Mythos Athos
Eine Wanderung von Kloster zu Kloster in der Mönchsrepublik
Nächten Aufenthalt auf vier Nächte verlängert. Nach einem kleinen Mittagessen geht es los in Richtung Ostküste. Der Weg ist schön schattig, dafür sind wir dankbar. Das erste Kloster auf unserm Weg ist Stavronikita, ein kleineres Kloster, das wie eine Burg auf einem Felsen über der Küste thront. Wir laufen an einem Aquädukt und Seerosenteichen entlang, später an einem etwas tiefer liegenden Orangenhain. Die ganze Anlage ist romantisch zwischen Weinbergen, Obst- und Gemüsegärten gelegen und wirkt geradezu paradiesisch. Verständlich, dass der Heilige Berg oft auch „Garten der Muttergottes“genannt wird. Eine Bezeichnung, die in einem anderen Zusammenhang eher paradox wirkt: Frauen ist der Zutritt zur Mönchsrepublik verwehrt, nicht einmal weibliche Haustiere werden geduldet. Aber auch für die männlichen Besucher gibt es Einschränkungen: Maximal fünf nicht christlich-orthodoxen Besuchern pro Tag wird der Zutritt erlaubt, auch für die orthodoxen Besucher ist die Zahl der Einreisen pro Tag beschränkt.
Von Stavronikita führt uns der Weg an der Küste entlang weiter zum „Wehrkloster“Iviron, einem der großen Klosterkomplexe auf Athos, wo wir das erste Mal übernachten. Am nächsten Tag wandern wir weiter über das kleine, über einem Olivenhain gelegene Karakallou nach Megisti Lavra ganz im Südosten der Halbinsel direkt am Fuße des Berges Athos. Megisti Lavra ist das größte und älteste Kloster, neun Wehrtürme ragen bis heute aus den Mauern des Klosters, früher waren es noch mehr. Sitzt man in der Mitte dieser Anlage zwischen Katholikon und Trapeza, den beiden zentralen Bauten aller Klosteranlagen im Schatten der beiden über tausend Jahre alten Zypressen, die von den beiden ersten Äbten des Klosters gepflanzt wurden, dann kann man eine ganz eigene Atmosphäre spüren: Es ist eine besondere Form der Ruhe, die uns immer wieder erfasst während der Tage am Heiligen Berg.
Vor uns steht eine kleine Taufkapelle mit den wohl ältesten Dekorationen in der Mönchsrepublik. Während wir noch ganz in die eigenen Gedanken versunken sind, ziehen die Mönche aus dem Katholikon in eine andere Kirche – und wir ziehen mit. Auch wenn wir die Zeremonien nicht im Detail verstehen, der spirituellen Atmosphäre können wir uns kaum entziehen. Im Refektorium erwarten uns anschließend großartige Fresken – und ein einfaches, aber sehr schmackhaftes Essen mit harzigem Athoswein.
Am nächsten Tag geht es hinüber zur Westseite der Halbinsel, wo Agiou Pavlou, eine Art Fort, direkt an die Felswand „geklebt“ist und Agiou Dionysiou sowie Osiou Grigoriou wild-romantisch auf Felsen über der Küste thronen. Höhepunkt ist Símonos Petras, die wohl spektakulärste Anlage auf dem Athos. Zunächst aber liegt der für den Wanderer wohl schönste Teil der Strecke vor uns: die Umwanderung der Südspitze der Halbinsel direkt unterhalb des Berges Athos. Für diese rund 16 Kilometer von Megisti Lavra bis Agiou Pavlou nehmen wir uns einen ganzen Tag Zeit. Es geht ziemlich bergauf und bergab, der Weg führt angenehm kühl durch Laubwald. Auf dem letzten Stück einfache Übernachtungsmöglichkeiten in Schlafsälen (Einzelzellen bis 20 Bettenschlafsäle), mit Gemeinschaftsbädern sowie ein Handtuch. Man ist auch eingeladen, mit den Mönchen zu essen. Gegessen wird in der Regel zwischen 8 und 9 Uhr morgens und zwischen 18 und 19 Uhr abends. Außer in Dafni gibt es keine Möglichkeit, irgendwelche zusätzlichen Getränke oder Nahrungsmittel zu kaufen.
