Geschlechtskrankheiten sind oft Männersache
Ein Wirkstoff soll effektiv vor HPV und den damit verbundenen Krebsarten schützen. Aber: Mädchen lassen sich zu selten impfen. Und junge Männer wissen oft gar nichts von dem Angebot
Memmingen Warum sollen sich Jungen gegen HPV impfen lassen? Ist das nicht Mädchensache? Auf Fragen wie diese stoßen Ärzte häufig, wenn sie Eltern und Jugendliche über das neue Vorsorgeangebot informieren. Seit vergangenem Sommer wird die Impfung gegen Humane Papillomviren (HPV) nämlich auch Jungen öffentlich empfohlen und ist mittlerweile Kassenleistung. „Dass allein Frauen von HPV bedroht sind, ist einer der entscheidenden Irrtümer“, sagt Prof. Dr. Peter Schneede, Chefarzt der Urologie am Klinikum Memmingen. Die verbreiteten Viren können nicht nur Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) auslösen, sondern weitere Krankheiten, darunter Krebs im Mund-Rachen-Raum, am After und Penis sowie Genitalwarzen. HPVExperten wie Schneede hoffen, dass sich die Impfung in den kommenden Jahren durchsetzt und die Erreger insgesamt zurückgedrängt werden.
Sowohl unter Eltern als auch Jugendlichen gebe es allerdings ein immenses „Wissensdefizit“in Sachen HPV, berichtet Dr. Heike Kramer, Vorsitzende der Ärztlichen Gesellschaft zur Gesundheitsförderung. Das hätten Befragungen zum Thema gezeigt. „Es existieren zu viele Falschinformationen“, kritisiert sie. Ein Problem sei auch, dass Laien das Stichwort meist nur mit dem Zervixkarzinom in Verbindung bringen. „Wir müssen darauf achten, nicht von der Gebärmutterhalskrebs-, sondern von der HPV-Impfung zu sprechen“, betont Kramer. Sonst würden sich Jungen und deren Eltern nicht angesprochen fühlen.
Im Jahr 2007 wurde die Impfung gegen HP-Viren für Mädchen eingeführt. Die Bilanz zum Zehnjährigen fiel ernüchternd aus: Weniger als 50 Prozent der 17-jährigen Mädchen in Deutschland sind geimpft. „Ausgerechnet dieses Land, das so viel zur Entwicklung der Impfung beigetragen hat, hinkt im Vergleich mit anderen Ländern stark hinterher“, sagt Schneede. In den 1980er Jahren hatte der Heidelberger Virologe Harald zur Hausen entdeckt, dass Gebärmutterhalskrebs auf eine Infektion mit bestimmten HP-Viren zurückgeht und damit wesentlich zur Entwicklung der Impfung beigetragen. Für seine wissenschaftliche Leistung wurde er 2008 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.
Die Impfmüdigkeit der Bundesbürger könnte sich eines Tages bitter rächen, warnt Schneede: „Dann könnte Deutschland bei Krebsarten, die in anderen Ländern verhindert wurden, ganz vorne liegen.“Als vorbildlich sieht er insbesondere Australien, wo rund 80 Prozent der Jugendlichen geimpft sind. Deshalb kämen dort kaum noch Genitalwarzen vor, auch die Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs hätten deutlich abgenommen. Daraus lässt sich ableiten, dass es dort auch weniger Fälle von Gebärmutterhalskrebs, wahrscheinlich auch anderer HPVbedingter Karzinome, geben wird. Handfeste Zahlen werden aber erst in 20, 30 Jahren vorliegen, da die Tumoren langsam entstehen.
Um Jungen und deren Eltern für die Impfung zu gewinnen, haben Urologenverbände eine Kampagne gestartet. Überhaupt wollen sie und andere Institutionen, etwa die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), gründlicher über HPV informieren. „Wir müssen als Ärzte aktiv werden und an die Öffentlichkeit rangehen“, sagt Schneede. Ein Problem ist aus seiner Sicht, dass Jungen meist selten zum Arzt gehen – daraus ergeben sich auch wenig Möglichkeiten für Aufklärungsgespräche. Am ehesten haben noch Kinderärzte die Chance, Eltern im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen über die Maßnahme zu informieren – doch die Angebote für Jugendliche werden nicht gut angenommen.
