Das Monster mit dem sanften Lächeln
Formel 1 Charles Leclerc hat Sebastian Vettel bei Ferrari den Rang abgelaufen
Singapur Das sanfte Lächeln des neuen Ferrari-Lieblings Charles Leclerc täuscht auch Sebastian Vettel nicht mehr. Mit seinen emotionsgeladenen Siegen in Spa und Monza hat der Formel-1-Jüngling aus Monaco die Hierarchie beim berühmtesten Rennstall erschüttert. Zwar behauptete Leclerc vor der Nachtschicht in Singapur handzahm: „Unsere Beziehung hat sich nicht verändert.“Doch Vettel ist zu lange im Renngeschäft, um daran zu glauben. Seinen Nummer-1-Status bei Ferrari ist der 32-Jährige los.
Die Frage ist nun, ob dies nur für den Rest des Jahres gilt oder die Wachablösung endgültig ist. „Solche Phasen gehören dazu. Ich habe mich in der Vergangenheit da immer rausgeboxt und werde das auch dieses Mal wieder schaffen“, versicherte Vettel auf dem Marina Bay Street Circuit. Der sportliche Absturz des viermaligen Weltmeisters steht vor dem 15. Saisonlauf am Sonntag (14.10 Uhr/RTL und Sky) im Mittelpunkt vieler Gespräche im Fahrerlager. Vettel, der 13 Punkte hinter Leclerc nur noch WM-Fünfter ist, gibt sich belustigt und meinte: „Natürlich ist es nicht toll, aber auch kein Desaster.“
Ein wenig erinnert der Verlauf des Jahres an Vettels letzte RedBull-Saison. 2014 hieß der aufstrebende Teamkollege Daniel Ricciardo, auch der fuhr dem Deutschen damals den Rang ab. Genervt wechselte Vettel zu Ferrari. Nun bekommt er von Ricciardo Zuspruch. „Er ist nur ein Rennen davon entfernt, die Wende zu schaffen“, sagte der jetzige Renault-Pilot.
Mag sein. Doch bis dahin muss sich Vettel bohrende Fragen nach einem Rücktritt zum Saisonende oder wahlweise Hymnen auf seinen jungen Stallrivalen anhören. War es einst der Hesse, der bei der Scuderia als Erbe Michael Schumachers empfangen wurde, gelten die Vergleiche mit dem Rekordweltmeister nun Leclerc. „Es ist immer schön, so etwas zu hören, aber ich bin erst 21. Im Vergleich zu Michael habe ich noch überhaupt nichts erreicht“, sagte Leclerc mit pflichtbewusster Bescheidenheit.
Der Unfalltod seines Mentors Jules Bianchi, der Verlust seines Vaters vor zwei Jahren – Leclerc hat schwere Zeiten überwunden. Das hat ihn offenbar gestählt für die beinharte Welt der Formel 1. „Wenn sein süßer Blick, sein zartes Gesicht, durch den Helm verborgen ist, verwandelt er sich, er wird zu einem Monster“, dichtete der Corriere
della Sera. Den Beweis hat Leclerc in Monza geliefert. Erst verwehrte er Vettel die vereinbarten Hilfsdienste in der Qualifikation und sicherte sich dann selbst die Poleposition. „Wir haben darüber gesprochen. Aber so was habe ich noch nie nach außen getragen“, sagte Vettel. Auch Weltmeister Lewis Hamilton lernte in Monza Leclerc neu kennen, als dieser ihn mit fragwürdigen Manövern am Überholen hinderte.
»Randbemerkung (dpa)