● Kartenmaterial Auf der 1:30 000 Karte Mt. Athos Nr. 21 von NAKAS ROAD Cartography sind auch die Wasserstellen eingezeichnet, was bei Wanderung (insbesondere in der Sommerhitze) sehr hilfreich ist.
● Reiseinformationen Hilfreiche Informationen gibt es auf der Website der „Freunde des Berges Athos“https://athosfreunde.de/index.php erreichen wir wieder besiedeltes Gebiet – Agia Anna und Theotokou sind Skiten, kleine Mönchsdörfer. Und hier an der Westküste liegt der Weg zum Teil komplett in der Sonne. Da weiß man jede Wasserquelle zu schätzen.
Auf diesem Teil des Weges komme ich mit Andrew ins Gespräch, einem 27-jährigen Ukrainer, der in Brünn bei einem IT-Unternehmen arbeitet. Er kommt mit seinem russischen und seinem serbischen Begleiter gerade vom Gipfel des Athos, und unser gemeinsames Ziel für diesen Tag heißt Agiou Pavlou. Über das Reisen und über die Politik reden wir, über Europa, den Mauerfall und den Zusammenbruch des Warschauer Paktes. Überhaupt sind die Gespräche mit den anderen Besuchern – in der Regel Griechen, orthodoxe Christen aus Osteuropa, viele Russen – ein ganz besonderer Teil des Erlebnisses Athos. Da ist der Rumäne, der als Abgeordneter für sein Land im Europäischen Parlament saß, in Frankfurt und Berlin studiert hat und uns im Kloster Megisti Lavra ganz stolz berichtet über ein Praktikum bei Angela Merkel. Der Grieche, der an der Hochschule in Köln Sport studiert hat und jetzt in Patras als Sportlehrer und Fußballtrainer arbeitet. Der Student aus Luxemburg, der uns erzählt, dass sein Heimatland im gleichen Jahr gegründet wurde wie das erste Kloster am Heiligen Berg – im Jahr 953. Oder der junge serbische Anwalt,
Gelebtes Europa in der Mönchsrepublik
bereits geschlossen, doch auf unser Klopfen wurde uns geöffnet. Ein Mönch begrüßte uns, und als er hörte, dass wir von Karies zu Fuß nach Simonos Petras gelaufen waren, meinte er nur: „You must be hungry!“. Natürlich waren wir hungrig – und glücklich, noch eine Bleibe gefunden zu haben. In einem kleinen Seitenraum wurde uns ein üppiges Mahl vorgesetzt, obwohl die Zeit für das Abendessen eigentlich schon lange vorüber war.
Aus diesen Erfahrungen habe ich gelernt, und wir haben dieses Mal ausreichend Zeit mitgebracht, um die gesamte Begrüßungszeremonie in den Klöstern in aller Ruhe zu genießen. Als wir später durch die Burggänge von Simonos Petras hinaufgehen zum Katholikon, wehen uns die Choräle der Mönche entgegen, zuerst ganz leise, dann immer klarer, und als sich der Gang zu einer Art kleinen Halle öffnet, ist die Akustik überwältigend. Der Blick schweift hinaus auf das Meer und hinauf zum Gipfel des Athos – ein wenig stockt mir da tatsächlich der Atem. Wir setzen uns auf einem der Balkone, die sich an den Mauern dieses mit dem Felsen verwachsenen Klosters in schwindelnder Höhe entlangziehen, auf eine Bank und schauen aufs Meer und auf den Gipfel des Heiligen Bergs, den wir dieses Mal nicht bestiegen haben. Vielleicht beim nächsten Mal – man braucht ja einen Grund, um wiederzukommen. Ja, sie haben sich nach meinem Eindruck verändert, die Menschen, die in der Mönchsrepublik leben. Es scheint so, als ob es wieder mehr Mönche sind, Mönche aller Altersgruppen, viele sprechen gut Englisch, die meisten zumindest ein wenig, das war vor 30 Jahren durchaus noch anders. Aber was geblieben ist, das ist die Gastfreundschaft, mit der die Besucher empfangen werden am Heiligen Berg.