„Eltern wollen sich auch nicht so gerne vorstellen, dass ihre Kinder in absehbarer Zeit Sex haben werden“, sagt Schneede. Daher wollen Urologen jetzt verstärkt die Jugendlichen selbst ansprechen. Bei „Jungensprechstunden“, in denen Heranwachsende alle Fragen rund um Sexualität mit einem Urologen besprechen können, soll auch die Impfung ein Thema sein.
Eine Herausforderung besteht für Impf-Aufklärer darin, dass die Hintergründe bei HPV kompliziert und schwer vermittelbar sind. Von den Humanen Papillomviren gibt es nämlich rund 200 verschiedene Typen, davon etwa 40, die im Genitalbereich vorkommen und sexuell übertragbar sind. Bei Intimkontak- ten dringen sie über winzige Verletzungen der Haut oder Schleimhaut in den Körper ein und können Infektionen auslösen. Die Erreger sind extrem verbreitet: „Etwa 80 Prozent aller Menschen stecken sich im Laufe ihres Lebens mindestens einmal an“, sagt Schneede. Meist klingt die Infektion unbemerkt ab. Je nach Erregertyp können zwar unangenehme, wenn auch harmlose Genitalwarzen entstehen. Oder sich langfristig Vorstufen von Krebs entwickeln. Für Karzinome sind vor allem die HPV-Hochrisiko-Typen 16 und 18, für Genitalwarzen die Niedrigrisiko-Typen 6 und 11 verantwortlich. Der Impfstoff „Gardasil 9“schützt vor neun Virustypen und senkt damit das Risiko, HPVbedingte Zellveränderungen zu bekommen, um 90 Prozent. Heike Kramer erklärt: „Man kann also trotz Impfung noch Krebs bekommen, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr viel geringer.“Wegen des Restrisikos sei es aber wichtig, dass auch alle geimpften Frauen ab 20 Jahren einmal jährlich zur Krebsfrüherkennung gingen.
Die Impfung schützt nur dann, wenn man sich noch nicht mit HPV infiziert hat. Sonst ist sie gegen den Erregertyp, mit dem man sich angesteckt hat, machtlos. Um sicherzustellen, dass Jugendliche beim ersten Sex geimpft sind, wird die Vorsorgemaßnahme schon größeren Kindern empfohlen. Außerdem ist bei ihnen die Immunantwort besser: Im Alter von neun bis 14 Jahren sind nur zwei Impfungen, später dagegen drei nötig. Der Stoff sei gut verträglich: „Bislang wurden rund 300 Millionen Impfdosen verabreicht, ohne dass es schlimme Nebenwirkungen gegeben hätte“, sagt Schneede.
Auch die BZgA bezeichnet die Impfung als sicher und weist damit Berichte über schwerwiegende Folgen zurück. Als häufigste Reaktion würden Schmerzen, Rötungen oder eine Schwellung an der Einstichstelle beschrieben. Daneben könne es vorübergehend auch zu Kopf- oder Muskelschmerzen, Fieber, Magen-Darm-Beschwerden, Schwindel und Müdigkeit kommen. Schwere Nebenwirkungen seien aber selten.
Professor Peter Schneede, der sich seit 30 Jahren mit der HPVForschung beschäftigt, hatte sich stark für die neue Impfempfehlung eingesetzt. Dadurch habe Deutschland nun eine „zweite Chance“und könnte einen Beitrag dazu leisten, den Erreger insgesamt zurückzudrängen. Eines Tages könnten HPV-Infektionen durch ein globales Impfprogramm ausgerottet werden wie einst die Pocken, meint Schneede. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.