement der besonderen Art, ganz ohne Frage, bei dem Joachim Meyerhoff als Sosias seinen Einstand als neues Ensemblemitglied in Berlin gibt. Selbst der Applaus ist durchchoreografiert, Fritsch lässt sich eingewickelt in Papier hereintragen. Jubel für alle, völlig zu Recht für so viel Schauspielkunst. Aber von der Welt, von der sie erzählen könnten, hat man nur einen sehr verschwommenen Eindruck bekommen.