Papa allein zu Haus
In den Mails aus der Krabbelgruppe wird Martin Gabler mit „Liebe Mama“angeredet. Obwohl in Bayern inzwischen gut 40 Prozent der Väter in Elternzeit gehen. Mehr als je zuvor. Warum es längst noch nicht selbstverständlich ist, dass sich Männer in Vollzeit u
Augsburg In Bayern ist die Welt noch in Ordnung. Da ist sie so, wie viele sie gerne hätten. Die Männer erledigen die Arbeit. Und die Frauen kümmern sich um Kinder und Erziehung. So jedenfalls sehen viele Nicht-Bayern die Menschen im Freistaat. Traditionsbewusst, konservativ und – nicht ganz so nett formuliert: rückständig. Auch die CSU bedient sich dieser Klischees. Sie hat ein zusätzliches, bayerisches Betreuungsgeld für die Mütter eingeführt, die ihre Kinder nicht in die Kita geben. Später dann bekommen die Frauen, die sich um ihren Nachwuchs gekümmert haben statt arbeiten zu gehen, eine zusätzliche Mütterrente.
Aber gilt dieses Klischee überhaupt noch? Oder ist Bayern längst mehr Laptop als Lederhosen? Es gibt da ein paar Hinweise, ein paar Fakten, dass auch in Bayern die Zeit eine andere geworden ist.
Es ist ein sonniger Vormittag in der Altstadt von Augsburg. Die Gassen liegen ruhig da. Kein Auto, kein Spaziergänger ist zu sehen. Im ersten Stock eines Altbaus lebt der Wandel: die Familie Gabler. Martin Gabler sitzt im Wohnzimmer am Esstisch und schmiert Frischkäse auf eine halbe Semmel. Es ist kurz nach 10 Uhr. Höchste Zeit, dass der fast zweijährige Noah sein zweites Frühstück bekommt. Noah sitzt im Hochstuhl, patscht mit seiner Hand auf den leeren Teller vor sich und fixiert mit seinen blauen Augen die Semmelhälfte. Gabler, 31, und sein Sohn sind gerade vom Spielplatz zurückgekehrt. Wenn das Wetter es zulässt, sind sie um diese Zeit immer dort. Und immer eine Ausnahme. Der Vater, der sich vormittags um sein Kind kümmert, statt zu arbeiten, ist eine Seltenheit. Oder?
Zumindest den Zahlen nach nicht. Denn in Bayern nehmen prozentual so viele Väter Elternzeit wie in fast keinem anderen Bundesland. Die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes beziehen sich auf Väter, deren Kinder 2014 geboren wurden. Und die zwischen 2014 und 2016 in Elternzeit waren. Unter ihnen lag die Quote im Freistaat bei 41,7 Prozent. Seit 2008 liefert sich Bayern ein Duell mit Sachsen, das 2014 den ersten Platz belegte. Zum Vergleich: Deutschlandweit war nur jeder dritte Vater in Elternzeit. Obwohl es gut 82 Prozent der Bevölkerung gutheißen, dass sich Väter um die Kinderbetreuung kümmern. Das hat das Bundesfamilienministerium für seinen Väterreport herausgefunden.
Ausgerechnet im traditionellen Bayern also scheint sich das Bild einer gleichberechtigten Partnerschaft, in der sich Mamas und Papas die Kindererziehung und das Geldverdienen teilen, gelebt zu werden. Denn es gibt noch eine andere Zahl: Im Freistaat ist auch der Anteil der Frauen, die arbeiten, höher als in anderen Bundesländern. Wie passt das zusammen?
Zurück im Wohnzimmer. Noah hat die Frischkäse-Semmel schon fast vertilgt und versucht nun, mit dem Messer seines Papas zu spielen. Was den gar nicht freut. Er nimmt ihm das Messer ab und gibt ihm einen Schlüsselbund. Wie fühlt man sich als Bayer und Vollzeit-Vater? Wobei Gabler in Teilzeit noch arbeitet. Bei der Deutschen Bahn, die flexible Arbeitszeitmodelle anbietet. Gabler hat noch nie darüber nachgedacht, ob er ein Klischee bricht. Denn für ihn war von Anfang an klar, dass er sich um seinen Sohn kümmern will, wenn der auf der Welt ist. Schon vor Noah haben sich Gabler und seine Frau Lorena die Hausarbeit geteilt.
Warum sollte sich das durch ein Kind ändern? Eine Einstellung, die die meisten jungen Paare in Deutschland haben. Wirklich umsetzen tun das aber die wenigsten. So wünschen sich dem Väterreport zufolge fast zwei Drittel der Väter mit unter dreijährigen Kindern, dass sich beide Partner gleichmäßig in Beruf und Familie einbringen. Aber nur 14 Prozent der Paare verwirklichen das. Das heißt: Im Normalfall geht der Vater weiterhin in Vollzeit arbeiten und die Mutter kümmert sich um die Kindererziehung und den Haushalt.
Sobald die Kinder drei Jahre alt sind, arbeiten Mütter meist als Zu- verdiener, stellt Johanna Possinger in einer Analyse zur Rolle von Vätern für das Deutsche Jugendinstitut fest. Die Professorin beschäftigt sich mit Geschlechterfragen und Rollenverteilung.
Die Gablers sind also eher Ausnahme als Regelfall. Als die beiden erfuhren, dass sie ein Kind bekommen, steckte Lorena mitten im Staatsexamen. Sie wird Lehrerin. Und es war klar: Wenn das neue Schuljahr beginnt, fängt ihr Referendariat an. Also nahm Gabler ab dem Geburtstag seines Sohns Elternzeit – bis heute. Auch das ist eher eine Ausnahme, sagt Franziska Zimmert. Sie kümmert sich beim Institut für Arbeits- und Berufsforschung in Nürnberg um das Thema Elterngeld. In Bayern, sagt sie, gehen zwar viele Männer in Elternzeit. Aber nur für zwei Monate. Als der Bund 2007 das Elterngeld einführte, legte er es so an, dass beide Eltern eine gewisse Zeit lang im Job pausieren müssen, um die Leistung volle 14 Monate lang zu bekommen. Innerhalb dieser Zeit müssen Mutter und Vater jeweils mindestens zwei und höchstens zwölf Monate nicht arbeiten. Wie die Partner sich das aufteilen, ist ihnen überlassen.
In der Praxis sieht das so aus: Meist nehmen die Mütter ein Jahr lang eine Auszeit. Die Väter für zwei Monate – und diese dann oft gleichzeitig mit den Müttern. „Fast 85 Prozent der bayerischen Väter gehen zwei Monate in Elternzeit“, sagt Zimmert. Nur knapp unter drei Prozent der Väter kümmern sich – wie Gabler – ein Jahr oder länger um ihr Kind. Das hat Folgen, hat Soziologie-Professorin Possinger herausgefunden: Denn die Rollenverteilung in der Familie bleibt die alte. Frauen arbeiten im Haushalt, Männer verdienen das Geld – obwohl das beide Partner unzufrieden macht.
Natürlich stehen hinter dieser Entscheidung oft finanzielle Gründe. Wie hoch das Elterngeld ausfällt, wird auf der Grundlage des NettoEinkommens vor der Geburt des Kindes berechnet. Es beträgt mindestens 300 und höchstens 1800 Euro im Monat. Meist wird jedoch nicht das volle Einkommen ersetzt. Deshalb können es sich viele Familien schlicht nicht leisten, dass der Hauptverdiener – und das sind immer noch mehrheitlich die Männer – über einen längeren Zeitraum weniger verdient. Die Erwartung, ihre Familie alleine ernähren zu müssen, setzt Väter laut Possinger unter Druck. Sie verbringen meist sogar mehr Zeit in der Arbeit als ihre männlichen Kollegen ohne Kinder.
Die Gablers haben einen anderen Plan: „Lorena soll ihr Referendariat so gut wie möglich machen. Dafür schaffe ich ihr den Freiraum“, sagt ihr Mann. „Wenn sie irgendwann Beamtin wird, ist sie die Hauptverdienerin in der Familie.“Martin Gabler hat damit kein Problem. Und merkt gleichzeitig, dass die Gesellschaft mehrheitlich von einer anderen Rollenverteilung ausgeht. Kürzlich war der 31-Jährige mit einer Freundin in einem Augsburger Café verabredet. Er kam mit Noah im Buggy an, öffnete die Tür und blickte auf ein Schild mit der Aufschrift: „Liebe Mamas, lasst eure Kinderwagen bitte draußen stehen. Danke!“Eine Aufforderung, die der Besitzer vermutlich ohne Hintergedanken aufgehängt hat.
Situationen wie diese gibt es viele: Mal lautet die Anrede einer E-Mail der Krabbelgruppe „Liebe Mamas“– obwohl der Vater regelmäßig mit Noah dorthin geht. Mal will er zusammen mit Noahs Oma einen Kindersitz kaufen und die Verkäuferin spricht ausschließlich mit der Oma – obwohl Gabler die Fragen stellt. Und mal gibt ihm die Helferin beim Kinderarzt Tipps, was er mit seinem Buben in der Wartezeit machen soll. Es sind Kleinigkeiten, die ihn nicht ärgern, sich aber einprägen. Sie spiegeln wider: Papas, die sich um ihre Kinder kümmern, sind nicht das, was erwartet wird. Auch Gabler selbst sagt: „Ich war, ehrlich gesagt, davon überrascht, dass in Bayern so viele Väter in Elternzeit gehen.“Im Alltag nimmt er sie selten wahr. „Noah und ich gehen öfter in den Zoo. Und mir fällt in der ganzen Zeit ein anderer Vater ein, dem ich dort begegnet bin“, erinnert er sich.
Woran liegt das also, dass Väter zwar gerne, aber nur kurz Elternzeit nehmen? Dass Frau immer noch für Erziehung und Haushalt zuständig sind? Das Geld ist die eine Erklärung. Die andere lautet: Die Mütter wollen es so. „Frauen sehen die Sorgearbeit als ihr Revier an und wachen über die Beteiligung des Vaters, den sie oft nur als Mithelfer akzeptieren“, lautet Possingers Urteil. Sich um Kinder zu kümmern, zu putzen und Wäsche zu waschen – das alles wird in der Gesellschaft als weibliche Fähigkeit betrachtet. Und diese Vorstellung ist fest in den Köpfen verankert.
Und so findet der Rollenwandel in Bayern auch eher in der Stadt statt als auf dem Land. Die Zahlen zeigen: Väter, die in der Stadt wohnen, nutzen länger oder überhaupt die Elternzeit. Am höchsten sind die Quoten in mittelgroßen Universitätsstädten wie Würzburg oder Erlangen. „Von diesen Städten haben wir in Bayern relativ viele“, sagt die IAB-Forscherin Zimmert. „Das lässt den bayernweiten Schnitt ansteigen.“
Diese Väter haben das Potenzial, Vorreiter zu sein, wie andere Daten aus dem Väterreport zeigen. Denn Männer, die in Elternzeit waren, sind durchschnittlich zufriedener – und auch ihre Partnerinnen sind es. Sie verbringen außerdem, selbst wenn sie wieder arbeiten, mehr Zeit mit ihren Kindern.
Noah ist mit dem Papa jeden Tag auf dem Spielplatz Wollen es die Frauen vielleicht gar nicht anders?